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"Jetzt muss ich mein Leben ändern"

©APA
Ex-Vizekanzler Josef Pröll über seinen Lungeninfarkt, die Volkspartei, Werner Faymann und seine persönliche Zukunft
JosefPröll scheidet mit dem heutigen Parteitag als ÖVP-Chef aus, weil er nicht mehr „Vollgas“ geben kann.
Sie verlassen heute die politische Bühne: Welche Gefühle, wie viel Wehmut ist da dabei?

Pröll: Das ist heute mit dem Parteitag in Innsbruck ein besonderer Tag für mich. Wehmut ist allerdings keine dabei. Im Gegenteil. Ich wurde mit 33 Jahren Umweltminister und dann Parteichef, Vizekanzler und Finanzminister. Das ist eine unglaubliche Lebenserfahrung für mich. Jetzt heißt es „Türe auf zu neuen Taten“. Allerdings mit weniger Tempo.

Ist da wirklich keine Wehmut zum Abschied?

Pröll: Nein. Der Lungeninfarkt im März war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Auf dem Weg ins Spital ist es um Leben und Tod gegangen. Da setzt man dann andere Prioritäten.

Von Hermann Hesse stammt der Aphorismus, wonach man nicht weiß, was schlimmer ist: Wenn das Telefon immer läutet oder niemals. Wie gehen Sie damit um, dass es ruhiger geworden ist?

Pröll: Ich genieße gerade nach diesem gesundheitlichen Einschnitt die Verlangsamung meines Lebens. Ich bin oft ein enormes Tempo gegangen, oft länger sitzen geblieben als es notwendig gewesen wäre. Aber das war okay: Ich bin ein Politiker gewesen, der stark auf persönliche Kontakte gesetzt hat. Jetzt wird es langsamer, und das tut extrem gut. Ich glaube, dass die Politik insgesamt langsamer, bedachter und nachdenklicher werden muss. Gerade in Zeiten von E-Mails und SMS.

Sind Ihnen diese Gedanken erst am Krankenbett gekommen?

Pröll: Gefühlt habe ich es schon länger. Wenn ich zum Beispiel in Brüssel große Verantwortung zu tragen hatte und gleichzeitig auch in Österreich eine Antwort geben sollte. Und zwar sofort. Redaktionsschluss ist ja um 15 Uhr. Das ist keine Kritik an den Medien, aber heute muss man immer verfügbar sein. Ich habe hin und wieder darüber nachgedacht, wie das wohl in den 70er Jahren gewesen sein wird. Ich glaube, damals hat man über Entscheidungen länger nachgedacht. Je schneller es wird, desto schwieriger wird es, qualitätvolle Politik an den Tag zu legen.

Wann haben Sie gewusst, dass Sie zurücktreten müssen?

Pröll: Der Schalter hat sich im Rettungshubschrauber umgelegt. Als ich gemerkt habe, dass es substanziell eng wird. Da war für mich im Kopf klar, dass ich nicht so weitermachen kann. Das zweite war dann die Reha-Phase, die mehre Wochen gedauert hat; da habe ich mich dann auch emotionell von der Politik getrennt.

Sie hatten Todesangst?

Pröll: Ich hatte echte Beklemmungsängste. Und mir wurde klar, dass ich mein Leben ändern muss: Ich habe stets den Anspruch gestellt, mich zu 100 Prozent für die Politik einzusetzen. Da kann ich nicht mit angezogener Handbremse weitermachen; und das hätte ich nach dem Lungeninfarkt tun müssen.

Welche Rolle hat die Partei bei Ihren Überlegungen gespielt?

Pröll: Ich habe mich bei meinen Überlegungen ganz auf mich, meine Gesundheit und meine Familie fokussiert und die Entscheidung dann auch sehr persönlich getroffen.

Hat Ihre Familie bei Ihren Überlegungen eine Rolle gespielt?

Pröll: Die Familie hat mich nicht gezwungen, zu gehen, war aber sicher ein Faktor. Sie hat gesagt: Du musst es für Dich selber wissen, aber von der Entscheidung hängt viel ab. Das war’s. Solche Entscheidungen muss man glasklar mit sich selber treffen. Äußere Zwänge dürfen da keine Rolle spielen, sonst wird das eine ewige Hinterherweinerei.

Spielte Erwin Pröll eine Rolle?

Pröll: Er hat mich kurz nach dem Infarkt angerufen, auch später hatten wir Kontakt. Aber in der Frage der Entscheidung habe ich kein Gespräch mit ihm geführt.

Ist Ihr Rücktritt nicht auf die schwierigen Verhältnisse in der Partei und in der Koalition zurückzuführen?

Pröll: So ein Akutfall (Lungeninfarkt) hat sicher viele Gründe. Ich war natürlich in einem Mühlrad der extremen politischen Auseinandersetzungen in der Koalition und einer schwierigen Situation in der Partei. Keine Frage. Aber ein Parteiobmann muss damit leben, dass es Leute gibt, die klagen, die regionale Interessen und persönliche Karriereplanung in den Vordergrund stellen.

War es rückblickend ein Fehler, Vizekanzler, Finanzminister und Parteiobmann zu sein?

Pröll: Nein, das glaube ich nicht. Man darf nicht vergessen, mein erstes Jahr als Vizekanzler (2009) war ein Höhenflug, weil ich Finanzminister war. Andere Themen haben mehr an mir genagt. Zum Beispiel der Fall Strasser.

Haben Sie in den Wochen in der Reha-Klinik in Bayern, in der Nähe des Starnberger Sees, auch darüber nachgedacht, was passieren muss, damit die ÖVP wieder stärkste Partei wird und den Kanzler stellen kann?

Pröll: Das Schicksal der ÖVP liegt jetzt in den Händen von Michael Spindelegger, und ich werde mich hüten, irgendwelche Tipps zu geben. Ich bin überzeugt, dass er die ÖVP zur Nummer eins machen kann.

2009 lief es gut für Sie, damals wurden Sie als „heimlicher Kanzler“ bezeichnet. Wann ist der Faden gerissen?

Pröll: Der Punkt war für mich, dass der Koalitionspartner nicht bereit war, einen mutigen Sanierungskurs für Österreich zu gehen. Das war die große Auseinandersetzung 2010 – und die ging, wie man heute sieht, für beide nicht gut aus.

Haben Sie in Ihrer Grundsatzrede 2009 zu viel versprochen?

Pröll: Nein. Wenn man in der Politik nichts mehr öffentlich skizzieren darf, sondern nur noch Tagespolitik machen muss, dann fährt das Land irgendwann gegen die Wand. Ich habe versucht, eine Richtung aufzuzeigen, stehe zu 100 Prozent zu meinen Zielsetzungen. Einiges ist gelungen, anderes ist verhindert worden.

Wie schaut die Parteienlandschaft in 10, 15 Jahren aus?

Pröll: Ich glaube, dass politische Gruppierungen, die ganz zugespitzt auf charismatische Persönlichkeiten und ohne Strukturen flexibler sind, größere Potenziale haben werden als etablierte Parteien. Wir werden daher eine massive Veränderung der Parteienlandschaft miterleben.

Also das Ende der Volksparteien?

Pröll: Nein. Wir werden vielmehr Parteien sehen, die wie Kometen aufsteigen und dann schnell wieder verschwinden werden. Volksparteien werden auch in Zukunft das stabile Gerüst der Demokratie bilden. Die Verhältnisse werden allerdings volatiler. Die Frage ist, wie eine Volkspartei das auf Dauer aushält.

Wird sich die ÖVP mit ihren Bünden schwertun?

Pröll: Als Parteiobmann könnte man sagen, Bünde und Länder hemmen dich. Auf der anderen Seite muss man aber die Wahlkampfmobilisierung sehen; und da hat die ÖVP aufgrund ihrer Organisation großes Potential.

Werden Sie noch einmal in eine politische Funktion zurückkehren?

Pröll: Nein. Ich habe Landwirtschaft studiert, habe mich lange auch beruflich mit der Lebensmittelbranche auseinandergesetzt, und will dort, wo ich von meiner Ausbildung herkomme, wieder einsteigen. Damit sehe ich durchaus auch eine Botschaft für junge Menschen: Geht in die Politik, der Weg zurück in die Wirtschaft ist möglich! Um kurz auf die umstrittenen Aussagen von Andreas Treichl einzugehen: Wir brauchen uns beide: Politik und Wirtschaft. Jeder, der kritisiert, ist eingeladen, es in der Politik selbst zu versuchen – das ist Demokratie.

Haben Sie schon einen Job?

Pröll: Ich habe meine Vorstellungen im Kopf, aber keinen Termindruck.

Sehen Sie rückblickend auch große Fehler?

Pröll: Ohne Zweifel passieren Fehler …

… beispielsweise bei der Nominierung von Ernst Strasser zum Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl vor zwei Jahren?

Pröll: Von Strasser bin ich persönlich sehr enttäuscht. Aber bei der Nominierung konnte sein späteres Verhalten nicht erahnt werden. Für sein späteres Handeln trägt er allein die Verantwortung.

War die Budgetverschiebung im Jahr 2010 richtig?

Pröll: Ökonomisch war die Verschiebung sicher richtig, politisch war sie zu Recht diskussionswürdig.

Sind Sie von Bundeskanzler Werner Faymann enttäuscht?

Pröll: Enttäuscht ist das falsche Wort. Ich war eher überrascht, dass er so wenig Gestaltungswillen zeigt …

Sie haben als Finanzminister im Zuge des Euro-Rettungsschirms in Brüssel immer wieder mit Milliardenbeträgen jonglieren müssen.

Pröll: Das war sicher einer der politisch spannenden Momente für mich. Hier ging es um politisches Handeln in zugespitzten Notsituationen.

Aus dieser Notsituation ist Europa noch nicht entlassen.

Pröll: Aber sie ist beherrschbar.

Wird es den Euro in fünf Jahren noch geben?

Pröll: Ja. Der Euro bleibt eine starke weltweite Leitwährung.

Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten?

Pröll: Jetzt geht es um die ordentliche Hofübergabe in der Volkspartei. Dann werde ich mir noch ein wenig Auszeit gönnen, eine berufliche Entscheidung treffen, meinen Weinkeller herrichten und mehr Zeit mit meiner Frau und den Kindern verbringen.

 

Zum Kraft tanken in den Radlbrunner Weinbergen

Wer die Großstadthektik von Wien verlässt und eine Autostunde nach Nordwesten fährt, der kommt in eine andere Welt: Weinberge, Äcker, kleine Dörfer. Ruhe und frische Luft. Ex-Vizekanzler JosefPröll ist gerne im dortigen Radlbrunn. Nicht nur, weil es so erholsam ist, sondern vor allem auch, weil es seine Heimatgemeinde ist. Seine halbe Verwandtschaft lebt hier. Auch sein Onkel Erwin Pröll, der niederösterreichische Landeshauptmann. Sein Vater Martin und sein Bruder Andreas sind Winzer und besitzen an der Hauptstraße ein Haus mit großem Innenhof. Gut gelaunt empfing JosefPröll in diesem Gebäude gestern Vormittag Vertreter der Bundesländerzeitungen und der „Presse“ zu seinem einzigen Abschiedsinterview. Kein Zweifel: Nachdem er nach seinem Lungeninfarkt im März wochenlang im Spital in Innsbruck und in einer Rehaklinik in Bayern gewesen war, geht es ihm mittlerweile wieder gut. Der Ex-Vizekanzler lebt mit seiner Familie in Wien-Döbling. Wohin es ihn beruflich verschlagen wird, ist noch offen. Sicher ist aber, dass er künftig wieder öfter nach Radlbrunn kommen wird. In einer Kellergasse hat er sich ein Presshaus zugelegt, das seit den Achtzigerjahren nicht mehr als solches genützt wird. Spinnweben hängen darin von der Decke, verstaubte Flaschen liegen herum. Pröll will es wieder in Schuss bringen. Das ist sein nächstes Großprojekt.

(VN)

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