Vienna.at: Von wie vielen obdachlosen Personen wird der Praterstern frequentiert?
Markus Bettesch: Das ist nicht leicht zu sagen, da die Fluktuation je nach Witterung hoch ist und nicht nur wohnungslose Menschen den Ort als Aufenthaltsort nutzen. Es bewegt sich in der Größenordnung zwischen 20 und 70 Personen. Der Praterstern wird täglich von rund 20.000 Personen frequentiert.
Was sagen Sie zu den Anschuldigungen von Wolfgang Seidl?
Wir haben diese Aussendung gelesen und finden es sehr schade, dass in dieser Weise gegen marginalisierte Menschen und soziale Einrichtungen polemisiert wird.
Vorfälle können natürlich vorkommen. Der Hauptpunkt dürfte allerdings sein, dass im Tagesablauf vieler Menschen wahrgenommen werden. Auch möchten viele Leute einfach nicht mit Armut konfrontiert werden. Es ist jedoch so, dass es keine erhöhte kriminelle Aktivität am Praterstern gibt. Das bestätigt auch die Polizei. Es geht hier mehr darum, ob Menschen gelernt haben, mit irritierenden Situationen umzugehen
Es handelt sich entweder um Menschen mit einer Alkoholproblematik in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung oder um EU- Bürger, die über die offene Grenze kommen und auch in Wien keine Perspektiven auf Verbesserung ihrer Situation haben. Diese haben, egal, was Boulevardmedien oder manche Parteien sagen, keinerlei Anspruch auf soziale Leistungen. (Anmerkung der Redaktion: Die zweite Gruft in der Bernardgasse wurde genau für diese Fälle geschaffen, platzt jedoch aus allen Nähten).
Wieso kommen Menschen aus dem EU-Ausland nach Österreich, wenn sie hier auf der Straße stehen?
Das hat zwei Gründe. Erstens verbreiten sich in den Heimatländern Geschichten, Österreich wäre eine Art ” Schlaraffenland ” , in dem einem ein besseres Leben geschenkt wird. Andererseits ist es eine Frage der Perspektive. Wenn es zuhause gar keine gibt, dann ist die Hoffnung in Wien eine Verbesserung zu erleben groß.
Wie hat sich die Sichtweise der arbeitenden Bevölkerung verändert?
Das betrifft einen Großteil der Gesellschaft. Die Zeiten werden härter, und Menschen, die einer geregelten Arbeit nachgehen und trotzdem immer weniger in der Geldbörse haben, reagieren aggressiver. Im Gespräch merkt man aber, dass diese Leute nicht einfach schimpfen, sondern sich sehr wohl Gedanken machen. Die meisten wissen, wie unglaublich schnell dieser Abstieg passieren kann – auch ihnen selbst.Wie hat sich die Lage am Praterstern verändert?
Im Vergleich zu den letzten Jahren hat sich die Situation sehr verbessert. Es wird allerdings – nicht nur am Praterstern – niemals so sein, dass an einem öffentlichen Ort nur reiche und schöne Menschen zu sehen sind.
Haben Sie konkrete Lösungsvorschläge?
Kleine und große. Am Praterstern wäre zum Beispiel eine kostenlose, oberirdische Toilette eine wichtige Maßnahme. Männer sind oft nicht bereit 50 Cent zu bezahlen und das wirkt sich auf den öffentlichen Raum aus. Dieses Problem kann nur strukurell gelöst werden. Im Großen wünsche ich mir europäische Sozialstandards , damit es keinen Anreiz gibt, von zuhause wegzugehen und woanders auf der Straße zu landen.