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23-Jährige starb im Krankenhaus: Keiner will Schuld am Ableben sein

Prozess um tote Spitals-Patientin: Keiner will Schuld am Ableben sein
Prozess um tote Spitals-Patientin: Keiner will Schuld am Ableben sein ©Wikimedia Commons/Gugerell
Nach dem Tod einer 23-jährigen Patientin im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien-Hernals kommt es nun zu einem Kunstfehler-Prozess. Die junge Frau war im Herbst 2008 dort nach einem Herzinfarkt an einer Überdosis Schmerzmittel gestorben. Zwei Ärzte und das nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) mitangeklagte Spital haben sich vor Gericht "nicht schuldig" bekannt.
23-Jährige starb im Spital

Die 23-Jährige hatte sich nach dem Abschluss eines Wirtschaftsstudiums ihre schmerzhaften Plattfüße operieren lassen. Die OP – laut dem angeklagten Orthopäden “keine große Sache” – verlief ohne Komplikationen. Die junge Frau klagte allerdings im Aufwachraum und später auf der Station über starke Schmerzen. Sie bekam daraufhin von einem Turnusarzt weiter Schmerzmittel verabreicht, obwohl sie bereits erhebliche Mengen an Voltaren, Dipidolor, Perfalagan und Gewacalm erhalten hatte.

23-Jährige starb im Krankenhaus in Wien

Für die Intensivmedizinerin Sylvia Fitzal, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Gutachten erstellt hat, ist klar, dass – was die Versorgung der 23-Jährigen im Aufwachraum und auf der Station betrifft – “das pharmakologische und klinische Wissen über eine effiziente Schmerztherapie bei beiden zuständigen Abteilungen nicht vorhanden war”. Die Sachverständige geht davon aus, “dass im Krankenhaus Göttlicher Heiland ein organisatorischer Mangel bestand” und für die junge Patientin “ein höheres Risiko deshalb gegeben war, weil offensichtlich Kenntnisse über Schmerztherapeutika fehlten”.

Dem Operateur lastet die Anklagebehörde an, die Verabreichung von Dipidolor angeordnet zu haben, ohne sich zu informieren, inwieweit diese bereits Schmerzmittel bekommen hatte. “Ein lächerlicher Vorwurf. Ich weiß nicht, wer auf die Idee kommt, so einen Vorwurf zu erheben. Da dürften die Recherchen nicht sehr genau gewesen sein”, hielt dieser nun vor Richterin Andrea Philipp dagegen. Der Orthopäde betonte, er sei ja der Allererste gewesen, der noch vor dem Eingriff im Sinn einer Tagesverordnung eine Standard-Medikation angeordnet habe. Diese umzusetzen und bei Bedarf zu ergänzen bzw. verändern, “kann ich vom Operationssaal aus nicht steuern”.

Prozess in Wien im vollen Gange

Mit der Krankengeschichte und seinen darin enthaltenen Eintragungen sei die junge Frau dann in den Aufwachraum und später auf die allgemeine Station gekommen. Er habe sie dort – nachdem er fünf weitere Operationen durchgeführt hatte – am Abend auch besucht: “Das war ein Anstandsbesuch, kein dienstlich begründeter Besuch.” Er sei aber grundsätzlich jeden Tag – auch samstags und sonntags – auf Visite gegangen. Die Frau habe im Krankenbett an sich einen “vollkommen unauffälligen” Eindruck gemacht: “Sie hat das Abendessen bei sich gehabt.” Schmerz sei “etwas ganz Individuelles”, erläuterte der Mediziner. Für ihn sei “keine Gefahr vorhanden gewesen”. Er habe den Gips aufgedehnt. Mehr Handlungsbedarf habe er nicht gesehen: “Sie war normal und hat Schmerzen gehabt.”

Dem Turnusarzt kreidete Staatsanwältin Julia Kalmar an, es in weiterer Folge unterlassen zu haben, den Schmerzen nachzugehen und die Frau persönlich und eingehend zu untersuchen. Er habe sie stattdessen weiter mit Medikamenten versorgt, ohne einen Oberarzt beizuziehen und die Überwachung der Patientin mittels Monitor oder Pulsoximeter zu veranlassen. Aus mehreren eingeholten Gutachten ergebe sich jedoch, dass aufgrund der Kombination aus den verschiedenen Schmerzmitteln die Gefahr einer Atemdepression gegeben war und die 23-Jährige “sofort und ständig” – so die Anklage – zu überwachen gewesen wäre.

“Wir werden beweisen, dass eine Haftung nicht vorliegt”

Zuletzt hatte eine Diplomkrankenschwester den Turnusarzt noch auf eine Verschleimung der Patientin aufmerksam gemacht. Dieser habe es jedoch unterlassen, “diese persönlich aufzusuchen und die offensichtlich erforderlichen und zumutbaren medizinischen Maßnahmen zur Unterbindung einer Atemdepression einzuleiten”, wie es im Strafantrag heißt.

Diese Info, dass eine – von der Krankenschwester im Übrigen nicht namentlich genannte – Patientin “verschleimt” sei, sei “untergegangen”, sagte Ernst Schillhammer, der Verteidiger des Turnusarztes. Dieser habe damals 60 Patienten zu betreuen gehabt. Die Anklagebehörde agiere nach dem Motto “Irgendwer muss Schuld sein, weil es schwerfällt zu verstehen, dass es Dinge gibt, wo niemand etwas dafür kann.” Schillhammer forderte einen Freispruch für seinen Mandanten.

In dieselbe Kerbe schlug Anwalt Herbert Eichenseder, der das Krankenhaus Göttlicher Heiland vertritt, für das Geschäftsführer Johannes Steinhart auf der Anklagebank Platz nahm. “Wir werden beweisen, dass eine Haftung nicht vorliegt”, kündigte Eichenseder an. Die Behauptung, technische, personelle und organisatorische Mängel wären vorgelegen, sei unhaltbar: “Dort ist 24 Stunden am Tag eine fachbezogene Anwesenheit eines Facharztes garantiert.”

Angeklagten droht bis zu drei Jahren Haft

Was die angeblich unzureichende Schmerztherapie betrifft, habe das Krankenhaus “seit Jahrzehnten eine Palliativ-Abteilung. In dem Spital wird Schmerztherapie bis zum Exzess betrieben. Da lernst, was Schmerztherapie bedeutet”, betonte der Anwalt.

Der Turnusarzt musste im Zuge der Verhandkung zugeben, bei der Übernahme der Patientin nicht genau überprüft zu haben, welche und wie viele Schmerzmittel diese bereits im Aufwachraum erhalten hatte: “Ich hab’ nicht komplett alles zusammengezählt.” Das sei allerdings “nicht immer üblich”, fügte er hinzu: “Bei großen Bauchoperationen werden Sie alles lesen.” Zusätzlich zu Schmerzmitteln hatte der Turnusarzt der 23-jährigen Patientin auf deren Wunsch das Schlafmittel Halcion verschrieben. Sie habe die Einschlaf-Hilfe zwischen 17.00 und 18.00 Uhr verlangt. Eine Wechselwirkung mit den Medikamenten, die die junge Frau bereits erhalten hatte, habe er nicht befürchtet, sagte der Turnusarzt. Es habe “keine Gefahren gegeben”.Wien. Er habe auch “keine Notwendigkeit gesehen”, am Abend mit dem letztverantwortlichen Oberarzt über die Patientin zu sprechen, stellte der Arzt fest.

Die Staatsanwältin hat in ihrem Strafantrag die Verhängung einer Verbandsgeldbuße über die Krankenhaus Göttlicher Heiland GmBH beantragt, weil diese ihrer Pflicht zur Gewährleistung einer fachgerechten schmerztherapeutischen Behandlung von Patienten nicht nachgekommen sei. Den beiden angeklagten Ärzten drohen im Fall von Schuldsprüchen bis zu drei Jahre Haft. Die Verhandlung ist auf zwei Tage anberaumt.

(APA)

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