AA

Traumabewältigung bei der US-Armee: "Hört auf zu lügen"

"Der Umgang des Pentagon mit traumatisierten oder hirnverletzten Soldaten ist teils skandalös"
"Der Umgang des Pentagon mit traumatisierten oder hirnverletzten Soldaten ist teils skandalös" ©AP
Seit dem Vietnam-Krieg ist kein US-Soldat mehr wegen "Feigheit" vor einem Militärgericht gestanden. Im November 2003 sollte es Georg-Andreas Pogany treffen.

Der Unteroffizier war vorzeitig mit einer Hirnverletzung aus dem Irakkrieg zurückgekehrt. Dass er sie hatte, musste er dem Militär beweisen – nicht umgekehrt.

“Der Umgang des Pentagon mit traumatisierten oder hirnverletzten Soldaten ist teils skandalös”, sagt Pogany – heute vertritt der Mann aus Denver als Anwalt die Interessen von US-Kriegsveteranen. “Es gibt Tausende Soldaten mit Hirnverletzungen oder Trauma, die dringend Hilfe brauchen, aber sie einfach nicht bekommen, weil sie durch die engmaschigen Raster der Behörden fallen.”

Mit Blick auf den jüngsten Amoklauf des US-Soldaten Robert Bales, der im afghanischen Kandahar 16 Zivilisten, darunter 9 Kinder, getötet haben soll, warnt Pogany: “Der Fall Bales ist kein Einzelfall und wird sich solange wiederholen, bis die Verantwortlichen endlich aufhören, sich selbst zu belügen.”

“Als ich anfing Stimmen zu hören, konnte ich nicht weiter machen”

Poganys Albtraum hat ihn fast das Leben gekostet. “Ich war kurz davor, es selbst zu beenden”, erzählt der in den Ruhestand versetzte Kämpfer der Eliteeinheit Special Forces. Zehn Jahre diente er voller Überzeugung – zum Schluss zog er in den Irak-Krieg. “Wir bekamen Malariamittel, die schwere Nebenwirkungen auslösten”, erzählt der Familienvater. Als er mitansehen musste, wie ein Iraker von einem Maschinengewehr zerrissen wurde, brach er zusammen. “Als ich dann auch noch anfing zu halluzinieren und Stimmen hörte, konnte ich meinen Dienst nicht weiter machen.”

Wie seine Kameraden habe er plötzlich Depressionen gehabt, so Pogany. “Wir waren zwölf Soldaten, die auf dieses Medikament derart reagierten – heute leben noch zwei”, sagt er. “Alle anderen haben sich seit ihrer Rückkehr aus dem Krieg das Leben genommen.”

Über Nacht zum Disziplinarfall

Statt ihn zu behandeln, wollte die Armee Pogany an den Pranger stellen. “Über Nacht wurde ich zum Disziplinarfall.” Zu einer Verhandlung kam es nicht. Doch der junge Soldat wurde 2005 zum Pensionisten – mit 34 Jahren. Diagnose: Organischer Hirnschaden.

“Meiner damaligen Frau und meinen Eltern verdanke ich, dass ich diese schwere Zeit überlebt habe”, sagt Pogany. “Ich konnte die Bilder meiner verlorenen Kameraden nicht vergessen und fühlte mich unendlich schuldig, weil ich sie überlebt habe.” Die Armee bot Gesprächstherapien und Medikamente an. Doch wirkliche Hilfe brachten Pogany Yoga, Meditation und eine Zeit mit buddhistischen Mönchen in Frankreich.

“Ich habe gelernt, dass das Posttraumatische Stresssyndrom (PTSD) keine Krankheit ist, sondern eine Stresskondition, die sich in den Körper frisst, wenn sie nicht behandelt wird.” Pogany weiß, nicht jeder Kriegsheimkehrer hat die Möglichkeiten, die er selber dank seiner Familie hatte. Er kenne viele, die abgewiesen wurden, als sie Hilfe brauchten.

Trotz Trauma wieder in den Krieg

Fast noch schwerer wiege die Tatsache, dass viele von ihnen trotz ihres Traumas wieder in den Einsatz geschickt würden. “Dann geschieht, was in Kandahar geschehen ist, und alle zeigen sich überrascht. Das ist verlogen”, meint Pogany. “Solange die Regierung das Problem PTSD nicht genauso entschlossen angeht, wie sie General Motors oder Wall Street-Banken rettet, solange wird sich der Fall Bales immer wiederholen und werden sich Soldaten das Leben nehmen, die gerettet werden könnten.”

Jahrzehnte spielten die Themen traumatische Hirnverletzungen und PTSD in der US-Armee keine Rolle. Nach zunehmenden Vorfällen und Selbstmorden seit Beginn des Irakkriegs investierte das US-Verteidigungsministerium von 2007 an rund drei Milliarden Dollar (2,3 Milliarden Euro), um darauf zu reagieren. Zahlreiche hochmoderne Trauma-Zentren entstanden.

Neue Wege der Traumabewältigung

In Zusammenarbeit mit Technologiekonzernen erforscht die Armee neue Wege zur Traumabekämpfung – etwa mit 3D-Brillen, die Soldaten mit beruhigenden Traumbildern aus einem Alptraum helfen sollen. “Es gibt vielfältige, großartige Angebote”, räumt auch Ex-Soldat Pogany ein. “Doch solange ein Großteil der Hilfebedürftigen davon ausgeschlossen ist, weil Kosten gespart und Einsatztruppen gefüllt werden müssen, ist dieser Fortschritt eine Farce.”

Im vergangenen Monat gab die führende Kontrollbehörde der Regierung dem Veteranen-Sprecher recht. Das “US-Government Accountibility Office” forderte das Pentagon auf, endlich die Trauma-Programme zu koordinieren, deren Struktur derzeit nicht nachvollziehbar sei.

(APA)

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Traumabewältigung bei der US-Armee: "Hört auf zu lügen"
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen