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Schwarzkappler sind keine einsamen Sadisten

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70 hauptberuflichen Wiener Kartenkontrolleure begeben sich täglich auf die Jagd nach einem bunten Strauß „vergesslicher“ Menschen. Und in Wahrheit sind sie gar nicht so "böse".

Ein älterer Herr kommt in die U-Bahn und wird von einem freundlichen jungen Mann gefragt: „Möchten Sie sich setzen?“ Da antwortet der Herr: „Nein danke, ich bin die letzten 20 Jahre gesessen!“ Willi und Ernst haben den Witz schon oft gehört, lachen aber trotzdem. Vor allem, weil sie sich über den netten Fahrgast freuen, der ihn erzählt. Der gemütlich beleibte 56-Jährige und der sportlich adrette 42-Jährige lieben ihren Job: Sie sind „Schwarzkappler“.

Die zwei der rund 70 hauptberuflichen Wiener Kartenkontrolleure sind lebende Beweisexemplare für die Widerlegung der unter Schwarzfahrern beliebten These, „schwarzkapplern“ sei nur etwas für einsame Sadisten. Horrorszenarien, in denen arme Fahrgäste ohne Ausweis aus dem Verkehrsmittel gezerrt und mit roher Gewalt auf den Boden gedrückt werden, bis die Polizei eintrifft, sind – so die Kontrolleure – Märchen. Obwohl sie als „Eisenbahnaufsichtsorgane“ das Recht zum Festhalten eines „schwarzen“ Passagiers hätten, untersagen ihnen die Vorgesetzten in den meisten Fällen, davon Gebrauch zu machen. Es provoziere nur Aggressivität.

Unfreundliche Fahrgäste gibt es wenige

„Ich hab ja schon seit einer Ewigkeit keinen Schwarzkappler mehr gesehen“, freut sich eine ältere Dame, als Willi ihr seinen Wiener-Linien-Ausweis vor die Nase hält. Unfreundliche Fahrgäste sind in der absoluten Minderzahl, so die Fahrkartenkontrolleure. Dass einige ihrer Kollegen hier sicherlich auch schon andere Erfahrungen gemacht haben, wissen die beiden aber auch. Drohungen bis hin zu aufgeschlitzten Autoreifen oder eingeschlagenen Scheiben können Konsequenzen aus dem ungebetenen „zur Kasse bitten“ sein. Willi und Ernst machen ihren Job seit 22 beziehungsweise seit zehn Jahren und nehmen ihn gelassen.

Gerne machen sie einen Schmäh mit den Kontrollierten, geben bereitwillig Auskunft über Fahrpläne oder Kurz- und Langstreckenzonen und lassen ab und an auch einmal einen Schwarzfahrer laufen. „Kulanz“ wird dann als Grund in ihr Datengerät eingegeben. Hier werden jeder Arbeitsschritt, jede kontrollierte Linie und jeder „Erwischte“ – mit grober Beschreibung des Aussehens – aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und um spätere Einwände zu entkräften, akribisch genau festgehalten.

Sie kennen alle Ausreden

„Ich wollte doch nur den Wagen besichtigen…“ Ausreden zahlen sich kaum aus. Die beiden alten Hasen kennen sie alle. Der dümmste Vorwand fürs Schwarzfahren ist wohl, dass der Stempelautomat kaputt gewesen wäre: Vor jedem Fahrtantritt gehen die Schwarzkappler nämlich kontroll-stempeln. Auch mangelnde Sprachkenntnisse stellen keinen strafmildernden Grund dar, denn nach Meinung der Kontrolleure sollte es auch in anderen Ländern bekannt sein, dass die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln bezahlt werden muss. Außerdem sind die Hinweise auf den Fahrkartenautomaten in vier Sprachen gehalten: „Da sollte doch für jeden was dabei sein.“

„Die meisten ertappten Schwarzfahrer bezahlen eigentlich ohne Beanstandung“, weiß Willi aus seiner langjährigen Arbeitserfahrung zu berichten. Nicht selten gibt es routinierte Passagiere, die den Kontrolleuren das „zusätzliche Entgelt“, wie die 60 Euro hohe Buße offiziell genannt wird, sowie die zwei Euro Fahrtkosten ohne ein Wort zu sagen abgezählt entgegenstrecken.

Zwischen sechs und acht Fahrgäste bitten Willi und Ernst pro Schicht zur Kasse. Wie sie die Schwarzfahrer erkennen? Meistens verraten sie sich selbst. Sie wirken nervös, mustern jeden Fahrgast, der die U-Bahn oder Bim betritt, und halten sich auch in leeren Abteilen stehend und verdächtig nahe an den Türen auf. Einen bestimmten Typ Mensch könne man hingegen nicht festmachen. „Oft sind es Professoren, Anwälte und Ärzte genau so wie Arbeitslose oder Studenten jeden Alters, die natürlich niemals schwarzfahren. Sie haben immer nur den Fahrschein vergessen“. Ein bunter Strauß vergesslicher Menschen, also.

Redaktion: Christian Wata

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