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Wiener Tatortreinigerin über ihre harte Arbeit und den prägendsten Fall: Das A4-Flüchtlingsdrama

Rosalia Zelenka ist Tatortreinigerin in Wien.
Rosalia Zelenka ist Tatortreinigerin in Wien. ©APA
Der Tod gehört zum Leben, doch wollen die Lebenden diesem möglichst nicht begegnen. Wenn es darum geht, die Spur des Todes zu verwischen, beginnt die Arbeit von Rosalia Zelenka. Die 55-jährige Wienerin ist eine der wenigen Tatortreiniger in Österreich. Im Interview berichtet sie von schrecklichen Szenarien, beißendem Leichengeruch und dem Support der Hinterbliebenen. Ihre Arbeit sei körperlicher und psychischer Hochleistungssport, berichtet Zelenka.
Tatortreinigung in Wien
Ermittler bargen 70 Leichen

Die Wienerin sieht in ihrem Job mehr als nur die Reinigung und Desinfektion von Leichenfundorten. Gerufen wird Zelenka meist von den Angehörigen, die sich nach Morden, Selbstmorden oder natürlichen Todesfällen ihrer Liebsten mit der Reinigung der Wohnungen oder Häuser nicht mehr zu helfen wissen. “Wir leisten bei den Hinterbliebenen psychische Hygiene und sind zu einer Zeit bei den Menschen, in der alles zu Ende scheint.” 60 bis 70 Prozent der Angehörigen suchen während Zelenkas Anwesenheit eine Ansprache. “Das ist sehr spannend. Das beginnt, dass zuerst eine gewisse Distanz da ist, und je länger wir da sind, (…) umso näher kommt uns dann der Angehörige. Und dann kann es schon mal passieren, dass man mit ihnen auch zusammen sitzt und Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen erfährt”, sagt Zelenka.

Zelenka über die Facetten des Todes

Für ihre Arbeit kein leichtes Unterfangen: “Mir ist es im Grunde lieber, ich erfahre das nicht”, meint sie. Denn dadurch entwickle man eine gewisse Empathie gegenüber den Verstorbenen, dessen Blut und andere Körperflüssigkeiten man wegputzen muss. Sie berichtet etwa von der Frau eines Mannes, der sich völlig überraschend im Badezimmer mit dem Jagdgewehr in den Kopf geschossen hatte. Nachdem sie die Überreste von den Kacheln, der Badewanne und den Kästen entfernt hatte, saß sie noch mit der Familie zusammen. “Sie haben natürlich überhaupt nicht verstanden hat, warum der Ehemann sich jetzt getötet hat. Es war für sie nicht nachvollziehbar – nur für denjenigen, der es getan hat. Aber der hat es eben in den Tod mitgenommen”, sagt Zelenka, die über den Fall auch in ihrem Buch “Der Tod hat viele Gerüche” schreibt.

“Aber es gibt nicht nur Schattenseiten”, meint die Tatortreinigerin. “Ich habe dadurch auch Freunde gewonnen, die mir ganz einfach geblieben sind”, resümiert die 55-Jährige, die seit sieben Jahren hauptberuflich für Spezialreinigungen zuständig ist. “In meiner Zeit als Tatortreinigerin und Desinfektorin habe ich so viele unterschiedliche Facetten des Todes gesehen und so unglaublich viele leidende Menschen”, erzählt sie.

Prägendster Fall: Das Flüchtlingsdrama auf der A4

Der prägendste Fall war jedoch die Reinigung des Kühl-Lkw, der vor zwei Jahren mit 71 toten Flüchtlingen in einer Pannenbucht an der Ostautobahn (A4) bei Parndorf gefunden wurde. Das Schwerfahrzeug wurde in die ehemalige Veterinärgrenzdienststelle nach Nickelsdorf gebracht. Zelenka und ihre Kollegen hatten die Aufgabe, den Laderaum, der für die Menschen zur Todesfalle wurde, so zu säubern, dass sich Ermittler die technischen Details bezüglich der Luftzufuhr ansehen konnten. Zudem sollten die Habseligkeiten der Toten soweit gesäubert werden, damit die Identitäten festgestellt werden konnten.

Die persönlichen Gegenstände der Toten – Rucksäcke und Kleidungsstücke – lagen in einer riesigen Blutlache. “Es war ein kleiner See in diesem Lkw”, erinnert sich Zelenka. Die Tatortreiniger kämpften zudem gegen Leichengeruch, Maden- und Fliegenbefall. Jene Männer, die für den Erstickungstod der 71 Flüchtlinge verantwortlich sein sollen, stehen gerade in Ungarn vor Gericht, am Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt. Zelenka war wichtig, dass die Toten alle identifiziert werden konnten und die Hinterbliebenen so Gewissheit bekamen.

Geruch des Todes als ständiger Begleiter der Tatortreinigerin

Der Geruch des Todes ist Zelenkas ständiger Begleiter. Er setzt sich nicht nur im Gewand fest, sondern auch in der Haut und in den Haaren. Komplett in Schutzkleidung eingehüllt, die keine Bakterien durchlässt und chemikalienbeständig ist, verwendet die 55-Jährige auch Atemschutzmasken gegen den Gestank. Zelenka reinigt nicht nur Leichenfundorte, sondern räumt auch Messie-Wohnungen aus. “Man kann auch versuchen, nur durch den Mund zu atmen, dann geht das weitgehend”, sagt die Wienerin. Im schlimmsten Fall muss sie zur Gasmaske greifen. Vermüllte Wohnungen würden zunehmend zum Problem. “Es gibt bekannterweise 30.000 statistisch geführte Messies, aber man geht davon aus, dass die Dunkelziffer bei 300.000 liegt.” Zelenka ist überzeugt, dass das eine Sparte sei, um die man sich kümmern müsse. “Nicht nur, weil sich da ein Geschäftsgebiet erschließt, sondern auch, weil es einen sozialpolitischen Aspekt hat.” Die Wienerin ist froh darüber, dass es bereits Betroffene gibt, die von selbst bei Zelenka anrufen und um Hilfe bitten.

Den Beruf der Tatortreinigerin hatte die 55-Jährige zufällig ergriffen. “Ich bin dazu gekommen, wie die Jungfrau zum Kind”, sagt die 55-Jährige. Als sie in einer Gebäudereinigungsfirma gearbeitet hat, war der Kollege, der für Tatortreinigung verantwortlich war, plötzlich ausgefallen. Und dann war eine Messie-Wohnung zu säubern, in der der Bewohner vier Tage lang tot lag. “Ich musste sehen, wie ich diese Aufgabe bewältige.”

Zelenka, ausgebildete Desinfektorin, ist die fachmännische Tatortreinigung wichtig. Denn manche Krankheitserreger – wie etwa Hepatitis – überdauern auch unter schlechten Bedingungen Jahre. “Und man weiß ja nicht, ob der Verstorbene eine Krankheit hatte. Oft wissen es die Menschen ja selbst nicht.” Alle Reinigungstücher, die Schutzausrüstung und Einrichtungsgegenstände, die aufgrund der Verunreinigung nicht mehr gerettet werden können, werden in hermetisch abgedichteten Tonnen zu einem Spezialentsorger gebracht und verbrannt, auch um einen späteren Insektenbefall zu vermeiden. Die Schmeißfliege etwa kann Leichen kilometerweit riechen und legt ihre Eier gerne in faulendes Fleisch ab. Da kann es schon passieren, dass Zelenka und ihre Mitarbeiter ganze Böden raus- und Wände niederreißen müssen. Tatorte müssen im Sinne des Seuchenschutzgesetzes gereinigt werden.

Neben den Tüchern haben Zelenka und ihr Team stets Bürsten, Spachteln in verschiedenen Stärken, Mop, Schwämme, Reiniger, Schaufel und Besen und spezielle Farbe für die Wände als Grundausrüstung dabei. Als einziges elektrisches Gerät führt die Tatortreinigerin den Ozongenerator mit sich. Das Ozongerät wird neben der Geruchsneutralisierung auch zur Desinfektion kontaminierter Räume eingesetzt. Wenn Blut und Gewebe grob entfernt worden sind, kommt ein spezielles Reinigungsmittel zum Einsatz, das die Fette und Eiweiße aufspaltet und die Entfernung leichter macht.

Wie wichtig eine sorgsame Desinfektion ist, verspürte Zelenka am eigenen Leib. Durch eine Schmierinfektion zog sich die 55-Jährige einmal selbst eine hartnäckige Pilzinfektion in Mund und Rachen zu, “was sehr schmerzhaft ist und sehr langwierig” war. Und dennoch, den Beruf der Tatortreinigerin ergriffen zu haben, hat sie nicht bereut, wie sie in ihrem Buch schreibt: “Ich habe lange Zeit nach der richtigen Aufgabe gesucht. Habe vier verschiedene Berufe gelernt und immer fehlte mir etwas.”

Infos zu Leben und Bücher der Wienerin

Rosalia Zelenka ist 1962 in Wien geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Deutschland. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie als Schriftsetzerin in einem Verlag. Nach der Geburt ihrer Tochter 1990 kehrte sie nach Wien zurück. In einem Unternehmen für Reinigung und Sanierung von Gebäuden stieß sie auf den Arbeitsbereich der Tatortreinigung.

Rosalia Zelenka: “Der Tod hat viele Gerüche – Beruf: Tatort-Reinigerin”, 2014, ISBN 9783903154377 sowie “Messies: Licht und Schatten im Leben eines Menschen”, 2017, ISBN 9783903154391

(APA/Red)

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