Serbiens Präsident Boris Tadic nahm sich am Montagabend kein Blatt vor den Mund. Nach einem Treffen mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy brachte der serbische Staatschef die Erwartungen Belgrads nach der kürzlich erfolgten Festnahme des früheren Militärchefs der bosnischen Serben, Ratko Mladic, auf den Punkt: Serbien erwarte den Status eines EU-Beitrittskandidaten vor Jahresende und den Beginn der Statusverhandlungen im Frühjahr 2012, gab sich Tadic mehr als deutlich.
Wird Belgrad das schaffen? Analysten in Belgrad sind derzeit eher skeptisch. Jahrelang galt der flüchtige Mladic als Haupthindernis im EU-Annäherungsprozess. Noch kürzlich schien seine baldige Festnahme so gut wie undenkbar – nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Meinung. Mehr als die Hälfte der Bürger Serbiens gaben bei Meinungsumfragen regelmäßig an, dass sie sich einer Überstellung Mladics an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien (ICTY) widersetzen würden. Vier Fünftel halten das Haager Gericht für eine politische und nicht eine juridische Institution.
Als Mladic dann am 26. Mai im Haus von einem seiner Cousins im Dorf Lazarevo in der Vojvodina festgenommen wurde, verlief seine Überstellung an Den Haag reibungslos. Große Proteste und gewaltsame Ausschreitungen, die die Behörden jahrelang als gewiss prophezeit hatten, sind ausgeblieben.
Ein Hindernis im EU-Annäherungsprozess ist damit behoben worden. Auf dem Weg zum Kandidatenstatus bleiben jedoch noch viele Aufgaben. Eine der wichtigsten betrifft die Regelung der Beziehungen zum Kosovo, dem jüngsten Land Europas. Belgrad lehnt die im Februar 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Landes von Serbien ab, ist aber bereit Fragen zu lösen, die das alltägliche Leben der Bürger betreffen. Seit März laufen unter der EU-Schirmherrschaft in Brüssel Gespräche über diverse offene Fragen. Ein erster konkreter Durchbruch wird beim nächsten Treffen der zwei Verhandlungsteams Mitte Juni erwartet. Es soll vor allem um die Regelung von Grundbüchern und Personenregistern, aber auch die Bewegungsfreiheit gehen. Auf dem Tisch liegen jedoch noch weitere offene Fragen.
Den Kosovo anerkennen will Serbien nicht, versicherte Präsident Tadic erneut am Montagabend. An Aktualität hat in Belgrad dieser Tage hingegen wieder einmal ein alter Vorschlag gewonnen. Es geht um den Grundlagenvertrag, mit dem die beiden deutschen Staaten ihre wechselseitigen Beziehungen 1972 geregelt hatten, ohne dass es zu einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die BRD gekommen wäre. Die Idee, auf ähnliche Weise die Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina zu regeln, war bereits 2007 vom Kosovo-Verhandler der EU, Wolfgang Ischinger, vorgeschlagen worden, um vom damaligen nationalkonservativen serbischen Regierungschef Vojislav Kostunica gleich wieder abgelehnt worden.
Im Bereich Reformen sind die serbischen Behörden seit letztem Herbst bemüht, im Eiltempo diverse Gesetze zu erlassen. Die ehemalige Vize-Außenministerin Aleksandra Joksimovic befürchtet, dass es sich dabei um eine umfassende und schwierige Aufgabe handle, versucht sie die Selbstzufriedenheit der serbischen Behörden nach der Festnahme Mladics zu dämpfen.
Viele Reformgesetze, die nun schleunigst verabschiedet werden sollen, sind den serbischen Behörden längst bekannt. Dennoch wurden sie in den letzten zehn Jahren immer wieder aufgeschoben. Dies bezieht sich namentlich auf die gesetzliche Regelung der Rückerstattung des nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten Vermögens. Die früheren Versprechen der Belgrader Behörden, dass das Gesetz vor Sommer im Parlament sein werde, wird offenbar fehlschlagen. Die Behörden hatten in den letzten Jahren errechnet, dass die Entschädigung der einstigen Besitzer eine Höhe von mehreren Milliarden Euro haben dürfte und ließen wiederholt wissen, dass es sich hier um eine “den Möglichkeiten des Staates” angepasste Vergütung handeln würde. Doch nicht einmal diese wurde umgesetzt. Der politische Analyst Milan Pajevic zweifelt gar an einem echten Willen der Behörden, diese wichtige Frage zu regeln.
Erst kürzlich wurden im Parlament die strittigen “Blanko-Mandate” aufgehoben, die Parteien volle Kontrolle über ihre Abgeordneten sicherte. In den kommenden Tagen soll nun endlich auch die Frage der Parteigelder gesetzlich transparent geregelt werden. Auch bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und Korruption muss Belgrad noch manches beweisen.
Dabei geht es eigentlich nicht nur um die Erlassung der Gesetze, sondern auch um ihre genaue Umsetzung. Gerade in diesem Bereich dürfte es noch länger Verzögerungen geben. Erst jetzt werde sich herausstellen, ob die serbischen Behörden wirklich den politischen Willen hätten, alle Voraussetzungen für die EU-Eingliederung zu erfüllen, meint Dragomir Jankovic vom Belgrader Europäischen Wirtschaftsinstitut. Mladic sei lange Zeit als Ausrede für den fehlenden politischen Willen genutzt worden – nicht nur in Serbien, auch in der Europäischen Union -, glaubt der Wirtschaftsexperte.
(Quelle: APA)