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Gruft: "Wichtig, die Menschen draußen zu erreichen"

Rappelvoll ist die Gruft auch tagsüber an eisigen Tagen
Rappelvoll ist die Gruft auch tagsüber an eisigen Tagen ©vienna.at/Paul Frühauf
Schon der Weg von der U-Bahn zur Gruft in der Barnabiterkirche ist beißend kalt. Bei -14 Grad werden die Ohren sofort gefühllos, die Finger ziehen mit, trotz gefütterter Jacke und generellem Erscheinungsbild wie das berühmte Michelinmännchen. Was für den Normalbürger unangenehm ist, ist für Obdachlose allerdings lebensgefährlich. 
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“Voll sind wir meistens”, erzählt Christof Mitter, Sozialarbeiter in der Gruft der Caritas Wien. Während jedoch an wärmeren Tagen eher die Gesellschaft anderer Menschen und eine warme Mahlzeit im Mittelpunkt stehen, rettet die Einrichtung der Caritas in strengen Winternächten buchstäblich Leben. Das Angebot der Gruft ist eigentlich bekannt und wird auch gut angenommen. Doch das Problem sind jene Menschen, die aus verschiedenen Gründen keine Hilfe annehmen.

Wärme in der Gruft rettet Leben

In Frostnächten ist die Gruft nicht nur Zuflucht, sondern ein Ort, der Leben rettet. Denn sinken die Temperaturen unter den Nullpunkt, herrscht akute Erfrierungsgefahr. In Nächten wie den momentanen, wenn das Thermometer zehn Grad unter Null fallen kann, ist jede Übernachtung an den üblichen Orten – Abbruchhäuser, Donauinsel, Geschäftseingänge – lebensbedrohlich. Doch viele Obdachlose in Wien sind nicht in der Lage, selbstständig Hilfe zu suchen – sei es wegen psychischen Störungen, die sie die Kälte nicht bemerken lassen, sei es deswegen, weil sie nach Jahren einfach die Gesellschaft einer größeren Gruppe von Menschen nicht mehr ertragen können. Für diese Ausgestoßenen gibt es das Streetwork der Caritas Wien. Diese Menschen müssen vor Ort aufgesucht werden, und die Arbeit mit ihnen erfordert von den Helfern viel Geduld und Einführungsvermögen. 

“Vertrauen aufbauen”

“Man kann vielleicht zehn Mal mit ihnen reden”, erzählt Christof Mitter. “Man kann sich zehn Mal einiges anhören. Und beim 13. Mal kommen sie vielleicht mit in die Gruft. Man muss Vertrauen aufbauen.” Die Gründe dafür sind vielfältig, reichen von totaler Isolation über Jahre über Suchtprobleme bis hin zu psychischen Erkrankungen. Für letztere ist psychiatrische Betreuung und auch Beratung der Helfer nötig. Im absoluten Notfall werden Menschen, die die Kälte gar nicht wahrnehmen, auch zwangsweise in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Was dann meistens die gesamte Arbeit wieder zunichte macht – denn das ist ein Vertrauensbruch. Einer, den die Gruft-Mitarbeiter hin und wieder begehen müssen, um Leben zu retten.

Mehrstufiger Plan zur Reintegration

Für Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, gibt es in Wien einen recht genauen Plan, wie sie von der Straße wegkommen können. Die normale Vorgangsweise ist, sie per Streetwork zu kontaktieren, danach, sie in die Gruft zu bekommen. Dort ist das Sprungbrett in eine der Notnterkünfte, die bereits Betten zur Verfügung haben. Von dort geht es in eine ‘Wohnform’, die oft betreut ist. Während für viele hier das Ende ist, schaffen es einige doch, nach einiger Zeit eine Gemeindewohnung zu ergattern. Und dort entscheidet sich der weitere Verlauf des Lebens: Schafft es der ehemalige Obdachlose, sich geregelten Wohnverhältnissen anzupassen? Sich den Regeln des Zusammenlebens anzupassen? Seine Sucht unter Kontrolle zu halten? “Nicht immer”, gibt Christof Mitter zu. “Vor allem bei Süchtigen steht die Sucht an erster Stelle, erst danach kommt alles andere. Daher vermitteln wir in erster Linie auch Entzug, zum Beispiel in der Proksch-Klinik. Aber das muss natürlich freiwillig erfolgen. Aber es ist schon so, dass viele nach einem halben Jahr wieder bei uns landen, weil sie ein anderes Leben einfach nicht kennen.” Die Fähigkeit zur Selbstkritik, zur Erfüllung der Erwartungen der Gesellschaft ist verloren gegangen.

Immer mehr Essen für Menschen mit Wohnung

Doch nicht nur Obdachlose sind in der Gruft anzutreffen. Denn bei immer mehr reicht das Geld zwar für eine eigene Wohnung, doch nicht mehr für (regelmäßige) Mahlzeiten. Entsprechend nach oben geschossen sind die Zahlen: Wurden 2010 noch rund 80.000 Mahlzeiten ausgegeben, waren es 2011 gewaltige 94.000.

Hilfseinrichtungen an der Kapazitätsgrenze

Rund 120 Personen sind zu jeder Zeit in der Gruft anzutreffen. Überraschender Weise gibt es jedoch noch Kapazitäten, um dort im Warmen zu übernachten – 70 Personen machen das in einer durchschnittlichen Winternacht, in Schlafsäcken, in dicke Decken gehüllt, aber versorgt und nicht in Gefahr, einfach auf der Straße zu erfrieren. Andere Hilfseinrichtungen sind jedoch an der Grenze angelangt: “Angesichts der Kältewelle tun wir alles dafür, dass kein Mensch ohne Obdach in Wien erfriert, egal woher er oder sie kommt,” so die Sozialsprecherin der Grünen Wien, Brigit Hebein. “Die vereinbarte Aufstockung der Schlafplätze durch den Fonds Soziales Wien beim Roten Kreuz und der Caritas um 74 neue Plätze zu den bereits vorhanden 398 Plätzen erfolgte bereits, ein Großteil davon wird Freitag zur Verfügung stehen.” Der Standort ist noch nicht bekannt. Und in die selbe Kerbe schlägt auch die Diakonie, die das Hilfszentrum s’Häferl in Wien betreibt. “Die klirrende Kälte lässt den Andrang von Menschen in Not auf einen warmen Ort und ein warmes Essen massiv steigen. Die Nachfrage nach einem warmen Platz und einem warmen Essen ist kaum bewältigbar”, berichtet die Diakonie. Und setzt nach: “Soziale Notstellen, Beratung und Hilfe sind in solchen Situationen für Armutsbetroffene eine existentielle Frage. “Hier zu kürzen wäre eine Katastrophe” , warnt der Sozialexperte der Diakonie, Martin Schenk, die Verhandler der Sparpakete. Ein Kahlschlag bei den sogenannten Ermessensausgaben macht soziale Hilfsangebote kaputt”.

Zusätzliche Kapazitäten ab Freitag

Im Tageszentrum in Währing werden ab Freitag am Abend die Tische beiseite gerückt und Schlafsäcke sowie Isomatten an die Bedürftigen verteilt. Geschlafen wird am Boden. Das zusätzliche Winterquartier soll nicht nur die kommenden Tage geöffnet haben, sondern bis ins Frühjahr, kündigte der Caritas-Sprecher Klaus Schwertner an: “Für uns als Caritas ist es wichtig, dass jeder Obdachlose, der einen schützenden Schlafplatz braucht, diesen auch erhält.”Aufgrund der Minustemperaturen wurden schon in den vergangenen Tagen die Kapazitäten einiger Wiener Quartiere aufgestockt: Unter anderem hat das Rote Kreuz zehn weitere Schlafmöglichkeiten im Haus Hermes im Bezirk Landstraße geschaffen. Auch in der Caritas-Einrichtung U63 in Meidling gibt es nun drei weitere Plätze, berichtete eine FSW-Sprecherin.

Spenden retten Leben

Alle Einrichtungen, die sich um Menschen in Not kümmern, können nur durch Spenden überleben. Spenden für die Diakonie und ihre Einrichtungen sind online auf der Homepage der Diakonie möglich. Auch bei der Caritas sind Online-Spenden möglich, und es gibt die auch die Möglichkeit, durch ehrenamtliches Engagement Zeit zu spenden. Alle Informationen zur Mitarbeit in der Gruft oder anderen Einrichtungen sind auf der Homepage der Caritas Wien verfügbar!

Für die Gruft werden im Moment vor allem Winterpakete benötigt. Diese können gezielt gespendet werden: 50 Euro kostet eines. Es besteht aus einem – bei diesen Temperaturen oft lebensrettenden – Schlafsack, einem warmen Essen und der Möglichkeit, sich in der Gruft aufzuwärmen.

Caritas Spendenkonto
RZB 40 40 50 050, BLZ 31.000
Kennwort: Gruft Winterpaket


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