In Warschau, der größten jüdischen Stadt Europas, setzte der gescheiterte heldenhafte Ghetto-Aufstand gegen die militärisch übermächtigen Nazis einen tragischen Schlusspunkt. Bis vor wenigen Jahren war jüdisches Leben in Polen entweder orthodox oder völlig säkulär. Nun will das Reformjudentum überall im Land Gemeinden aufbauen.
Beit Warszawa, die Reformgemeinde in Warschau, begann 1999 mit zwei Mitgliedern. Inzwischen umfasst sie 200 Mitglieder und hat seit einem Jahr mit Burt Schuman einen hauptberuflichen Rabbiner. Rabbi Joel Oseran, Vizepräsident des Weltverbandes für Reformjudentum in Jerusalem, konnte sich bei einem Besuch kürzlich von einer lebendigen Gemeinde überzeugen, mit Menschen, die ihre jüdische Identität oft erst vor wenigen Jahren entdeckt haben.
Wir sind offen für alle, die auf der Suche sind, sagt Oseran. Vertreter der Reformgemeinde suchten in den vergangenen Monaten daher Kontakt zu Veranstaltungen, auf denen es um jüdisches Erbe in Polen oder interreligiösen Dialog geht. Und egal ob in Zielona Gora, in Danzig (Gdansk) oder Lublin – immer wieder kommen Menschen zu uns, die erst sagen, sie seien einfach nur neugierig und dann damit herausrücken, dass sie eigentlich jüdischer Herkunft sind, lächelt Schuman.
Viele Holocaust-Überlebende waren zu traumatisiert, um ihr Judentum an die Kinder oder Enkel weiterzugeben. Antisemitische Vorfälle im Nachkriegspolen führten ebenfalls dazu, dass viele ihre jüdische Identität verschwiegen. Erst nach dem Ende des Kommunismus kam es vor allem durch das Engagement amerikanisch-jüdischer Stiftungen wie etwa der Lauder-Stiftung zu einer Wiederbelebung religiöser Traditionen.
Ich hätte Lauder gesagt, er soll diversifizieren, sagt Rabbi Schuman. Denn bis auf Beit Warszawa sind alle jüdischen Gemeinden in Polen orthodox. Nur die orthodoxe jüdische Gemeinschaft ist zudem vom Staat anerkannt und der Vertragspartner, wenn es beispielsweise um die Rückgabe von Synagogen, Friedhöfen, Gemeindegebäuden und anderen Immobilien geht. Die Synagoge von Beit Warszawa war ursprünglich ein Wohnhaus im Warschauer Vorort Wilanow.
Wir wissen etwa aus unseren Erfahrungen in Russland, dass viele ohne religiöse Bindung aufgewachsene Juden Schwierigkeiten mit dem orthodoxen Leben haben, erklärt Rabbi Oseran die jüdischen Outings bei Veranstaltungen der Reformgemeinde. Ob es um religiöse Gebote, Speisevorschriften oder die Akzeptanz nichtjüdischer Partner geht, die Berührungsängste seien beim weniger rigiden Reformjudentum offenbar geringer. Deshalb soll im kommenden Jahr mit Beit Polska eine Dachorganisation für Reformgemeinden entstehen.
Was wir vor allem brauchen, sind Rabbiner, die die Sprache sprechen und die Mentalität der Menschen hier kennen, betont Rabbi Schuman. Der Anfang ist gemacht – ein junger polnischer Jude nimmt demnächst sein Studium am Abraham Geiger Kolleg für Rabbinerausbildung in Potsdam auf. Und im Herbst erhält Schuman Verstärkung durch Tanya Segal aus Israel. Was für ein Rollenmodell, schwärmt Schuman schon jetzt von seiner künftigen Kollegin. Die erster hauptamtliche Rabbinerin überhaupt in der Geschichte Polens – das wird eine echte Revolution!