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Wird Wien zu einem Tummelplatz für Mörder?

Die Zahl der Obduktionen sinkt - dadurch könnten zahlreiche Kriminalfälle unentdeckt bleiben. Dies befürchten die Gerichtsmediziner - die Grünen haben bereits heftige Kritik ausgesprochen.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz erhoben Justizsprecher Albert Steinhauser und Gesundheits- und Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald Vorwürfe gegen die Gemeinde Wien und die Bundespolitik.

Mit Jahresanfang wurde das baufällige Department für Gerichtliche Medizin in der Sensengasse geschlossen. Die Gerichtsmediziner führen seither die staatsanwaltschaftlich angeordneten Obduktionen in zwei Spitälern – dem SMZ Ost und dem Kaiser-Franz-Josefs-Spital – durch. Aus Kostengründen hat die Gemeinde Wien außerdem die sanitätspolizeilichen Obduktionen von der Wiener Gerichtsmedizin abgezogen, die nun von Pathologen in verschiedenen Krankenhäusern des Wiener Krankenanstaltenverbunds durchgeführt werden – im Wesentlichen allerdings nur mehr dann, wenn keine Todesursache festgestellt werden kann und keine Hinweise auf Fremdverschulden vorliegen.

Für die Grünen ein untragbarer Zustand. “Der Wiener Gesetzgeber hat mit seiner Novellierung eine gefährliche Sicherheitslücke geschaffen. Dieses Vorgehen ist fahrlässig. Wien darf nicht zum Tummelplatz für das versuchte perfekte Verbrechen werden! Wien darf nicht zum Paradies für Mörder werden!”, stellte Steinhauser fest.

Der Grüne Justizsprecher belegte seine Befürchtungen mit einem statistischen Vergleich. Demnach wurden zwischen 1. Jänner und 31. August 2007 an der Gerichtsmedizin noch 913 sanitätspolizeiliche Leichenöffnungen vorgenommen. In 73 Fällen kam es dabei zu einer Anzeige, 23 Obduktionen erwiesen sich in weiterer Folge als sicherheitsrechtlich relevant und hatten Ermittlungen gegen mögliche Tatverdächtige zur Folge.

Seit 1. September 2007 hätten in Wien weniger als 100 sanitätsbehördliche Obduktionen stattgefunden. Mögliche Mordfälle, Vergiftungen, Fälle von unterlassener Hilfeleistung und ärztlichem Fehlverhalten wären so unentdeckt geblieben, gab Steinhauser zu bedenken: “Die Gefahr, dass Verbrechen ungeklärt bleiben, ist gestiegen.” Zudem wären die mit der Reduktion angepeilten Einsparungen nicht erreicht worden.

Die Grünen verwiesen weiters darauf, dass Leichenöffnungen in den Wiener Spitälern unter teils unzumutbaren Bedingungen stattfänden. Den Ärzten stünde etwa oft gar kein adäquates Röntgengerät zur Verfügung. Schwere Kindesmisshandlungen wie im sogenannten “Fall Luca” wären damit derzeit kaum aufzudecken.

Gesundheitssprecher Grünewald stieß sich auch daran, dass sanitätspolizeiliche Obduktionen von fachfremden, dafür nicht ausgebildeten Pathologen durchgeführt werden: “Die Gemeinde Wien riskiert Kurpfuscherei. Wenn ein Gynäkologe zahnärztlich tätig wird, steht er vor Gericht!”

Grundsätzlich bewirke der Rückgang von Obduktionen eine Verfälschung der der gesundheitspolitisch immens wichtigen Todesursachenstatistik. Der eingeschlagene Weg führe “ins wissenschaftliche Nirvana”, konstatierte Grünewald.

Die Grünen fordern daher eine Anhebung der sanitätsbehördlichen Obduktionen auf ein angemessenes Niveau, vollen Kostenersatz bei universitären Dienstleistungen im Auftrag Dritter für die Medizinische Universität und einen raschen Neubau eines modernen Instituts für Gerichtsmedizin am Standort Sensengasse. Dafür habe der Bund eine “kräftige Finanzspritze” zu gewähren, zumal ursprünglich der Gerichtsmedizin zugedachte 16,5 Mio. Euro aus Bundesmitteln mittlerweile für den Bau der Zahnmedizin verwendet worden sein sollen, wie Grünewald andeutete.

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