AA

„Sorry, das ist Euer Krieg“

Es ist eine Gratwanderung zwischen Prinzipien- und Bündnistreue, was der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder den Spitzen der Fraktionen am Mittwoch als Haltung der Regierung in der Irak-Frage verkündete:

Keine direkte deutsche Beteiligung an einem möglichen US-Angriff auf Irak, weder mit Soldaten noch mit Geld, aber volle Bewegungsfreiheit der US-Armee in Deutschland zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Dazu Unterstützung für das befreundete Israel, dem geholfen wird, sich gegen Rache-Angriffe aus Bagdad besser verteidigen zu können.

Deutlich wurde am Mittwoch wieder einmal, wie Dementis von Politikern zu bewerten sind. Am Montag hatte Verteidigungsminister Peter Struck noch versichert: „Es gibt keine Anforderung der Amerikaner zu ’Patriot’-Raketen.“ Jetzt berichtete Schröder, auf dem Wunschzettel der Amerikaner stehe auch „regionale Raketenabwehr“. Somit hatte Struck eine nur formal richtige Antwort gegeben. Denn „regionale Raketenabwehr“ kann, muss aber nicht das „Patriot“-System sein – zur Abwehr gegnerischer Raketen verfügt die Bundeswehr auch über die Systeme „Roland“, „Hawk“ und „Stinger“ – und nichts davon soll gegen Irak eingesetzt werden dürfen.

Nicht nur die Raketenabwehr-Fähigkeiten will Deutschland den USA verweigern, auch die ABC-Abwehr. Das tut weh, denn über Systeme von der Qualität der „Fuchs“-Spürpanzer verfügt keine andere NATO-Armee. Bleibt Schröder bei seiner Linie, dann kommen die in Kuwait stationierten sechs „Fuchs“-Spürpanzer selbst dann nicht zum Einsatz, wenn sich die Iraker mit biologischen oder chemischen Waffen gegen den US-Angriff wehren. Von militärischer Seite wird darauf verwiesen, dass die 52 bei den Panzern in Kuwait stationierten ABC-Abwehrspezialisten im Ernstfall nicht ausreichten, um die Systeme einzusetzen. Politisch beharrt Schröder darauf, dass die Panzer im Rahmen des „Enduring-Freedom“-Mandats für Anti-Terror-Einsätze bereit stehen, nicht aber für einen Krieg gegen Irak.

Auch wenn das in der Praxis schwer vorstellbar ist, müssten die Panzer also im Ernstfall unter ihren Tarnnetzen bleiben, und die Antwort an die USA würde lauten: „Sorry, das ist Euer Krieg.“ Jedem anderen Vorgehen müsste, wenn die Regierung es denn wollte, der Bundestag zustimmen. Allerdings ist auch das, was Schröder den USA und möglichen weiteren Kriegsteilnehmern zugesteht, nicht gering zu bewerten: Überflugrechte, reibungsloser Truppen-Transit, volle Nutzung der militärischen Einrichtungen in Deutschland, Sicherstellung des Schutzes dieser Einrichtungen. Im Golfkrieg 1991 war Deutschland für die US-Armee wichtigste Nachschubbasis und Transitstation. Unter anderem wurde die gesamte Treibstoffversorgung der Truppe von Deutschland aus geleistet.

Was Israel angeht, das bereits im letzten Golfkrieg als unbeteiligtes Drittland mit Scud-Raketen aus Irak beschossen worden war, so ist Deutschland nicht nur moralisch zur Hilfe verpflichtet. Schröder kann sich auch auf seinen Amtsvorgänger Helmut Kohl berufen, der Israel seinerzeit „Patriot“-Systeme gegen Saddam Husseins Raketen überlassen hatte. Doch auch hier bleibt Schröder vorsichtig: Die in Rede stehenden zwei „Patriot“-Systeme – jedes mit einem Feuerleitstand, Radar und acht Startgeräten für jeweils vier Raketen – sowie eine noch nicht bekannte Zahl von Fuchs-Spürpanzern werden Israel ohne deutsche Soldaten erreichen. Es gehe lediglich um Überlassung oder Verkauf des militärischen Geräts, betonte Schröder.

Für die Bundesregierung ist diese Gratwanderung zwischen den unterschiedlichen Interessen nicht ohne Risiko. Politisch dürften die Zugeständnisse an die USA nicht ausreichen, um das belastete Verhältnis zwischen Berlin und Washington dauerhaft zu verbessern. Juristisch wird viel davon abhängen, ob ein möglicher US-Angriff auf Irak vom Weltsicherheitsrat gedeckt wird oder nicht. Wenn nicht, könnte die Haltung der Bundesregierung als Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges ausgelegt werden. Das ist vom Grundgesetz verboten und würde nach Paragraf 80 des Strafgesetzbuches „mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren“ geahndet.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • „Sorry, das ist Euer Krieg“
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.