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„Geschlechtergerechte“ Sprache

„Wir können nicht mehr so sprechen wie vor zwanzig Jahren.“ Die Forderung nach „geschlechtergerechter“ Sprache ist für viele Frauen keineswegs bloße Pedanterie.

Die Anfang der siebziger Jahre in den USA begründete und etwas später auch in Deutschland aktiv gewordene feministische Sprachwissenschaft hat mit ihren Argumenten inzwischen zwar manches bewirkt, doch sind Frauen bei Personenbezeichnungen vielfach immer noch nur „mitgemeint“. So war bei der Hochwasserkatastrophe in Ostdeutschland die Rede von Helfern und Spendern, aber kaum von Helferinnen und Spenderinnen. „Der Anteil der Frauen an der Gesellschaft wird quasi unsichtbar“, konstatieren Feministinnen.

In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Muttersprache“ (Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden) werden zwei neue Studien zum Thema vorgestellt, die auch Anlass geben zu einer Bestandsaufnahme. Eine der Initiatorinnen der Kampagne in Deutschland, die Linguistikprofessorin Luise F. Pusch (Hannover), verzeichnet hier zu Lande insgesamt eine bemerkenswert gewachsene Sensibilität für das Anliegen. „Wir können nicht mehr so sprechen wie vor zwanzig Jahren“, sagte sie im Gespräch mit der dpa.

Die Autorin des Buchs „Das Deutsche als Männersprache“ verweist vor allem auf die Bereiche Politik und Kirchen und „insgesamt das linke und fortschrittliche Spektrum“. Bei der Anrede hat sich praktisch überall die Doppelform durchgesetzt: „Liebe Leserinnen und Leser“. Auch in Gesetzestexten und Formularen werden die Frauen ausdrücklich genannt. Bei der Werbung spricht Pusch von überwiegender Wandlung – „wenn auch manche das Problem ignorieren und manche es auch schick finden, es zu ignorieren.“

Nur sehr beschränkt durchgesetzt haben sich die propagierten Schreibweisen mit Schrägstrich (der/die Deutsche) und Binnen-I (BürgerInnen). Kritiker bezeichnen sie als unsprechbar und empfinden sie auch als störend für das lesende Auge. Pusch bemerkt dazu: „Das gerade ist beabsichtigt gewesen – als Lerneffekt oder Einfühlungstraining für die Männer.“

Kaum eine Chance hatte die Realisierung der Idee, die maskuline Bezeichnung für gemischtgeschlechtliche Personengruppen durch die feminine Bezeichnung zu ersetzen, also durchgängig von etwa Ärztinnen oder Bäuerinnen zu sprechen. Zur Rückläufigkeit bei der Durchsetzung einiger feministischer Forderungen macht Pusch darauf aufmerksam, dass die Reformbewegung inzwischen dreißig Jahre alt ist und „also nicht mehr schick und jung“, und sie auch auf eine „gewisse Verachtung des Alten trifft“. Die Professorin hielte es für nützlich, entwickelte sich die feministische Linguistik in Richtung einer permanent kritischen und protestierenden Bewegung gegenüber der Gesellschaft – ähnlich etwa wie amnesty international und Greenpeace.

Der „Muttersprache“-Bericht gilt zwei weitgehend repräsentativen Studien. Sie weisen nach, dass eine geschlechtergerechte Sprachpraxis nicht umständlich und unelegant sein muss, nicht die Qualitätskriterien der Einfachheit, Leseflüssigkeit, Prägnanz und Interessantheit zu verletzen braucht. Ein der Untersuchung zu Grunde gelegter Text, in dem das Geschlechterverhältnis der beschriebenen Personengruppe 50:50 ist, wechselt ab zwischen der Doppelform, der allein maskulinen Bezeichnung und neutralen Bezeichnungen (etwa Personen, die. ., diejenigen, die. ..). Professorin Pusch kann dem „als Pragmatikerin absolut zustimmen“, sieht hier eine ebenso praktikable wie durchsetzbare Position.

Sie selbst hat einen „Mix“ von Möglichkeiten definiert, den sie DNA nennt – nämlich die Doppelform, die Neutralisierung und die Abstraktion (Regie statt Regisseur). Sie lässt auch die „Textkohärenz“ gelten: Wenn zum Beispiel einmal von Zuhörerinnen und Zuhörern gesprochen wird, kann in den nächsten zwei Sätzen die Doppelform auch wegfallen.

Was die Zukunft angeht, so setzt Luise F. Pusch „in gewisser Weise“ auf die Globalisierung als „einen ganz anderen Ausweg aus dem Problem“. Nämlich durch eine hier und auch woanders zu erwartende zusätzliche Kenntnis des Englischen, also einer Sprache, in der fast alle Personenbezeichnungen neutral sind: the doctor, the painter – das kann ein Mann oder eine Frau sein.

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