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"Bedingungen nicht attraktiv"

Bregenz (VN) - Martin Bentele, Vorsitzender des Sozialarbeiter-Berufsverbandes, fordert Reformen bei der Jugendwohlfahrt.
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Wie empfinden Sie die Situation der Jugendwohlfahrt in Vorarlberg?

Bentele: Man hat letztes Jahr beim Personal einige Verbesserungen durchgeführt, im Sinne von Quantität. Aber bis das wirksam wird, braucht es seine Zeit. In der Regel sind es junge Kolleginnen, die wenig Erfahrung haben. Sie müssen eingearbeitet werden, und das bedeutet für die alten, die sowieso schon am Limit arbeiten, zusätzliche Belastung.

 

Wie sind die Arbeitsbedingungen in der Jugendwohlfahrt?

Bentele: Sie sind alles andere als besonders attraktiv. Das heißt, dass es immer schwieriger werden wird, gute Leute anzusprechen. Es ist eigentlich erstaunlich, dass wir in der Jugendwohlfahrt immer noch so gute Sozialarbeiter haben, die bereit sind, unter diesen Bedingungen dort zu arbeiten.

 

Sie kritisieren, dass Sozialarbeiter bei der Einstufung im Landes- und Gemeindebedienstetengesetz diskriminiert werden. Inwiefern?

Bentele: Im Jahr 2000 bei den Verhandlungen zum neuen Gehaltsgesetz des Landes hat man die Sozialarbeiter herausgenommen, weil damals Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Sozialbereich liefen, und die wollte man nicht stören. Außerdem wusste man, dass man Sozialarbeiter ansonsten höher einstufen müsste. Wir finden, dass man die Sozialarbeiter endlich gleich behandeln soll. Das soll man jetzt sofort regeln und nicht irgendwann. Das muss der Landtag in Angriff nehmen und reparieren. Aber es ist ja nicht so einfach für öffentlich Bedienstete höhere Gehälter zu verlangen. Das will ja keiner hören.

 

Das Budget für die Jugendwohlfahrt wurde für heuer aufgestockt. Reicht das aus?

Bentele: Nein, weil es diese von uns geforderten Maßnahmen überhaupt nicht tangiert. Es braucht dringend Reformen. Sozialarbeiter haben kein Berufsgesetz. Es gibt nicht einmal einen sicheren Rechtsschutz. Das ist doch eine Katastrophe, wenn ich in der Jugendwohlfahrt solche Entscheidungen treffen muss und nicht einmal sicher sein kann, dass ich im Ernstfall eine Rechtsvertretung habe. Der Bericht des Landesrechnungshofs 2009 zur Jugendwohlfahrt bemerkte: zu wenig Geld und Personal, unüberschaubare Aufgaben. Hat sich die Lage verbessert? Bentele: Die Meinungen der Kolleginnen fallen unterschiedlich aus. Jetzt haben sie jedenfalls noch mehr zu tun: Es gibt mehr Anfragen, sie müssen sich mehr rechtfertigen und gleichzeitig Junge einschulen. Wahrscheinlich bräuchte man österreichweit 500 Sozialarbeiter in der Jugendwohlfahrt mehr, um die Arbeit qualitativ besser zu machen.

 

Gäbe es denn so viele?

Bentele: Natürlich nicht. Alle werden knapp ausgebildet. Da gibt es in Vorarlberg zu wenig Ausbildungsplätze, wir akquirieren jetzt schon im Ausland. Man muss auch diese Bedingungen bedenken: genügend gutes Personal ausbilden, Arbeitsbedingungen schaffen, dass Menschen in diese Jobs gehen und solche Belastungen auf sich nehmen. Die Burn-out-Rate ist zur Zeit sehr hoch.

 

Hat man zu spät reagiert?

Bentele: Ja. Das haben auch wir nicht deutlich genug gemacht, das muss ich auch sagen. Aber unsere Rufe rund um die Gesetze sind verhallt. Die Kolleginnen sind einfach fertig. Es gibt sehr engagierte Leute und sie haben Mühe, um nicht auszubrennen.

 

Georg Dimitz, Ihr Kollege im Berufsverband, sagte vergangenen Juni im Rahmen der Bundestagung in Dornbirn: Die Politik werde vermehrt tote Kinder verantworten müssen, wenn es nicht bald gelinge, in der Kinder- und Jugendwohlfahrt bundesweit einheitliche Standards zu schaffen. Könnten tragische Fälle dadurch verhindert werden?

Bentele: Eine Garantie gibt es in diesem Feld nie. Aber man kann davon ausgehen, dass, wenn die Bedingungen rundum optimal sind, das Ergebnis besser sein wird. Insofern ist es erfreulich, dass man sich zumindest jetzt genauer ansieht, was man verbessern kann. Bedauerlich ist natürlich, dass es solcher Fälle bedarf, damit an dem Systemen gerüttelt wird.

 

Welche Reaktionen hören Sie von den Sozialarbeitern?

Bentele: Es ist bitter, weil die Vorschläge, die sie über die Jahre gemacht haben, abgeprallt sind. Und dann muss es an so einem Fall (Anm. Cain) aufgehängt werden. Dann müssen sie hinstehen und sich verteidigen. Zum Teil ärgern sie sich sehr über die Politik. Ob die Expertenkomission etwas bringt oder der Untersuchungsausschuss besser wäre, kann ich nicht beurteilen. Aus unserer Sicht ist wichtig, dass endlich etwas vorwärts geht.

 

Zur Person: Martin Bentele

Vorsitzender des Vorarlberger Berufsverbandes der Sozialarbeiter

Geboren: 2. Jänner 1956

Ausbildung: Akademie für Sozialarbeit

Laufbahn: Arbeit in der Bewährungshilfe, DOWAS-Obmann, Lehrer an der Akademie für Sozialarbeit, Aufbau des Weiterbildungsbereichs in Schloss Hofen, Supervisor

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