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10 Jahre Schwarz-Blau - Bilanz ohne "Schüssel-Hype"

Drei Jahre nach Ende der Kanzlerschaft Wolfgang Schüssels (V) läuft die politikwissenschaftliche Aufarbeitung dieser Periode auf vollen Touren: Am Mittwoch wurden in Wien gleich zwei Bücher präsentiert, die sich mit dieser im Februar 2000 begonnenen Ära befassen.
Im Mittelpunkt steht dabei die Wende zur Konfliktdemokratie, der Umgang mit der FPÖ, aber auch Persönlichkeit und Führungsstil des Kanzlers. Schüssel selbst verweigerte sich den Fragen der Wissenschafter.

Fritz Plasser, zusammen mit Günter Bischof Herausgeber des auf Englisch erschienenen Sammelbandes “The Schüssel Era in Austria”, sprach vor Journalisten von einem “Kontrastprogramm zum Schüssel-Hype Anfang Februar”, als sich die Angelobung der schwarz-blauen Bundesregierung zum zehnten Mal jährte. Im einleitenden Essay von Peter Gerlich fällt die Bilanz entsprechend durchwachsen aus. Auf der positiven Seite vermerkt er das ambitionierte Programm zum Aufbrechen verkrusteter Strukturen sowie Schüssels taktisches Talent, als Schwächen den Hang zur Selbstüberschätzung, die gestörte Beziehung zu den Massenmedien oder den Tabubruch, zusammen mit politischen Außenseitern zu regieren.

Plasser nannte Schüssels “mangelnde Sensibilität für soziale Alltagsprobleme” als dessen entscheidenden Schwachpunkt aus demoskopischer Sicht. Diese habe 2006 – in Zusammenhang mit der Pflegedebatte – letztlich zur Wahlniederlage geführt. Die Jahre davor, konkret ab 1995, als Schüssel die Obmannschaft in der ÖVP übernahm, charakterisierte er unter Bezugnahme auf die Wahlergebnisse als Hochschaubahnfahrt mit Desastern und triumphalen Wahlsiegen.

Geblieben sei von der Ära Schüssel vor allem die Neudefinition des öffentlichen Sektors und des Wohlfahrtsstaates, so Plasser unter Verweis auf die Pensionsreform 2003. Anton Pelinka sieht den ÖVP-Kanzler im Kontext einer internationalen Transformation des politischen Systems, er sei in vieler Hinsicht mit dem Wind gesegelt und habe – etwa bei Privatisierungen oder der Universitätsreform – schlicht den Kurs früherer Regierungen fortgesetzt.

Einigkeit herrschte unter den Wissenschaftern darüber, dass die “Wende” zur Koalition mit der FPÖ diese nicht gezähmt habe. Sehr unterschiedlich allerdings die Interpretationen, inwiefern dies alles geplant war. Während Gerlich die schwarz-blaue Koalition als “bewussten Tabubruch” einschätzte und die Theorie aufstellte, “dass Schüssel von Anfang an die Sanktionen geplant hat”, sprach Pelinka vom Versuch, sich nach einer katastrophalen Wahlniederlage zu retten: “In Wirklichkeit ist es um das politische Überleben des Wolfgang Schüssel gegangen. Das hat er geschafft.”

David Wineroither, Autor von “Kanzlermacht – Machtkanzler?”, meinte, dass Schüssel keine Wende zur Kanzlerdemokratie, sehr wohl aber zur Konfliktdemokratie geschafft habe. Seine mäßige persönliche Popularität habe der Kanzler machtpolitisch gut durch andere Talente – als Verhandlungstaktiker und “passabler Wahlkämpfer” – kompensieren können. Größter Profiteur der Ära Schüssel sei die ÖVP gewesen, die daraus gelernt habe, sich die strategische Option einer Koalition mit der FPÖ auch in Zukunft offen zu halten.

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