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„Zukunft des Landes gründet auf sozialer Balance“

Küberl im Interview.
Küberl im Interview. ©Hans Zellhofer
Caritas-Präsident nimmt im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten Stellung zur Armutssituation in Österreich.

Wir stehen kurz vor dem Weihnachtsfest. Das Geschäft mit den Geschenken läuft wie geschmiert. Wie geht es den Österreichern 2010?

Küberl: Wir haben in Wahrheit zwei Sorten Österreicher. Die kauflustigen bis -süchtigen Österreicher, die eine Art Generalheurigenstimmung produzieren. Und wir haben eine Unterschicht in Österreich, bestehend aus rund einer Million Menschen, die in Wirklichkeit an den Rand gedrängt leben. Der Advent wäre die Gelegenheit, uns darüber klar zu werden, wie der Gesamtzustand des Landes ist. Wir stehen nämlich einer großen Solidaritätsaufgabe gegenüber.

Die Caritas nennt konkrete Zahlen: 492.000 Menschen, darunter 130.000 Mädchen und Burschen, leben demnach in Armut. Woher wissen Sie das eigentlich so genau?

 Küberl: Die Zahlen stammen von der Statistik Austria.

Und die stützt sich wieder auf SILC, eine Erhebung, die jährlich Informationen über die Lebensbedingungen der Privathaushalte in der EU sammelt. Die Frage ist doch: Reicht das aus? Wissen wir genug über die Armen in unserem Land?

 Küberl: Wir haben die Situation, dass es den meisten Menschen gut bis sehr gut geht in Österreich. Armut ist ein Minderheitenproblem. Und es ist eine Eigenart reicherer Gesellschaften, dass das Gespür nachlässt für die Armut. Zumal Arme in solchen Gesellschaften sich hüten, erkannt zu werden. Die statistischen Aussagen sagen dennoch viel aus: Dass jemand weniger als 744 Euro haben muss, um als arm zu gelten, und dass von fünf Armutskriterien mindestens zwei vorhanden sein müssen. Glauben Sie mir, es ist nicht leicht, manifest arm zu sein.

Eine Million Österreicher gelten als armutsgefährdet.

 Küberl: Das bedeutet nicht, dass sie arm sind. Aber schon ein plötzliches Ereignis reicht, dass ihre Lage kippt: Krankheit, ein Todesfall in der Familie, Jobverlust – es sind die ganz klassischen Ursachen.

2010 geht als das europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu Ende. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Zufrieden?

 Küberl: Man muss nüchtern bilanzieren. Positiv war die europaweite Komponente. Warum? Die EU hat in ihrer Geschichte das Soziale nicht als elementaren Teil. Sie ist eine wirtschaftliche, politische Union. Sie wird aber auf Dauer nur existieren, wenn sie auch eine soziale Union wird. Die Frage ist, ob sich die Mitgliedstaaten dessen bewusst sind. Andererseits ist das Ergebnis ernüchternd. Wir haben es bei der Budgetentwicklung in Österreich gesehen: Ich erinnere nur an die sehr holprige Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die es erst in drei Bundesländern gibt. Und die sprachliche Begleitmusik war auch nicht von der feinen Art. Dabei geht es doch eigentlich um einen vernünftigen Zugang zum Sozialstaat. Aber heuer haben sich viele mehr als einmal das Maul zerrissen.

Welche Rezepte hat die Caritas in der Schublade, sollte die FPÖ nach den nächsten Nationalratswahlen in die Regierung einziehen?

 Küberl: Die Caritas hat keine Rezepte für den Umgang mit Ministern, das ist nicht unser Job. Ich kann nur aufmerksam machen darauf, dass es ungeheuer wichtig ist, dass man sich um die kleinen Leute kümmert. Die vernünftige Zukunft des Landes gründet auf sozialer Balance. Ich denke, dass die Mehrheit der Leute das einsieht und spürt, dass es das Richtige ist. Wir brauchen klare Formen des Bemühens. Die Mindestsicherung ist nur ein Baustein der Armutsbekämpfung. Wohnen, Gesundheit, Bildung, Erwerbsarbeit – da gibt es noch viel zu tun.

Wie lange, denken Sie, hält die schwarz-rote Koalition noch durch?

 Küberl: Die nächsten Nati­onalratswahlen sind, soweit ich weiß, 2013. Was bis dahin sein wird, weiß niemand. Ich habe schon erlebt, dass diese Regierung in Umfragen 65 Prozent der Stimmen erreichte. Das ist ein ständiges Auf und Ab. Richtig ist, dass es eine Menge an sozialen Fragen gibt, die zu bewältigen sind. Mir wäre recht, wenn die Regierung vor der Armut mehr Angst hätte als vor den Reichen. Ich denke auch, dass in der Frage der Integration eine Menge Themen zu bewältigen sind. In einer ganzen Reihe von Bundesländern ist auch schon viel geschehen. Da ändert sich das Grundwasser langsam. Es ist allerdings keineswegs so, dass wir, wenn wir all diese Fragen gelöst haben, knapp unterm Himmel wohnen. Da stehen noch acht bis zehn andere große Fragen zur Klärung an: Energie, Klima, Mobilität usw.

Wir sind nicht gerade Weltmeister im Lösen von Problemen?

 Küberl: Wir leiden in Österreich unter einer regelrechten Problemphobie. Dabei braucht man geradezu Lust, um Probleme zu bewältigen.

Hat eigentlich die Spendenbereitschaft der Österreicher in der Krise nachgelassen?

 Küberl: Das Spendenaufkommen der Caritas war heuer positiv. Die beiden Katastrophen in Haiti und Pakistan haben zudem eine sehr große Solidarität hervorgebracht.

Die in Haiti nach den Bildern der Unruhen markant nachgelassen haben dürfte.

 Küberl: Bei solchen Großereignissen spielt sich alles in den ersten drei Wochen ab. Wir haben in Österreich rund sechs Millionen Erwachsene. Davon spenden uns rund eine Million Geld. Alle würden aber für sich in Anspruch nehmen: Wir sind Spendenweltmeister.

Heute, am Donnerstag, zünden Christen in ganz Österreich auf Straßen und Plätzen Kerzen an in der Caritas-Aktion „1 Million Sterne“. Worum geht’s Ihnen dabei?

 Küberl: Wir wollen ein Zeichen der Solidarität setzen, ein starkes adventliches Zeichen. Zeigen, dass Licht die Dunkelheit bricht.

So, wie der E-Mail-Protest gegen die Kürzung der Entwicklungshilfegelder der Bundesregierung Zeichen setzt? Die Regierung will bis 2014 insgesamt 83 Millionen Euro in der operativen Entwicklungshilfe einsparen. Auf Ihr Geheiß hin haben Politiker 23.302 Protestbriefe erhalten. Sie sind fast erstickt in Post.

Küberl: Ich bin über diese Rückmeldungen wahnsinnig froh. Bis jetzt hatte man immer den Eindruck, die Entwicklungshilfe läge nur ein paar professionellen Kritikern am Herzen. Aber jetzt wissen wir, dass sie vielen Tausend Menschen wichtig ist. Ich bin fest überzeugt davon, dass sich die Politik eine Änderung des Budgetvoranschlags und der Pläne bis 2014 überlegen wird.

Was wünschen Sie sich eigentlich zu Weihnachten?

 Küberl: Am meisten wünsch ich mir, dass es niemanden gibt, der zu Weihnachten allein ist. Und dann wünsch ich mir, dass möglichst alle Leute in Österreich an Weihnachten ein Gespür entwickeln dafür, dass es in ihrem Bekanntenkreis auch Leute geben kann, denen es nicht so gut geht. Dann könnten sie kleine Brücken bauen. Das wäre dann die direkte Übersetzung von der Geschichte des Kindes in der Krippe.

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