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Botox auch für die Blase

„Man stirbt nicht an Harninkontinenz, doch sie nimmt einem das Leben.“ Dieses Zitat einer Betroffenen stand am Anfang des Vortrages von OA Dr. Josef Pointner. Und sagt eigentlich alles.

Harninkontinenz ist noch immer ein Thema, das mit massiven Schamgefühlen einhergeht. „Aber warum muss man sich für eine Krankheit schämen?“ fragte Pointner in den dicht besetzten Saal des Montforthauses in Feldkirch. Das sei für die heutige Zeit ein Armutszeugnis. Denn schon jede vierte Frau und jeder zehnte Mann kämpfen mit diesem Leiden, für das es jedoch wirksame Hilfe gibt. „Man muss sie nur annehmen“, so der Urologe.

Unwillkürlicher Harnverlust zu einem Zeitpunkt, der nicht passt und an einem Ort, der noch weniger passt, ist mehr als ein lästiges Übel. „Bei 30 Prozent der Betroffenen schränkt er die täglichen Aktivitäten nachhaltig ein“, verdeutlichte Josef Pointner, Urologe am LKH Bregenz. Harninkontinenz ist aber auch keine normale Begleiterscheinung des Alterungsprozesses. Sie hat in den meisten Fällen rein körperliche Ursachen. Werden die nicht behandelt, kommen erst die psychischen Belastungen dazu. „Die Menschen treten den sozialen Rückzug an und verlieren ihr Selbstvertrauen“, listete Pointner die tragischen Auswirkungen auf. Dann ist es oft nur noch ein kurzer Weg in die Pflegebedürftigkeit. Rund 40 Prozent der Heimeinweisungen erfolgen wegen Harninkontinenz.

Sozialmedizinische Lawine
Das Leiden kann, bezogen auf die steigende Lebenserwartung, auch eine sozialmedizinische Lawine lostreten. Bereits jetzt werden in Österreich pro Jahr 450 Mill. Euro für Hilfsmittel und Medikamente aufgewendet. In Vorarlberg bezahlt die Gebietskrankenkasse jährlich 1,8 Mill. Euro nur für Windeln. In der Regel dauert es bis zu fünf Jahren, ehe Betroffene sich zu einem Gespräch beim Arzt aufraffen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die richtige Diagnose, weil es verschiedene Arten von Blasenschwäche gibt. Am häufigsten sind die Belastungs- und Dranginkontinenz. „Bei der Belastungsinkontinenz ist der Harnröhrenverschluss fehlerhaft oder der Beckenboden zu schwach, um den Druck der Blase auszuhalten“, erklärte Josef Pointner. Ursachen sind Schwangerschaften und Geburten, Operationen am kleinen Becken, Übergewicht, Lähmungen und Flüssigkeitsmangel. Wer meine, mit weniger trinken den Harndrang unterdrücken zu können, mache einen gewaltigen Fehler. Dadurch werde der Harn nur konzentrierter und reize die Blase, was die Inkontinenz wiederum verstärke.

Bei Belastungsinkontinenz bringt vor allem ein gezieltes Beckenbodentraining sehr gute Erfolge. Man sollte sich die Übungen aber von Experten erklären lassen, damit sie richtig durchgeführt werden. Im operativen Bereich sind Bänder oder Ballons zur Stabilisation des Beckenbodens aussichtsreiche Optionen.

Moderater Ausdauersport
Bei der Dranginkontinenz sorgt eine überaktive Blase für unkontrollierbaren Harndrang. Reizzustände in der Harnblase, Entzündungen, Krebs, Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson oder Durchblutungsstörungen der Harnblase sind mögliche Auslöser. Hier gelte es die Blase entsprechend zu trainieren. Hilft das nicht, gibt es noch Medikamente. Schlagen auch die nicht an, kann das Nervengift Botox in die Blase gespritzt werden, was zu einer Beruhigung führt. Josef Pointner riet außerdem zu moderatem Ausdauersport.

Pointner nützte das Forum für einen besonderen Appell: „Seien Sie meine Botschafter“, bat er das Publikum.


Mit dem Gameboy am Klo
Nicht nur Erwachsene, auch Kinder haben zuweilen ihre liebe Not mit der Blase. Etwa 20 Prozent der Sechsjährigen nässen entweder am Tag oder in der Nacht ein. „Das ist immerhin jedes 5. Kind in einer ersten Volksschulklasse“, veranschaulichte Dr. Patrick Rein vom LKH Feldkirch die Häufigkeit. Doch es gibt eine gute Nachricht. 14 Prozent von ihnen werden von selbst trocken. „Bei den anderen muss die Inkontinenz behandelt werden, damit sie nicht ins Erwachsenenleben mitgeschleppt wird“, so Rein. Der ebenfalls klarstellte, dass es sich in den meisten Fällen um eine Reifungsstörung der Blasenfunktion und nicht um seelische Ursachen handelt. Zudem sei das Einnässen bis zu einem gewissen Alter normal. Das heißt, mit etwa vier Jahren sollte der Nachwuchs trocken sein. Eine Therapie wird, wenn erforderlich, deshalb erst ab dem 5. Lebensjahr durchgeführt.

Jeder Diagnose voraus geht ein ausführliches Gespräch in der kinderurologischen Ambulanz. Dann folgt die körperliche Untersuchung. „Wichtig ist, dem Kind schon vorher zu sagen, dass diese Untersuchungen schmerzfrei sind“, betonte Patrick Rein. Bewährt hat sich auch das sogenannte Miktionsprotokoll, in dem über einen längeren Zeitraum beispielsweise Getränke- und Harnmengen aufgezeichnet werden. „Da reicht es oft schon, das Trinkverhalten zu ändern“, so Rein. Betroffene Kinder leiden aber auch häufig an Verstopfung. Dieses Übel muss ebenfalls behoben werden.

Bei Kindern unterscheidet die Medizin zwischen einer überaktiven Blase und dem Beckenbodenzwicken. Für die überaktive Blase ist die fehlende Ausreifung verantwortlich. Behandlungsansätze sind eine Verhaltenstherapie mit regelmäßigen Toilettengängen, Medikamente zur Hemmung der Blasenaktivität oder das Spritzen von Botox in die Blase. Das Beckenbodenzwicken resultiert daraus, dass Kinder während der Blasenentleerung oft den Schließmuskel zusammenzwicken. „So bleibt Restharn in der Blase und es bilden sich Bakterien“, erklärte Rein. Ursache kann ebenso eine falsche Sitzposition sein. „Kaufen Sie dem Kind einen Toilettenaufsatz und sagen Sie ihm, es soll einen Gameboy mitnehmen“, lautete der Ratschlag des Urologen für ein entspanntes Wasserlassen im Kindesalter.

Bettnässen in der Nacht betrifft etwa 15 Prozent der Kinder. Sie wachen trotz Leichtschlafphase nicht auf. Was die Wissenschaft immer noch vor ein Rätsel stellt. Die übermäßige nächtliche Harnproduktion wird durch den Mangel eines bestimmten Hormons ausgelöst. Wirksame Hilfen sind die Reduktion der Trinkmenge am Abend oder Medikamente, die dafür sorgen, dass die Nieren weniger Harn ausscheiden. Und dann gibt es noch die Alarmtherapie. Dabei hat das Kind einen Sensor in der Unterhose, der bei Kontakt mit Harn zu scheppern beginnt. „In den ersten zwei bis drei Wochen sollte das Weckgerät bei den Eltern stehen“, empfahl Patrick Rein. Die sollten das Kind dann wecken und mit ihm auf die Toilette gehen. Irgendwann funktioniert es dann von selbst, zumal das Gehirn durch das Signal entsprechend konditioniert wird. Doch jede Therapie braucht Zeit und Geduld, mahnte Dr. Patrick Rein.

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