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Das Wiener Konzerthaus ist bankrott: Direktor Matthias Naske im Interview

Konzerthaus-Direktor Matthias Naske im Interview.
Konzerthaus-Direktor Matthias Naske im Interview. ©APA
"Das Wiener Konzerthaus ist bankrott", so der neue Direktor Matthias Naske im Interview. Trotzdem hofft er, Konzertkarten in Zukunft günstiger anbieten zu können.

Sie kehren nach einem Jahrzehnt in Luxemburg in ihre Heimat Wien zurück. Was finden Sie hier vor?

Matthias Naske: Ich komme mit der Demut zurück, die man lernt, wenn man woanders ist. Da sieht man auch den Wandel, den diese Stadt durchschritten hat. Manches dabei freut mich, manches, gerade was die Situation dieses Hauses betrifft, freut mich nicht.

Wie ist die Situation des Konzerthauses?

Naske: Ich denke, dass eine kulturelle Institution wie diese eine klare gesellschafts- und kulturpolitische Aufgabe hat – und um diese erfüllen zu können, braucht sie Mittel. Sie braucht Können, Wissen, Verknüpfung und Tradition, das ist alles da. Sie braucht aber auch die Befähigung, und es gab seit 16 Jahren keine Anpassung der Subvention von der Stadt Wien, und das auf ohnehin schon niedrigem Niveau. 1.054.000 Euro sind nach dieser Zeit de facto zumindest ein Drittel weniger Wert. Das Haus ist bankrott, das sagt nur komischerweise niemand.

Ihr Vorgänger Bernhard Kerres hat aber doch immer mit Gewinnen bilanziert?

Naske: Was das Haus betriebswirtschaftlich am Leben hält, ist das Ausnutzen jeglicher Art von Zugang zum Metier Konzertveranstaltung, das hat mein Vorgänger unheimlich geschickt gemacht: Hut ab. Aber da fehlt mir das Verständnis für die Gewinndimension einer Non-Profit-Organisation: Die ist nicht betriebswirtschaftlich. Da geht es um Relevanz, darum, die Freude an der Musik zu möglichst durchlässigen Preisen bieten zu können und einer gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden, die nichts mit einem bourgeoisen Verständnis zu tun hat. Nur mit diesem Anspruch kann ich sagen, dieses Haus ist förderungswürdig. Natürlich kann ich es als privater Verein auch kommerziell führen.

Wollen Sie die Zahl der Fremdveranstaltungen senken?

Naske: Die Vermietungen sind ein unabdingbares Element zur Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Budgets. Aber ich bin absolut kein Verfechter von rein privatwirtschaftlich finanzierten künstlerischen Ereignissen. Da habe ich ein anderes kulturpolitisches Verständnis, nämlich die kulturelle Heterogenität wiederzuspielen und Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Gruppen.

Wie viel fehlt denn?

Naske: Bei den europäischen Konzerthäuser im ECHO-Verbund kommt durchschnittlich 46 Prozent ihres Budgets von der öffentlichen Hand – wenn wir das auf die Konzerthausgesellschaft umlegen, fehlten uns sechs Millionen – aber die brauchen wir gar nicht, weil der Markt so stark ist. Aber wir brauchen ein faires Bekenntnis, um Gestaltungsspielräume leben zu können. Die Aufrechterhaltung eines kommerziellen Betriebs interessiert mich nicht. Das führt geradlinig in die Verarmung – und das ist für die Stadt folgenschwerer als für uns.

Zusätzlich hat das Konzerthaus mehr als sechs Millionen Euro Schulden. Gibt es einen Plan zum Abbau?

Naske: Ich habe mit dem Direktorium einen Plan entwickelt, der eine Drittellösung zwischen Gesellschaft, Stadt und Bund vorsieht und bei dem sich die Entschuldung ausgehen könnte in der Zeit, in der ich bestellt bin, also fünf Jahre. Es gibt Signale, dass er akzeptiert wird. Was mich dabei irritiert, ist die Unverbindlichkeit im Kleinen. Ich bin gewöhnt, dass man Dinge anspricht, diskutiert und dann löst – anstatt sie über Jahre hinzuschieben.

Was sind Ihre inhaltlichen Ziele?

Naske: In Wirklichkeit verknüpfen wir Menschen. Unser Job ist es, die Beziehung zwischen dem, der auf der Bühne kommuniziert, und dem Publikum so eng wie möglich zu gestalten. Man glaubt, das Wesen eines Veranstalters ist es, den richtigen Künstler am richtigen Ort auf die Bühne zu bringen. Ich sage hingegen, das Wesen ist, Menschen zu erlauben, künstlerische Prozesse zu erleben.

Wie erreicht man das?

Naske: Durch Kontinuität, durch Kommunikation, durch viel mehr Fantasie in der Vermittlung als bisher. Es wird in diesem Haus Maßnahmen geben, die das Programm aktiv begleiten, die genau das zum Thema haben. Ich träume etwa davon, Programmhefte gratis herzugeben – ich kann es aber nicht, weil ich die Einnahmen brauche.

Ihre Schwerpunkte wird man also eher in der Vermittlung spüren als in der Programmierung?

Naske: Natürlich auch in der Programmierung. Ich werde Allianzen mit strategischen Partnern eingehen, allen voran mit den Wiener Symphonikern. Jeder glaubt, dass das Orchester mit diesem Haus auf Engste verbunden ist – das war bisher aber nicht so. Die Wiener Symphoniker sind ein wichtiger Player in dieser Stadt und wir sind ein Haus, das ihnen wesentlich helfen kann, mehr Relevanz zu entwickeln. Ich werde die Damen und Herren stark unterstützen, aber auch treiben. Es wird lustige, neue Formate geben, die maßgeschneidert auf das Orchester sind.

Bedeutet diese Intensivierung der Zusammenarbeit die Reduktion an Residenzen internationaler Orchester?

Naske: Natürlich ist hier die Gesellschaft der Musikfreunde besonders stark, aber es gibt eine Reihe an Projekten, die akustisch in unserem Haus besser angesiedelt sind, weshalb ich eine internationale Orchesterserie haben werde. Eine große Serie, die zu viel kostet, werden wir aber nicht mehr machen. Es wird also überschaubarer, aber sehr stringent.

Wie weit ist der musikalische Bogen für Sie spannbar im Bestreben, neue Schichten ans Haus zu binden?

Naske: Großformatige Rockmusik können wir akustisch nicht machen, denn die sensiblen Säle reagieren sehr schlecht auf zu große Lautstärken. Ansonsten habe ich keine stilistischen Grenzen – sei das Rap, Jazz, Weltmusik oder was auch immer. Ich habe da keine Berührungsängste. Kulturelle Relevanz ist meine oberste Zielsetzung, und da möchte ich niemanden ausschließen. Die neue Musik ist nicht nur das fantastische Klangforum.

Wird sich an den Kartenpreisen etwas ändern?Naske: Ich hoffe, sie werden billiger, aber ich habe den Bewegungsspielraum noch nicht. Ich war beim Bürgermeister und Kulturstadtrat und hoffe, dass wir verbindliche Ansagen bekommen, denn ich brauche den Spielraum in Wahrheit jetzt. Wenn ich den nicht bekomme, kann ich vieles nicht umsetzen. Das Schlimmste, was mir passieren kann, wäre, dass sich nichts tut und ich in das Mühlrad komme, einen an sich nicht erhaltungswürdigen Zustand aufrechterhalten zu müssen. Glauben Sie mir, dass ich radikal genug bin, das dann auch klar so zu benennen.

Würden Sie in diesem Fall persönliche Konsequenzen ziehen?

Naske: Wenn ich es nicht schaffe, bin ich hier schnell wieder weg. Ich möchte es aber schaffen. (APA)

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