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„Wiener Modern“: Philharmoniker bestachen und empörten im Konzerthaus

Die Welt dreht sich langsamer, als man denkt. Von modern bis zeitgenössisch reichte das Spektrum der Wiener Philharmoniker Samstagabend im Konzerthaus.

Am Pult ein Experte für derlei: Der Brite Jonathan Nott, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Wer aber glaubt, Luciano Berio, Georg Friedrich Haas und Witold Lutoslawski seien mittlerweile durchwegs anerkannte Größen, hat sich geirrt. Noch immer sorgen die Werke, die teils schon konventionell wirken, für Empörung, zumindest bei kleinen Teilen des Publikums. Wer in der Pause nicht gegangen war, jubelte.

Britischer geht es nicht: Nott leitete erstmals die Wiener Philharmoniker und machte das mit einer Eleganz, als würde er Tee umrühren. Er ließ seine Arme mit Genuss durch die Luft tanzen, ausufernde Emotionen waren dabei unschicklich. Was sich an diesem Abend auf zwei Arten auswirkte: Zum einen fanden die Philharmoniker einen fast glasigen und eleganten Klang, zum anderen drohten sie, aufgrund mangelnder Impulse rhythmisch nach hinten zu fallen und wegzudriften.

Zuerst der Kraftakt: Berios „Sinfonia“ vereinte Orchesterapparat und das Vokalensemble NOVA, Klang- und Sprachtexturen entzündeten ein Assoziationsfeuerwerk. Texte von Samuel Beckett und Claude Levi-Strauss bis hin zum Abendprogramm gerieten an Huldigungen an Gustav Mahler und Martin Luther King. Was viel technische Ausstattung und noch mehr Selbstbeherrschung unter den Musikern verlangte. Das vom Schlagwerk polyrhythmische unterwandern der Strukturen ging auf, das Traumhafte dieser Komposition forderte jedoch das erste Opfer:
Eine jugendliche Konzertbesucherin konnte nicht mehr. Theatralisches Verlassen des Saals.

Noch mehr Besucherschwund gab es nach Haas’ „Konzert für Violoncello und Orchester“. Solist Truls Mork spielte mit lyrisch und pastos gegen die auskomponierte Kakophonie des Orchesters an. Der Existenzkampf gegen wild wuchernde Obertonreihen wurde verloren. Und Haas – er erschien am Ende selbst auf der Bühne – bewies, dass seine Kompositionen das Potenzial zum Klassiker haben. In diesem Fall mit einer bestechend schlüssigen Struktur.

Nach eineinhalbstündigem Verweilen im Konzerthaus war Lutoslawski „Konzert für Orchester“ beinahe zu viel. Missen wollte man es auch nicht, ein archaischer Abschluss. „Hätte ich so etwas hören wollen, wäre ich zu ’Wien Modern’ gegangen“, hatte zuvor eine Dame beim Verlassen des Konzerthauses in der Pause gesagt. Kann man haben: Das Konzert wird am Montag um 19.30 Uhr im Rahmen des Festivals wiederholt.

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