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40 Jahre Auschwitz-Prozess

Als die Urteile im Frankfurter Auschwitz-Prozess fielen, herrschte im Saal eisiges Schweigen. Sechs Mal lebenslang, drei Freisprüche, elf Haftstrafen wegen Beihilfe zum Mord.

So sah die Reaktion der deutschen Justiz auf den Massenmord der Nationalsozialisten an Juden, Behinderten, Sinti und Roma aus. „Es ist, als ob ein Meer von Blut im Sand versickert”, schrieb der Korrespondent der französischen Zeitung „Le Monde”.

Ursprünglich hatten die Frankfurter Staatsanwälte gegen mehr als 500 NS-Verbrecher ermittelt. Am Ende ergingen ganze 20 Urteile. An diesem Samstag jährt sich der Prozessbeginn zum 40. Mal. Die eigentliche Bedeutung des Prozesses liegt aber nicht nur in den individuellen Strafen, sagt der Direktor des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, Micha Brumlik. Wie die meisten Zeitgeschichtler und Politologen betrachtet er den Auschwitz-Prozess als ersten Wendepunkt der kollektiven Erinnerung der Deutschen an die eigenen Verbrechen.

Die Zeitungen berichteten über Kadavergehorsam und Brutalität der Bewacher, der Name des Vernichtungslagers Auschwitz mit seinen mehr als einer Million Toten wurde zur Chiffre für den SS-Unrechtsstaat. Im Prozess gab es erste Antworten auf die noch gar nicht gestellten Fragen der 68er-Generation nach der Schuld der Väter.

Die allgemeine Stimmung im Nachkriegsdeutschland macht Brumlik an einer während des Prozesses im Film festgehaltenen Szene fest: Als die angeklagten SS-Offiziere zum Mittagessen den Gerichtssaal verließen, salutierten die Polizisten der Stadt Frankfurt.

Während der Ermittlungen musste der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer erhebliche Widerstände in der Justiz überwinden. Wichtigster Etappensieg des jüdischen Ex-Häftlings und Emigranten Bauer war 1959 die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, alle Auschwitz-Verfahren in Frankfurt zu bündeln. Bis dahin hatte sich keine bundesdeutsche Staatsanwaltschaft verantwortlich gefühlt.

„Die Justiz wollte da eigentlich nicht ran”, bestätigt der heute 79-jährige Jurist Heinz Dyx. Als Ermittlungsrichter sollte er die Ergebnisse der Staatsanwälte überprüfen. Die „Anregung” von höherer Stelle sei dahin gegangen, die ganze Geschichte in einzelne Verfahren aufzuteilen, was Bauer und auch er auf jeden Fall verhindern wollten. „Es kam ja darauf an, die Strukturen aufzuzeigen.”

Zweite treibende Kraft neben Bauer war der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Hermann Langbein, der viel Material heranschaffte und den Kontakt zu den in alle Welt verstreuten Überlebenden herstellte. Selbst der Eiserne Vorhang erwies sich für das Gericht als durchlässig, als es sich im Dezember 1964 zu einem Ortstermin nach Polen aufmachte.

Im Prozess traten Wissenschaftler auf, um ihre Erkenntnisse über das Vernichtungssystem der Nazis auszubreiten. Eindrucksvoller waren die Aussagen Überlebender Opfer, etwa über den SS-Oberscharführer Oswald Kaduk: „Wenn ich nur den Namen Kaduk höre, bekomme ich heute noch Angst.(…) Er war fast immer betrunken, auf der Suche nach Schnaps und schlug, erschlug, erdrosselte und erschoss Häftlinge.”

Auf der Anklagebank saßen letztlich 20 Männer. Auschwitz-Lagerkommandanten waren nicht dabei: Rudolf Höss war in Polen zum Tode verurteilt worden. Richard Baer in Untersuchungshaft gestorben.

Die ranghöchsten SS-Offiziere auf der Anklagebank waren die Adjutanten Robert Mulka und Karl Höcker. Neben ihnen saßen fünf Mitglieder der Lager-Gestapo, vier Aufseher, drei Sanitäter, drei KZ-Ärzte, der Lager-Apotheker, der Kleiderkammer-Verwalter und der einzige „Funktionshäftling”, der brutale „Kapo” Emil Bednark.

Zu den sechs zu lebenslanger Haft Verurteilten gehörte der „Teufel des Lagers”, Wilhelm Boger, der Häftlinge wahllos erschossen und in der berüchtigten „Boger-Schaukel” zu Tode geprügelt hatte. Eine Strafanzeige gegen ihn war der Auslöser des ganzen Verfahrens.

Das Schwurgericht und in der Revision auch der Bundesgerichtshof verlangten einen individuellen Tatnachweis, der nur mit Hilfe der Zeugenaussagen erbracht werden konnte. Bauers letztlich gescheiterte juristische Strategie war hingegen, dass es sich bei dem Massenmord um eine einheitliche Tat gehandelt habe, für die alle Beteiligten ohne Einzelbeweise zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Auf Grund der Gerichtslinie wurde der SS-Offizier Willi Schatz freigesprochen. Er stand zwar regelmäßig auf dem Dienstplan der berüchtigten Rampe, auf der die Häftlinge selektiert wurden in den Tod oder zum Arbeitseinsatz. Überlebende, die ihn dort tatsächlich gesehen hatten, konnten die Ankläger in Frankfurt nicht präsentieren.

APA143 “40 Jahre Auschwitz-Prozess” wurde im drittletzten Absatz der Name eines Gestapo-Mitglieds falsch geschrieben. Statt Wilhelm Bogner muss es richtig heißen: Wilhelm Boger rpt Boger. Entsprechend hieß das Folter-Gerät „Boger-Schaukel” (nicht: Bogner-Schaukel). dpa ersucht, den Namen zu berichtigen. KORRIGIERTE FASSUNG Deutschland/Nationalsozialismus/Holocaust/Jahrestag/Hintergrund 40 Jahre Auschwitz-Prozess – Wendepunkt der deutschen Erinnerung Utl.: Polizisten salutierten vor ehemaligen SS-Männern (Von Christian Ebner/dpa)

Frankfurt am Main (dpa) – Als die Urteile im Frankfurter Auschwitz-Prozess fielen, herrschte im Saal eisiges Schweigen. Sechs Mal lebenslang, drei Freisprüche, elf Haftstrafen wegen Beihilfe zum Mord – die meisten am unteren Rand des juristisch Möglichen. So sah die Reaktion der deutschen Justiz auf den Massenmord der Nationalsozialisten an Juden, Behinderten, Sinti und Roma aus. „Es ist, als ob ein Meer von Blut im Sand versickert”, schrieb der Korrespondent der französischen Zeitung „Le Monde”.

Ursprünglich hatten die Frankfurter Staatsanwälte gegen mehr als 500 NS-Verbrecher ermittelt. Am Ende ergingen ganze 20 Urteile. An diesem Samstag jährt sich der Prozessbeginn zum 40. Mal. Die eigentliche Bedeutung des Prozesses liegt aber nicht nur in den individuellen Strafen, sagt der Direktor des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, Micha Brumlik. Wie die meisten Zeitgeschichtler und Politologen betrachtet er den Auschwitz-Prozess als ersten Wendepunkt der kollektiven Erinnerung der Deutschen an die eigenen Verbrechen.

Die Zeitungen berichteten über Kadavergehorsam und Brutalität der Bewacher, der Name des Vernichtungslagers Auschwitz mit seinen mehr als einer Million Toten wurde zur Chiffre für den SS-Unrechtsstaat. Im Prozess gab es erste Antworten auf die noch gar nicht gestellten Fragen der 68er-Generation nach der Schuld der Väter.

Die allgemeine Stimmung im Nachkriegsdeutschland macht Brumlik an einer während des Prozesses im Film festgehaltenen Szene fest: Als die angeklagten SS-Offiziere zum Mittagessen den Gerichtssaal verließen, salutierten die Polizisten der Stadt Frankfurt.

Während der Ermittlungen musste der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer erhebliche Widerstände in der Justiz überwinden. Wichtigster Etappensieg des jüdischen Ex-Häftlings und Emigranten Bauer war 1959 die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, alle Auschwitz-Verfahren in Frankfurt zu bündeln. Bis dahin hatte sich keine bundesdeutsche Staatsanwaltschaft verantwortlich gefühlt.

„Die Justiz wollte da eigentlich nicht ran”, bestätigt der heute 79-jährige Jurist Heinz Dyx. Als Ermittlungsrichter sollte er die Ergebnisse der Staatsanwälte überprüfen. Die „Anregung” von höherer Stelle sei dahin gegangen, die ganze Geschichte in einzelne Verfahren aufzuteilen, was Bauer und auch er auf jeden Fall verhindern wollten. „Es kam ja darauf an, die Strukturen aufzuzeigen.”

Zweite treibende Kraft neben Bauer war der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Hermann Langbein, der viel Material heranschaffte und den Kontakt zu den in alle Welt verstreuten Überlebenden herstellte. Selbst der Eiserne Vorhang erwies sich für das Gericht als durchlässig, als es sich im Dezember 1964 zu einem Ortstermin nach Polen aufmachte.

Im Prozess traten Wissenschaftler auf, um ihre Erkenntnisse über das Vernichtungssystem der Nazis auszubreiten. Eindrucksvoller waren die Aussagen Überlebender Opfer, etwa über den SS-Oberscharführer Oswald Kaduk: „Wenn ich nur den Namen Kaduk höre, bekomme ich heute noch Angst.(…) Er war fast immer betrunken, auf der Suche nach Schnaps und schlug, erschlug, erdrosselte und erschoss Häftlinge.”

Auf der Anklagebank saßen letztlich 20 Männer. Auschwitz-Lagerkommandanten waren nicht dabei: Rudolf Höss war in Polen zum Tode verurteilt worden. Richard Baer in Untersuchungshaft gestorben.

Die ranghöchsten SS-Offiziere auf der Anklagebank waren die Adjutanten Robert Mulka und Karl Höcker. Neben ihnen saßen fünf Mitglieder der Lager-Gestapo, vier Aufseher, drei Sanitäter, drei KZ-Ärzte, der Lager-Apotheker, der Kleiderkammer-Verwalter und der einzige „Funktionshäftling”, der brutale „Kapo” Emil Bednark.

Zu den sechs zu lebenslanger Haft Verurteilten gehörte der „Teufel des Lagers”, Wilhelm Boger, der Häftlinge wahllos erschossen und in der berüchtigten „Boger-Schaukel” zu Tode geprügelt hatte. Eine Strafanzeige gegen ihn war der Auslöser des ganzen Verfahrens.

Das Schwurgericht und in der Revision auch der Bundesgerichtshof verlangten einen individuellen Tatnachweis, der nur mit Hilfe der Zeugenaussagen erbracht werden konnte. Bauers letztlich gescheiterte juristische Strategie war hingegen, dass es sich bei dem Massenmord um eine einheitliche Tat gehandelt habe, für die alle Beteiligten ohne Einzelbeweise zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Auf Grund der Gerichtslinie wurde der SS-Offizier Willi Schatz freigesprochen. Er stand zwar regelmäßig auf dem Dienstplan der berüchtigten Rampe, auf der die Häftlinge selektiert wurden in den Tod oder zum Arbeitseinsatz. Überlebende, die ihn dort tatsächlich gesehen hatten, konnten die Ankläger in Frankfurt nicht präsentieren.

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