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„Honour Bound“: Berührendes Theater

Starkes politisches Statement bei den Wiener Festwochen: Eine berührende Geschichte über den australischen Häftling David Hicks im US-Gefangenenlager Guantanamo.

Auch vor den Wiener Festwochen macht die Politikverdrossenheit des Publikums anscheinend nicht halt. Die australische Produktion „Honour Bound“, die sich mit den Zuständen im US-Gefangenenlager Guantanamo auseinander setzt, schien gestern, Dienstag, bei ihrer Österreichpremiere zu schwere Kost für einen Frühsommerabend zu sein. Auch in den vorderen Reihen blieben viele Plätze leer, die Halle E im Museumsquartier war bei weitem nicht ausverkauft. Doch all jene, die nicht kamen, versäumten beeindruckendes Körpertheater, das auch jenseits der politischen Botschaft überzeugte.

An Aktualität mangelt es der Inszenierung des britischen Regisseurs Nigel Jamieson ebenfalls nicht. Schließlich kehrte David Hicks, der mehr als fünf Jahre ohne Anklage als Terrorverdächtiger in Guantanamo einsaß, vor zwei Tagen in seine Heimat Australien zurück. Bei seinem späten Prozess vor einem amerikanischen Militärtribunal hatte sich der 31-Jährige überraschend schuldig bekannt und darauf verzichtet, Anklage wegen Misshandlung zu erheben und ein Jahr lang Interviews zu geben – bis nach der anstehenden Wahl. Ein fragwürdiger Deal, um endlich frei zu kommen. Doch auch durch diesen aktuellen Anlass ließ sich das fern gebliebene Publikum nicht dafür begeistern, sich mit der heiklen Situation von US-Gefangenen auseinanderzusetzen.

Jamieson verzichtet in „Honour Bound“ auf gesprochenen Text, direkte Anschuldigungen kommen vom Band. Interviews mit den Eltern von David Hicks, Auszüge aus Menschenrechtserklärungen, Briefe des Gefangenen sowie Anordnungen des ehemaligen US-Verteidigungsministers Rumsfeld sprechen für sich. Auf der Bühne setzt man hingegen auf bewegendes Körpertheater, das auf atemberaubende Art und Weise mit dem multimedialen Bühnenbild (Nigel Jamieson, Nicholas Dare) interagiert.

In einem überdimensionalen, zum Zuschauerraum offenen Käfig agieren sechs Tänzer in oranger Häftlings-Montur. Im Blitzlichtgewitter, unter kreisenden Hubschrauberscheinwerfern und einsamen Spots schweben sie an Seilen durch den Bühnenraum. Mit diesem Trick gelingt es Regisseur Jamieson, seine Akteure im wahrsten Sinne des Wortes vor Verzweiflung die Wände hochgehen zu lassen. Besonders beeindrucken: Während die Menschenrechtserklärung im rasenden Tempo ähnlich einer in der Ferne verschwindenden Straße auf die Rückwand projiziert wird, läuft einer der Tänzer wie von Geisterhand bewegt mit dieser Straße der Gerechtigkeit um die Wette.

So effektvoll Jamiesons Regieeinfälle auch sein mögen, sie wirken nie aufgesetzt. Vielmehr dienen sie der Veranschaulichung der Verzweiflung der gefolterten Häftlinge, die mit Tritten, Schlägen und sexuellen Übergriffen gedemütigt werden. Im Bühnenhintergrund befindet sie eine winzige Zelle, in der die Akteure den Terror der Einzelhaft überzeugend visualisieren. Im ständigen Kontrast zu den unwirklichen Bildern stehen Videoprojektionen mit Interviews der Eltern oder realen Bildern aus dem Gefangenenlager. Das Sound-Design von Paul Charlier spielt stets mit Anspannung und Entspannung, die zurückhaltenden deutschen Voice-Overs ermöglichen dem Zuschauer, das Wichtigste mitzuverfolgen.

„Honour Bound“ ist ein multimediales Gesamtkunstwerk, die Leistungen der Tänzer, die den Spagat zwischen ästhetischem Körpertheater und der Vermittlung von politischen Inhalten bravourös meistern, runden die 60-minütige Performance ab. Jamieson vermeidet den Zeigefinger, die grotesken Vorgänge in Guantanamo erschließen sich wie von selbst. Dieser Inszenierung, die in den kommenden Monaten durch Europa tourt, ist nur mehr eins zu wünschen: mehr Publikum.

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