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Vor der Morgenröte - Trailer und Kritik zum Film

Bereits 1934 emigrierte der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig von seiner Heimat Österreich nach London. Über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay gelangte er 1940 nach Brasilien.

Von den Exiljahren Zweigs erzählt Maria Schraders einnehmender Episodenfilm “Vor der Morgenröte“. In der Rolle des zunehmend lebensmüden Pazifisten Zweig brilliert Josef Hader.

Vor der Morgenröte – Die Handlung

In ihrer zweiten Regiearbeit nach “Liebesleben” (2007) öffnet die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Schrader vier “Fenster in ein Leben” und greift Situationen aus den letzten Exiljahren des zu seiner Zeit neben Thomas Mann meistübersetzten deutschsprachigen Schriftstellers auf: den Schriftsteller-Kongress in Buenos Aires 1936, einen Stopp im Zuckerrohrfeld auf der Vortragsreise durch Südamerika im Jänner 1941, das Wiedersehen mit seiner ersten Frau Friderike (Barbara Sukowa) in New York kurz darauf, sowie Zweigs Geburtstag in seiner letzten Heimatstätte Petropolis im November 1941, wo er sein letztes und bekanntestes Werk, “Die Schachnovelle”, schrieb.

Begegnungen mit Weggefährten werden dabei ebenso erfasst wie einschneidende Schlüsselmomente, darunter die Kritik an Zweigs Weigerung, sich gegen Hitler-Deutschland zu äußern, oder an seinem vermeintlich verklärenden Buch “Brasilien: Ein Land der Zukunft”. Umklammert werden die vier Episoden von einem Prolog – dem ersten Besuch Zweigs in Brasilien, einem Empfang in Rio de Janeiro 1936 – sowie einem Epilog, der direkt nach dem gemeinsamen Selbstmord mit seiner zweiten Ehefrau Lotte (Aenne Schwarz) 1942 ansetzt.

Vor der Morgenröte – Die Kritik

Gemeinsam mit dem österreichischen Kameramann Wolfgang Thaler (“Paradies”-Trilogie, “Workingman’s Death”) gestaltet Schrader die Momentaufnahmen mit sinnlichen Bildern, viel Dialog, kaum Schnitten und keiner Musik. Der etwas langatmige Auftakt und das sehr berührende Ende sind gar Plansequenzen, die nie das ganze Geschehen zeigen. Generell ermöglichen die einzelnen Episoden durch die Erzählung in Echtzeit viel Raum und genaues Hinschauen, und fordert die lose Struktur ohne biografische Eckpfeiler die Zuseher heraus, eigene Schlüsse zu ziehen.

Man braucht eine Weile, um in diesen Film einzutauchen, sich an seine Struktur zu gewöhnen und in Josef Hader nicht mehr Josef Hader zu sehen. Spätestens in der so behutsam inszenierten, bittersüßen zweiten Episode im brasilianischen Bahia ist man aber gebannt: Der Empfang des Bürgermeisters auf dessen Landsitz wird zum absurden Schauspiel und gipfelt in der schiefen Darbietung des Donauwalzers durch eine Provinzkapelle, die Zweig die Tränen in die Augen treibt – steht sie doch für ein Land, in dem er nicht mehr sicher war, in einem Europa, das im Zweiten Weltkrieg zerfällt. Maria Schrader schafft mit “Vor der Morgenröte” das berührende Porträt eines pazifistisch gesinnten Humanisten, der am Untergang Europas zerbricht, und spannt gleichsam den Bogen ins Heute. In einer Zeit, in der angesichts der Flüchtlingsdebatte die Diskurse radikaler und Grenzzäune wieder aufgezogen werden, hallen Zweigs Wunsch nach einem “geeinten Europa” ohne Grenzen und seine Überforderung ob eines “halben Kontinents, der auf einen anderen Kontinent flüchten möchte” stark wider.

All das würde nicht aufgehen ohne Josef Hader: In Österreich dank seiner Kabarettprogramme und Filmauftritte als Brenner oder “Aufschneider” Kult, legt er seinen charakteristischen Sarkasmus hier gänzlich ab. Als Zweig mutet Hader sensibel und melancholisch-entrückt an, mit seltenen Anflügen eines Strahlens in den Augen, und damit stets ambivalent: Wenn die Kamera sein Gesicht von außen durch das Fenster eines fahrenden Autos einfängt, scheinen vor seinem geistigen Auge ganz andere Bilder zu laufen als jene des tropischen Paradieses, das an ihm vorbeizieht. Mit jeder Episode sieht man ihm Erschöpfung und Verzweiflung deutlicher an. Wenn Hader dann Zweigs Original-Abschiedsbrief im Off verliest, klingen die Worte konsequent und eindringlich: “Ich grüße alle Freunde, mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.”

>> Alle Filmstartzeiten zu “Vor der Morgenröte”

(APA)

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