Erstaunlich, was diese Menschen alles auf sich nehmen. Einen ganzen Monat sind die Pilger unterwegs, in 31 Etappen. 800 Kilometer weit folgen sie dem Camino Francés durch Spaniens Norden. Von den Pyrenäen bis Santiago de Compostela ein einziger Schlauch. Auch heute Morgen sind sie wieder da.
Seit 800 Jahren unterwegs
Acht Uhr früh, und es ist noch Nacht. Vom schwarzen Himmel nieselt feiner Regen auf unförmige Gestalten. Bepackt bis über die bunten Kapuzen, streben die ersten über den Rio Bernesga. Die Studenten auf der Brücke schützen ihre Bücher unter Regenschirmen, haben keinen Blick für den Gegenverkehr. Pilger? Die kreuzen hier seit 800 Jahren.
Gestern Abend war das Wandervolk aus aller Welt noch staunend durch Leon gezogen. Zwischen der romantischen Basilika des heiligen Isidor mit der königlichen Grabkammer und der gotischen Kathedrale mit ihren zauberhaften Glasfenstern wogte das pralle Leben. Ein mittelalterlicher Markt mit Gauklern, Spießbratern und Seifensiedern brodelte bis hinunter zum Rathaus. Eine Welt voller Wunder, und nun auch dieses.
Bei der Virgen del Camino klart es auf. Die Kirchenheilige, so die Fama, soll einen Sklaven aus algerischer Gefangenschaft heim ins katholische Reich geholt haben. Und zwar samt der Kiste, in der er gefangen war, und samt seinem heidnischen Herrn. Das ist Gesprächsstoff genug für den folgenden Weg durch die kahle, abgeerntete Ebene.
Der tägliche Regen
Es hat wieder mal genieselt. Champaña cotidiana nennt man das hier Schampus des Alltags. Unter der Römermauer von Astorga trocknet ein Pilgrim seine Klamotten auf den Büschen. Später wird er hinaufsteigen zur wuchtigen Kathedrale und gleich daneben den granitgrauen Bischofs-palast bestaunen ein Werk Antoni Gaudis in türmchenbewehrter Neugotik. Es duftet nach Kakao. Jeder zweite Laden bietet hier Schokolade an. Die ist hausgemacht, mit ganzen Mandeln.
Doch dann wirds richtig wild: In Foncebadón empfangen uns nur noch ein paar mit rostigem Blech gedeckte Hütten. Ziegen meckern, während wir zum über 1500 Meter hoch gelegenen Cruz de Ferro aufsteigen. Das Eisenkreuz steht auf einem gewaltigen Steinhaufen. Büßer haben ihn mit ihrer symbolischen Seelenlast angehäuft, mit Steinen aus der Heimat. Irgendwo unter dem Geröll liegt auch der Lapislazuli des Komikers Hape Kerkeling (laut seines Bestsellers Ich bin dann mal weg). Beim Abstieg zur alten Bogenbrücke von Molinaseca streuen gewaltige Kastanien ihre Igelfrüchte auf den Pfad. Glänzende Maroni platzen heraus.
Rebenhügel und Nüsse
Wundersamer Wandel nun: Der Camino schwingt sich durch Rebenhügel. Villafranca mit seiner Heiligen Pforte erscheint Hape Kerkeling auf seiner Tour wie an der Mosel geklaut. Doch gleich vergeht ihm das Lachen. Starr vor Schreck quält er sich, von Lastwagen bedrängt, durch die Schlucht des Valcarce.
Dann erneut Heimatgefühle: Wasser sprudelt unter gelbem Laub. Auf gepflasterten Steigen à la Südtirol knirschen Nüsse unter den Stiefeln. Dann geht es durch Ginster und brusthohen Farn hinauf zum windigen O Cebreiro (1306 m). In Portomarin radeln Pilger über den Miño. Das niedrige Stauwasser hat die Grundmauern des Urdorfes freigelegt. Der Ort ist nach oben geklettert und hat die wuchtige Wehrkirche Stein für Stein mitgenommen. Abseits vom Weg in Villar de Donas dämmert die Grablege der Templer mit ihren zarten Wandgemälden vor sich hin.
Im dichten Wald duftet es nach Eukalyptus. Den letzten Café solo gibts in einer Kneipe, deren Decke voller Baseballcaps hängt. Ja, es ist nun Zeit, sich von alten Hüten zu lösen. Denn da steht der Pilgersmann unversehens auf dem Monte do Gozo, dem Berg der Freude, und blickt auf die heilige Stadt.
Wunder der Selbstfindung
Dunkel ragen die spitzen Türme der Kathedrale über die Dächer von Santiago de Compostela. Eine knappe Stunde, und die engen Gassen schlucken den Rucksackträger. Eine Mandoline klimpert, ein Dudelsack fiept, der Rest ist Ritual: Hinauf die enge Treppe hinterm Altar! Die Goldbüste des heiligen Jakob umarmt! Und ein Dankeschön für die Neugeburt. Denn das ist das eigentliche Wunder, das in den Bars und Bodegas gefeiert wird. Mit dem grünen Weißen der Rias Baixas, mit Tellern meerfrischer Mariscos, mit galizischem Rinderfilet, mit Brüstchenkäse und Quittengelee. Es ist das Wunder einer
Selbstfindung mit Kilometerpauschale! Wer wenigstens die letzten 100 Kilometer gewandert oder das Doppelte geradelt ist, kriegt die Compostela, die Urkunde in Latein. Und nur er selbst weiß wofür . . .
Die Reise zum Grab des Apostels Jakobus
Als Jakobsweg wird der Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Spanien bezeichnet. Darunter wird in erster Linie der Camino Francés verstanden, jene hochmittelalterliche Hauptverkehrsachse Nordspaniens, die von den Pyrenäen zum Jakobsgrab reicht und dabei die Königsstädte Jaca, Pamplona, Estella, Burgos und León miteinander verbindet.
1047
wurde der Jakobsweg erstmals in einer Urkunde erwähnt als Weg, der seit alten Zeiten von Pilgern des heiligen Jakobus und Peter und Paul begangen werde. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Jakobsweg auch für andere historisch nachgewiesene Routen von Jakobspilgern in ganz Europa verwendet.
Im Jakobsjahr erwartet man einen Pilgerrekord
Mit drei kräftigen Hammerschlägen gegen die Heilige Pforte der Pilgerkathedrale hat Erzbischof Julian Barrio zum Jahresende im spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela das Heilige Jakobsjahr 2010 eröffnet. Es handelt sich um das 119. Jakobus- Jahr seit der Einführung von sogenannten Xacobeos im 12. Jahrhundert.
Jakobsjahre finden nur selten statt. Immer dann, wenn im Vorjahr der Todestag des Apostels Jakob, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Das ist erst in elf Jahren wieder der Fall. An der feierlichen Eröffnungszeremonie nahmen auch Hunderte von Pilgern teil. Rund 145.000 Pilger sind im Laufe des Jahres 2009 einen der verschiedenen Jakobswege gegangen. Traditionell ist der Jakobsweg vor einem heiligen Jahr besonders gut besucht, da viele Pilger die Massen während des Jakobsjahres umgehen wollen.
Auf den Ansturm vorbereitet
Die katholische Kirche rechnet in diesem Jahr mit einem historischen Pilgerrekord. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2010 rund 240.000 Pilger in Santiago de Compostela eintreffen werden. Das gab es noch nie, erklärte Jenaro Cebrian, Leiter des Pilgerbüros in Santiago.
Kirche und Behörden haben sich intensiv auf den Ansturm vorbereitet. So werden fünfmal täglich Pilgermessen gefeiert, bis zu zehn neue Herbergen sollen eröffnet werden.
Gekochter Pulpo schmeckt einfach
In der Pulperia wird an groben Tischen auf Holztellern der Pulpo gallego serviert. Das ist gekochter Tintenfisch, nur mit grobem Salz, etwas Pimento und Olivenöl. Und er schmeckt himmlisch!
Zehn Millionen Besucher erwartet
Neben den Pilgermassen erwarten die Region Galicien zum Xacobeo 2010 rund zehn Millionen Besucher. Geplant sind über 2000 kulturelle Veranstaltungen, wie Theaterund Musikvorführungen.
Reiseinfos
Tipp: 2010 ist heiliges Jahr in Santiago de Compostela. Das nächste folgt erst wieder in elf Jahren. In der Kathedrale öffnete sich noch am Abend des 31. Dezember 2009 die heilige Pforte. Bei allen Messen wird dann der Botafumeiro durchs ganze Querschiff geschwenkt, der riesige Weihrauchkessel.
Saison: Ideale Pilgermonate sind Mai und September.
Allgemeine Auskunft: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin, Tel. 030/8826-543, E-Mail berlin@ tourspain.es, im Internet unter www.spain.info; Büro München, Tel. +49 89 89530746-11; Bayerisches Pilgerbüro München, Dachauer Str. 9, 80335 München, Tel. +49 89 545811-0, Internet www.pilgerreisen.de.
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