Oft werden Täter wie der Wilderer schnell als “psychisch krank” kategorisiert. Gegen beides verwehrt sich nun die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) am Mittwoch in einer Stellungnahme. Vom Vorliegen einer “Schizophrenie” bei dem niederösterreichischen Wilderer könne keine Rede sein, vorschnelle “Pseudo-Analysen” seien abzulehnen.
Über den Wilderer von Annaberg
Der Präsident der Fachgesellschaft, der Psychiater Georg Psota (Chefarzt der Psychosozialen Dienste – PSD in Wien) und der Leiter der Sektion für Sozialpsychiatrie und Public Mental Health der Gesellschaft, Johannes Wancata (Psychiatrische Universitätsklinik der MedUni Wien im AKH), rekapitulieren zunächst die Ereignisse: “Die furchtbaren Gewalttaten des 55-jährigen Alois H. erfahren verständlicherweise eine intensive Beachtung in der Österreichischen Öffentlichkeit. Ein langjähriger Jäger entwickelte sich zu einem gefährlichen Wilderer. In einer Situation der möglichen Festnahme tötete er mehrere Einsatzkräfte und verursachte enormes Leid. Ohne weitere Fluchtmöglichkeit tötete er sich dann letztlich selbst.”
Aus diesem Handeln sei jedenfalls keine Schizophrenie abzuleiten, wie dies in der Öffentlichkeit nach den Bluttaten zum Teil auch diskutiert worden ist. Die Experten: “Fachliche Tatsachen dazu: Die Krankheit ‘Schizophrenie’ lag beim genannten Jäger, Wilderer, Waffenfanatiker und Mörder nicht vor. Auch alle Formen von Doppelleben haben ebenfalls mit Schizophrenie nichts zu tun. Der Begriff ‘schizophren’ wird hier einerseits stigmatisierend und andererseits aus offensichtlichem Unwissen heraus völlig falsch verwendet.”
Stigmatisierung soll vermieden werden
Das helfe nicht, schädige wirklich Betroffene und deren Angehörige vor allem durch daraus folgende Stigmatisierung und Diskriminierung. In Österreich leiden rund 1,5 Prozent der Menschen an einer Schizophrenie. Der Anteil der Betroffenen an der Gesamtbevölkerung ist bei dieser psychiatrischen Erkrankung weltweit relativ gleich.
Die Fachleute: “Die ÖGPP verwehrt sich gegen diese Stigmatisierung und auch gegen spekulative Pseudo-Analysen, die grauenhafte Taten in entbehrlicher Weise grundsätzlich mit psychischer Krankheit gleichsetzen. Damit ist weder der Opfern, noch deren Angehörigen geholfen. Für jene Menschen, die unter einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Krankheit leiden, stellen solche Äußerungen eine persönliche Verletzung in einer krankheitsbedingt ohnehin schwierigen Situation dar.”
Opfer-Hilfe soll im Vordergrund stehen
Überhaupt sollte nach derartigen Katastrophen die Hilfe für die Opfer, für deren Angehörige und andere direkt oder indirekt Betroffene auf lange Sicht im Vordergrund stehen. Der Text, der von Psota und Wancata unterzeichnet worden ist: “Es muss jetzt zuerst darum gehen, die zahlreichen (auch indirekt) Betroffenen dieser menschlichen Katastrophe zu unterstützen, und dann um eine fachlich seriöse Analyse der Hintergründe.”
Ähnlich hatte sich beispielsweise im Frühjahr dieses Jahres die Linzer Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner im Eröffnungsvortrag zu den Ärztetagen in Grado in Italien geäußert: “Das Böse ist keine medizinische Kategorie. (…) Das ‚Böse’ ist normaler als wir denken.”
Medien beeinflussen Täter-Bild
Trotzdem würden Medien oft einfach falsche Konzepte entwerfen bzw. fördern. Die Linzer Expertin: “Die Journalisten befragen Nachbarn (des Täters eines zunächst ‘unverständlichen’ schweren Verbrechens, Anm.). Die sagen am ersten Tag, sie hätten sich ‘nie’ vorstellen können, dass derjenige so etwas tut. Am zweiten Tag heißt es dann, wenn man so richtig nachdenke, habe der Betroffene doch ‘etwas Verrücktes’ an sich gehabt. Am dritten Tag sagt man: ‘Der ist krank’.” Das sei schlichtweg inadäquat.
(apa/red)