Die Frau hatte am 19. November 2003 auf einer Gangtoilette ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht, nachdem sie vor ihrem Freund und sämtlichen Bekannten die Schwangerschaft verheimlicht hatte. Diese war angeblich die Folge einer Vergewaltigung durch zwei Unbekannte vor der Diskothek Volksgarten. Nach der Geburt wickelte die junge Frau das Kind in einen dicken Schal und brachte es in einen Park in Wien-Hernals, wo sie es neben dem Gehsteig ablegte.
In dem Moment wusste ich nicht, was ich tun soll. Ich war erschrocken. Ich kenne hier niemanden. Ich konnte nicht richtig denken, erklärte die gebürtige Polin dem Schöffensenat. Sie habe gehofft, dass jemand das Kind findet und mitnimmt.
Schwangerschaft verdrängt
Die Psychiaterin Sigrun Rossmanith bescheinigte der Beschuldigten eine so genannte Schwangerschaftsverdrängung: Bei dem Phänomen, das vor allem bei jungen, unreifen und undifferenzierten Frauen zu beobachten ist, wird die Schwangerschaft einfach nicht zur Kenntnis genommen. Die Betreffenden treffen keinerlei Geburtsvorbereitungen, nehmen auch kaum an Gewicht zu, praktizieren paradoxerweise zum Teil weiterhin geschützten Geschlechtsverkehr, um ja nicht ungewollt ein Kind zu bekommen.
Ein abnormes Verhalten, meinte Rossmanith. Die stark religiöse Grundhaltung der jungen Polin habe die geistig-seelische Störung vermutlich verstärkt: Die Stimme der Vernunft ist in diesem Zustand leise.
Baby-Körper bis heute nicht gefunden
Staatsanwältin Eva-Christine Schmid warf der jungen Frau Tötung eines Kindes bei der Geburt vor, obwohl das weggelegte Kind bzw. die Leiche trotz einer groß angelegten Suchaktion bis heute nicht gefunden werden konnte. Die Sache wurde bekannt, indem der Gynäkologe, den die Frau wegen starker Unterleibschmerzen konsultiert hatte, Alarm schlug.
Der Arzt hatte in seiner Ordination fest gestellt, dass der Geburtsvorgang bereits begonnen hatte. Er schickte die werdende Mutter sofort ins Spital. Als er dort anrief, stellte sich heraus, dass die 21-Jährige gar nie dort eingetroffen war.
Freund schaute Videofilme
Sie hatte sich stattdessen nach Hause bringen lassen. Während ihr Lebensgefährte mit Freunden Videofilme anschaute, zog sie sich mit der Erklärung, ihr würden Verdauungsprobleme zu schaffen machen, auf die Toilette zurück.
Kind könnte noch leben
Für das Gericht gab es keinen eindeutigen Beweis, dass das Neugeborene wirklich gestorben ist. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass jemand das noch lebende Kind an sich genommen hat, zumal sich die Stelle an einem durchaus belebten Ort befindet, hieß es. Daher wurde die 21-Jährige nicht im Sinn der Anklage verurteilt. Mildernd wurde ihr die außerordentlich große seelische Bedrängnis angerechnet, so dass von den 15 Monaten nur fünf unbedingt ausgesprochen wurden. Den Rest sah ihr der Senat auf Bewährung nach.
Angstzustände und Panikattacken
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Frau nahm die Strafe an, die Anklägerin gab vorerst keine Erklärung ab. Die 21-Jährige wird am Mittwoch das Gefängnis verlassen dürfen: Dann hat sie genau fünf Monate U-Haft verbüßt, die ihr auf die Strafe angerechnet wird. Nach Darstellung der Gerichtspsychiaterin hat sie in der Haft eine so genannte Anpassungsstörung entwickelt: Sie leidet unter Panikattacken und Angstzuständen und muss medikamentös behandelt werden.
Redaktion: Birgit Stadtthaler