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Staatsanwalt: Tatauftrag Kadyrows "naheliegend"

Prozess gegen drei Männer wegen Mordes im Fall Israilov im Grossen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts
Prozess gegen drei Männer wegen Mordes im Fall Israilov im Grossen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Staatsanwalt Leopold Bien rollte in seinem Plädoyer den Fall in allen Details auf: Von den politisch-historischen Rahmenbedingungen Tschetscheniens und seiner Diaspora über eine ausführliche Beschreibung der drei Angeklagten und ihrer Rollen bis hin zur genauen Darstellung des Mordes an Umar Israilov.
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Eines ließ Bien offen: Ob der Auftrag für die Entführung bzw. Ermordung Israilovs vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow direkt kam oder von einem Emissär, der wenige Monate vor dem Verbrechen am 13. Jänner 2009 nach Wien gereist und vom Erstangeklagten in Empfang genommen worden war. Rund zwei Stunden hatte der Ankläger für seinen Eröffnungsvortrag veranschlagt, den er mit Hilfe einer Powerpoint-Präsentation bestritt.

Zur möglichen Verantwortung Kadyrows sagte Bien: “Fraglos scheint es naheliegend, dass er persönlich den Auftrag zur Tat erteilt hat. Es existiert auch ein Tatverdacht.” Bien verwies aber darauf, dass es “abgestufte Beweislagen” gibt. Bei Kadyrow “erlaubt es die Beweislage nicht, eine persönliche Verantwortung mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen”.

Bien erzählte den Geschworenen von den Kriegen in Tschetschenien, “einem Land so groß wie die Steiermark”, in den 90er Jahren. Im zweiten Krieg, der offiziell zumindest 2001 beendet wurde, hatten die Russen die Kaukasusrepublik, die eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung aufweist, wieder unter Kontrolle gebracht. Präsident war danach zunächst Ramsans Vater Achmat Kadyrow, der 2004 bei einem Bombenanschlag ums Leben kam. Ramsan, berüchtigt wegen der ihm mit seiner Privatarmee Kadyrowski zugeschriebenen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, übernahm die Macht. Er bemühe sich offiziell um eine Normalisierung der Lage und eine Rückkehr der tschetschenischen Diaspora, gelte aber auch als mutmaßlicher Drahtzieher von Mordanschlägen, unter anderem in Dubai und Istanbul.

Auch Israilov hatte dem Staatsanwalt zufolge Grund, den Präsidenten zu fürchten. Er sei 2001 der tschetschenischen Guerilla beigetreten und 2003 gefangen genommen worden. Unter Folter, an der sich Kadyrow persönlich beteiligt haben soll, sei er gezwungen worden, in die persönliche Leibgarde des Präsidenten einzutreten. “Eine seltsame Rekrutierungspolitik”, wie Bien bemerkte. 2004 flüchtete Israilov mit seiner Frau über Polen nach Österreich, wo er schließlich in einer kleinen Wohnung in Wien-Floridsdorf bis zu seinem Tod lebte. Auslöser der Ereignisse im Jänner 2009 könnte unter anderem eine Anzeige gewesen sein, die Israilov am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den Präsidenten erstattete.

Zum Erstangeklagten Otto K. bemerkte der Staatsanwalt zwar, dass er Finanzdirektor der tschetschenischen Regierung vor dem zweiten Einmarsch Moskaus gewesen sei, aber in tschetschenischen Kreisen bald im Ruf stand, ein Anhänger Kadyrows zu sein. Nicht zuletzt private und sehr persönliche Fotos würden zeigen, “dass er mit Kadyrow persönlich bekannt und wohl auch befreundet ist”. Otto K. soll dem Zweitangeklagten Suleyman D. und dem mutmaßlichen Todesschützen Letscha B. den unmittelbaren Auftrag für die Tat erteilt haben.

Suleyman D., der untern anderem bei den Taliban eine militärische und bei den Russen eine nachrichtendienstliche Ausbildung erhalten haben soll, ist dem Vortrag des Staatsanwalts zufolge massiv in der Planung des Unternehmens eingebunden gewesen. Letscha B., der nach wie vor gesuchte mutmaßliche Todesschütze, galt als “Mann fürs Grobe”, so Bien. Er habe sich, als man noch nichts von seiner mutmaßlichen Tatbeteiligung im Fall Israilov wusste, ins Ausland abgesetzt, sei dabei aber nicht untergetaucht. Er sei jetzt örtlicher Milizkommandant in Tschetschenien, was dem Rang eines höheren Polizeioffiziers entspreche. Möglicherweise als “Belohnung für den Mord”, mutmaßte der Staatsanwalt. Turpal-Ali Y. schließlich soll Letscha B. unterstützt haben.

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