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Übergriffe in Köln: Über 100 Anzeigen, Vorwürfe und ein seltsamer "Armlänge"-Tipp

Die Reaktionen pendelten zwischen Spott und scharfer Kritik
Die Reaktionen pendelten zwischen Spott und scharfer Kritik
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat mit einer Verhaltensempfehlung an Frauen nach den Übergriffen in der Silvesternacht für Aufregung im Internet gesorgt. Sie antwortete auf die Frage, wie man sich als Frau besser schützen könne, unter anderem: "Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft".
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Die Reaktionen – etwa bei Twitter unter dem Kennzeichen #einearmlaenge – pendelten zwischen Spott und scharfer Kritik. Ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes schrieb etwa: “Ich könnte platzen! Bekommen Frauen jetzt eine Mitschuld, wenn sie sich nicht an die Verhaltensregeln halten?” Ein anderer kommentierte ironisch: “Banken sollten vielleicht besser #einearmlaenge Abstand von Bankräubern halten.”

Über 100 Anzeigen

Vor dem Kölner Hauptbahnhof hatte es in der Silvesternacht massive Übergriffe auf Frauen gegeben. Nach Angaben der Polizei waren sie von Männergruppen umzingelt, bedrängt und ausgeraubt worden. In einem Fall ermittelt die Polizei auch wegen des Verdachts der Vergewaltigung.

Immer mehr Opfer melden sich bei der Kölner Polizei. Mittlerweile seien mehr als 100 Anzeigen eingegangen, sagte eine Sprecherin am Mittwoch. Davon hätten drei Viertel einen sexuellen Hintergrund.

Täter kaum zu ermitteln

Nach den Vernehmungen der Opfer habe sich ein klareres Bild der Taten ergeben. “Viele Frauen geben in den Gesprächen an, dass sie auch angefasst wurden”, sagte die Sprecherin. Täter habe die Polizei noch keine ermittelt. Die Beweisführung gestalte sich als “sehr schwierig”, was vor allem an der “Gemengelage” in der Silvesternacht liege.

Polizei und Innenminister werfen sich “Versagen” vor

Die Deutsche Polizeigewerkschaft verteidigte unterdessen den Einsatz in der Silvesternacht, der nach den Übergriffen auf Frauen zunehmend in die Kritik gerät. “Die Polizei kann nicht immer alle Eventualitäten voraussehen”, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft Rainer Wendt am Mittwoch im WDR 5. “Auch bei bester Vorbereitung kann so etwas passieren.”

Alle wüssten, dass dieses Ereignis in seiner Dimension bisher einmalig gewesen sei. Dass nicht entschiedener gegen organisierte Diebesbanden vorgegangen werde, müsse man der Justiz vorwerfen. “Ich bin auch verwundert darüber, dass man immer erst solche Opfer und solche Szenarien braucht, bis man zu vernünftigen politischen Entscheidungen kommt, nämlich mehr Personal, bessere Technik und hoffentlich auch bald vernünftige Gesetze.”

“Polizisten im Grenzeinsatz fehlten”

Verärgert zeigte sich Wendt über die Kritik von Innenminister Thomas de Maiziere an der Polizei. “Ich glaube nicht, dass es ein guter Stil ist, wenn der Bundesinnenminister in aller Öffentlichkeit die Landespolizei und die Einsatzleitung dort kritisiert. In dieser Weise pauschal über die Polizei in Köln herzufallen, das ist unanständig. Das gehört sich einfach nicht”, sagte Wendt im am Mittwoch dem Sender HR.

Wendt machte stattdessen de Maiziere für die Situation in Köln mitverantwortlich. “De Maiziere muss die Frage beantworten, wo eigentlich die vielen Bundespolizisten waren, die am Kölner Hauptbahnhof eigentlich auf dem Dienstplan stehen”, sagte er dem Sender weiter. Diese würden schon seit Monaten “zweckentfremdet” in Bayern für die Grenzsicherung eingesetzt.

De Maiziere hatte die Kölner Polizei am Dienstagabend heftig kritisiert. Es könne nicht sein, dass solche Ereignisse stattfänden “und man wartet auf Anzeigen”, sagte er in den ARD-“Tagesthemen”. “So kann Polizei nicht arbeiten.”

Kölner Polizeichef schließt Rücktritt aus

Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers hat seinen Rücktritt ausgeschlossen. Auf die Frage, ob er im Amt bleibe, sagte er am Mittwoch in einem Interview auf WDR 5: “Aber natürlich. Gerade jetzt bin ich, glaube ich, hier gefragt.” Im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval sprach Albers von einer “schwierigen Situation” in Köln. “Wir werden uns gut aufstellen, und da bin ich auch gefordert. Deshalb mache ich das hier in Köln. Ich bin hier bei meiner Kölner Polizei.”

Justizminister Heiko Maas (SPD) dringt unterdessen darauf, Hinweisen nachzugehen, dass die Übergriffe der Silvesternacht in Köln vorab verabredet gewesen sein könnten. “Das Ganze scheint abgesprochen gewesen zu sein,” sagte Maas am Mittwoch im ZDF-“Morgenmagazin”. “Es wäre schön, wenn das keine Organisierte Kriminalität wäre, aber ich würde das gerne mal überprüfen, ob es im Hintergrund Leute gibt, die so etwas organisieren.” So etwas passiere nicht aus dem Nichts, es müsse jemand dahinterstecken.

Immer mehr Anzeigen in Hamburg und Stuttgart

Auch auf der Reeperbahn in Hamburg war es in der Silvesternacht zu Übergriffen auf Frauen gekommen. Dort bildet die Polizei zur Aufklärung eine Sonder-Ermittlungsgruppe.

In Hamburg waren in der Nacht auf den Neujahrstag Dutzende junge Frauen auf St. Pauli von Männergruppen umringt, sexuell belästigt und beraubt worden. Die Täter sollen Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren “mit südländischem oder arabischem Aussehen” gewesen sein. Bis zum Dienstag gingen bei der Polizei 27 Anzeigen von Opfern ein. Die Beamten riefen mögliche weitere betroffene Frauen und Zeugen auf, sich zu melden. Ob es einen Zusammenhang oder Absprachen mit den Tätern von Köln gibt, war noch unklar.

Weitere Fälle nach demselben Schema ereigneten sich in Stuttgart. Nachdem zuerst von einem Fall die Rede war, bei dem zwei 18-Jährige in der Stuttgarter Stadtmitte von Unbekannten bedrängt und begrapscht worden sind, häuften sich am Dienstag auch hier die Anzeigen. Die lokale Polizei nannte jedoch keine genaue Zahl und sprach stattdessen von einer “Hand voll Anzeigen”. (red/APA/dpa)

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