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Kind vernachlässigt: Wiener Kinderarzt wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht

Schwere vorwürfe gegen einen Kinderarzt
Schwere vorwürfe gegen einen Kinderarzt ©BilderBox.com (Sujet)
Im Straflandesgericht hat sich am Donnerstag ein Wiener Kinderarzt "nicht schuldig" bekannt, dem die Anklage Amtsmissbrauch anlastet. Der Mediziner soll bei einer "Problemfamilie" regelmäßig Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen gar nicht oder unzureichend durchgeführt haben - mit schwerwiegenden Folgen.
Kinderarzt vor Gericht
Die schwere Vernachlässigung

Der Kinderarzt soll damit dafür verantwortlich gewesen sein, dass die gröbliche Vernachlässigung der Kinder über längere Zeit unentdeckt blieb.

Arzt bestreitet Schlamperei

“Ich bin nicht schlampig. Sie können alle meine Patienten fragen. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt”, gab der 70-jährige Facharzt zu Protokoll, der seit 1982 eine eigene Praxis betreibt. Eigenen Aussagen zufolge betreut er täglich 50 bis 100 Patienten, wobei seine Ordination von 11.30 Uhr bis in den Abend hinein offen hält. Auf “fünf bis sieben Minuten” veranschlagte er auf Befragen von Richterin Olivia-Nina Frigo die Zeit, die eine Untersuchung in Anspruch nimmt.

Den im Raum stehenden Verdacht, der Kinderarzt könne sich bei einem derartigen Patienten-Andrang nicht um jedes einzelne Kind eingehend kümmern, wies der Angeklagte zurück: “Jedes Kind, das zu mir kommt, wird untersucht. Ich verschreibe keinen Hustensaft, ohne das Kind anzuschauen. Das ist bei mir bekannt.”
Auslöser

Bub (4) konnte nicht gehen, stehen und sprechen

Ausgangspunkt der Anzeige gegen den Kinderarzt war ein Strafverfahren, das im Jahr 2011 im Grauen Haus gegen eine damals 24 Jahre alte Mutter von insgesamt vier Kindern, ihren Ehemann und ihre Großmutter geführt wurde. Dem Paar waren auf Veranlassung des Jugendamtes im Jänner 2011 die Kinder abgenommen worden.

Der Älteste – ein damals vier Jahre alter Bub – konnte zu diesem Zeitpunkt nicht gehen und nicht einmal ohne fremde Hilfe stehen. Mit den jüngeren Geschwistern kommunizierte der Kleine über Kratzen, da er sich sprachlich nicht verständlich machen konnte.

Vernachlässigung: Klage gegen Kinderarzt

Als die Kinder- und Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter im Auftrag des Gerichts den ältesten Buben untersuchte, stellte sie in ihrem Gutachten eine “globale Entwicklungsverzögerung auf allen Ebenen” fest: Seine grobmotorischen Fähigkeiten entsprachen denen eines Dreijährigen, seine sprachlichen Fähigkeiten einem Zweijährigen.

Wenig, aber nicht wesentlich besser sah es bei den jüngeren Schwestern des Buben aus. Lediglich der Jüngste – zum Untersuchungszeitpunkt eineinhalb Jahre alt – war laut Gutachterin altersadäquat entwickelt.

Eltern wurden freigesprochen

Die Erziehungsberechtigten wurden am Ende allerdings vom Vorwurf der gröblichen Vernachlässigung der Kinder freigesprochen. Maßgeblich dafür war nicht zuletzt der Umstand, dass sie nachweisen konnten, mit den Kleinen regelmäßig zu einem Kinderarzt gegangen zu sein, der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen vornahm und in den jeweiligen Pässen keine Auffälligkeiten vermerkte.

Diesen Arzt brachte Staatsanwältin Dagmar Pulker nun zur Anklage. Sie ging davon aus, dass es dem Mediziner darum ging, durch mangelhafte oder gar nicht durchgeführte Untersuchungen möglichst viele Kinder “abzufertigen”, um bei der Abrechnung der vorgeblich erbrachten Leistungen möglichst viel Gewinn zu machen. Der Kinderarzt habe damit seine Befugnis wissentlich missbraucht.

Arzt betreuert Unauffälligkeit

“Für mich war nichts auffällig”, versicherte der angeklagte Kinderarzt zu den inkriminierten Vorgängen. Er habe stets Gewicht und Größe der Kinder gemessen, und er habe auch versucht, ihre sprachlichen und motorischen Fähigkeiten zu testen. Auf die Frage, wie das ablaufe, erwiderte der Arzt: “Man fragt die Eltern, was die essen, ob die in den Kindergarten gehen.”

Das Problem sei nämlich oft der Migrationshintergrund etlicher seiner Patienten: “Diese Kinder machen den Mund nicht auf. Sie reden nicht.” Er könne ja keinen Dolmetscher bezahlen, wenn diese keine Deutschkenntnisse hätten. “Kinder können so stolz sein, dass sie überhaupt nicht reagieren”, gab der 70-Jährige weiter zu bedenken. Insofern ging nach Ansicht von Verteidiger Wolfgang Mekis der Vorwurf ins Leere, sein Mandant habe bei den Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sprachliche Defizite nicht vermerkt.

“Naschladen-Test”, um Motorik zu prüfen

Dass der älteste Bub mit vier Jahren noch nicht gehen konnte, hielt der Angeklagte für undenkbar: “Bei mir konnte er schon gehen, wahrscheinlich.” Sonst hätte er nämlich Gegenteiliges festgehalten, verwies der 70-Jährige auf seinen “Naschladen-Test”: Er lasse seine kleinen Patienten im Behandlungszimmer immer zu einer Schublade mit Naschzeug laufen, um ihre motorischen Fähigkeiten abzuklären. “Wenn die einen Schlecker nehmen und die geben ihn von einer Hand in die andere, das ist dann die Bewegung.”

Entwicklungsdefizite selbst für Laien erkennbar

Die Staatsanwältin verwies in ihrem Schlussvortrag darauf, dass laut einem Gutachten die Entwicklungsdefizite aller drei Kinder selbst für einen Laien erkennbar waren. Der Arzt habe es “in Kauf genommen, dass er die Kinder schädigt”. Es müsse “ein Zeichen gesetzt werden, dass Kinderärzte – selbst wenn die Praxis brechend voll ist – nicht einfach husch-pfusch etwas abstempeln”. Als “schwer bedenklich” bezeichnete die Anklägerin den Umstand, “dass der Angeklagte weiter ordiniert”.

“Ich glaube nicht, dass ich wissentlich etwas falsch gemacht habe”, hielt der Kinderarzt in seinem Schluss-Statement fest. Er habe im Lauf seines Lebens “eine Million Kinder behandelt und betreut”,”nie ist etwas passiert”. Die Urteilsverkündung wurde auf 14.30 Uhr anberaumt.

(apa/red)

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