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"Das Totenschiff" von Andreas Pittler: Vergessene Flüchtlingstragödie von 1942

Ein Wiener Autor schildert in einem Briefroman ein wahres Drama des Jahres 1942: "Das Totenschiff"
Ein Wiener Autor schildert in einem Briefroman ein wahres Drama des Jahres 1942: "Das Totenschiff" ©Mandelbaum Verlag / http://www.andreaspittler.at
Bei dieser Flüchtlingstragödie auf hoher See muss man unweigerlich an die heutigen fast alltäglichen Katastrophen auf dem Mittelmeer denken. "Das Totenschiff" des Wiener Autors Andreas Pittler ist unser Buch-Tupp der Woche.

Der soeben erschienene Roman “Das Totenschiff” (Mandelbaum Verlag) widmet sich der 1942 im Schwarzen Meer torpedierten “Struma” und dem einzigen Überlebenden, dem 19-jährigen rumänischen Juden David Stoliar.

Briefroman schildert wahres Drama des Jahres 1942

“Es gab keinen guten Grund, dass ich es geschafft habe”, erzählte Stoliar 2013, ein Jahr vor seinem Tod, einem “Spiegel”-Reporter, der ihn in Oregon aufsuchte. “Es war Glück, reines Glück.” Auch Pittler, Jahrgang 1964 und Autor zahlreicher Romane, Kurzgeschichten und Sachbücher, gibt Stoliar das Wort – in Form von (nie abgeschickten) Briefen, die der Bursch an seine aus Rumänien nach Frankreich geflüchtete Mutter schreibt, deren Spur sich nach Frankreichs Besetzung durch Nazi-Deutschland verliert und die in Auschwitz umkommen wird.

In seinen Briefen lässt Pittler seinen Protagonisten zunächst die immer dramatischere Judenverfolgung im Rumänien der Jahre 1940 und 1941 schildern, um schon bald zum verzweifelten Rettungsplan zu kommen, den Stoliars Vater und die Eltern seiner Verlobten als letzte Chance, dem Verderben zu entgehen, geschmiedet haben: Sie kaufen mit viel Geld Schiffspassagen auf einem von jüdischen Organisationen gecharterten Schiff, das an die 800 Flüchtlinge von Constantia nach Palästina bringen soll. Das vermeintliche sichere Gefährt stellt sich jedoch als nur notdürftig wieder zusammengeflickter, heillos überladener und kaum seetauglicher Frachtkahn heraus.

Flucht als Geduldprobe: “Das Totenschiff” von Andreas Pittler

Die Flucht wird zu einer endlosen Geduldsprobe unter entsetzlichen hygienischen Bedingungen und schließlich zur Tragödie, in der undurchsichtige Geschäftemacherei auf Kosten von Verfolgten und mit dem Tode Bedrohten und starrsinnige Behörden, die mit einer liberalen oder auch nur humanen Haltung gegenüber den auf dem Schiff zusammengepferchten Flüchtlingen kein Signal für die befürchteten nachkommenden Massen geben wollen, die Hauptrollen spielen. Beides bedrückende Parallelen zur Gegenwart.

Immer wieder scheint, trotz Manövrierunfähigkeit und Minenfeldern auf hoher See und mehrwöchiger Quarantäne im Hafen von Istanbul, die Rettung greifbar nahe. Doch die britischen Behörden verweigern die Weiterfahrt und die Aufnahme der Flüchtlinge in Palästina. Die “Struma” wird im Februar 1942 von den Türken schließlich aufs offene Meer geschleppt und ihrem Schicksal überlassen. Bereits in der ersten Nacht reißt ein sowjetisches Torpedo fast 800 Menschen in den Tod.

Ob man “Das Totenschiff” als Roman oder als historischen Tatsachenbericht liest, ist unerheblich. Dass sich das Buch an einer wahren Geschichte orientiert, die sich unter anderen Rahmenbedingungen, aber mit ähnlichen Auswirkungen heutzutage immer wieder aufs Neue abspielt, macht die Lektüre nahezu unerträglich.

Andreas Pittler: “Das Totenschiff”, Mandelbaum Verlag, 162 S., 19,90 Euro

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(apa/red)

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