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Mikl-Leitner warnt vor Scheitern der EU wegen Flüchtlingsfrage

Mikl-Leitner warnt vor einem Scheitern der EU.
Mikl-Leitner warnt vor einem Scheitern der EU. ©APA (Sujet)
Aufgrund der schwierigen Lage in Nahost und Afrika werde die große Flucht "noch die nächsten Jahre andauern.", sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in einem Interview. Sie warnte vor einem Scheitern der EU an der Flüchtlingsfrage.

“Umso wichtiger wäre es, dass Europa jetzt rasch handelt, damit die Fluchtgründe wegfallen”, betonte die Ministerin. Auf die Schwierigkeit angesprochen, eine Quotenregelung für die Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten zu finden, sagte Mikl-Leitner: “Entweder die EU steht hier zusammen oder sie wird an der Flüchtlingsfrage scheitern. Wenn die Nationalisten die Oberhand gewinnen, könnte es mit einem friedlichen Europa schneller vorbei sein, als so manche glauben.”

Mikl-Leitner kritisiert ungerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU

Es könne “nicht sein, dass zehn Mitgliedstaaten 92 Prozent aller Asylverfahren abwickeln. Mir ist jedes Mittel recht, um die anderen 18 Staaten in die Verantwortung zu nehmen, die meinen, sich nur die Rosinen aus der EU herauspicken zu können”. Die Streichung von Förderungen sei “eine Möglichkeit. Aber ich bin für alle Ideen offen.”

Mikl-Leitner kritisierte auch die Stacheldrahtzäunen an der ungarischen Grenze zu Serbien: “Meine Vorstellung von Europa ist das nicht. Wir sollten die Außengrenzen vor allem mit Personal kontrollieren. Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass sich Flüchtlinge von Zäunen und Mauern abhalten lassen. Sie finden Wege, um diese Hürden zu überwinden.”

Regierung holt UNHCR-Experten als Berater

Der UNHCR-Sonderbeauftragte Kilian Kleinschmidt soll der Bundesregierung künftig in Flüchtlings-Fragen zur Seite stehen. Das sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im ORF-“Report” am Dienstagabend. Dass Österreich durch das Zulassen der Weiterreise von Flüchtlingen, die aus Ungarn nach Deutschland reisten, die Dublin-Regeln verletzt habe, wies sie erneut zurück.

Mit Kleinschmidt holt die Regierung den ehemaligen Leiter des Flüchtlingslagers Zaatari in Jordanien, dem größten in der arabischen Welt, als Berater an Bord. “Er wird uns seine Expertise zur Verfügung stellen”, sagte Mikl-Leitner.

Einmal mehr wies die Ressortchefin den Vorwurf zurück, Österreich habe die Dublin-III-Regeln verletzt (laut denen jenes EU-Land für die Bearbeitung von Asylverfahren zuständig ist, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben – und daher dorthin zurückgeschoben werden müssten). Dass seit Montag aus Ungarn kommenden Flüchtlingen die Weiterreise Richtung Deutschland ermöglicht wurde, schrieb Mikl-Leitner der Ausnahmesituation auf den Bahnhöfen zu. “Österreich hält an Dublin fest”, sagte sie.

Zum Vorwurf, die Polizei hätte etwa am Wiener Westbahnhof keine Kontrollen durchgeführt, sagte die Ministerin: “Wir hatten dort eine Ausnahmesituation, es ist auch darum gegangen, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Es gab auch stichprobenartige Kontrollen, wie es vorgesehen ist; die finden auch in Zukunft statt.” Sie werde aber “sicherlich keine Grenzkontrollen” umsetzen. Von jenen mehr als 3.600 Flüchtlingen, die gestern am Westbahnhof angekommen waren, wurde niemand nach Ungarn zurückgeschickt. Lediglich sechs Personen stellten einen Asylantrag in Österreich, so die Ministerin.

Auf die Frage wie viele Flüchtlinge Österreich aufnehmen könne, meinte die Ministerin, 70.000 bis 80.000 seien auf alle Fälle machbar, sofern alle Anstrengungen unternommen werden. Hier gehe es vor allem um die Schaffung von Quartieren. Hoffnung setze sie auf das ab Oktober geltende Durchgriffsrecht des Bundes, sagte sie erneut.

Syrischer Musiker Ammo: “Politik muss Lösung finden”

“Es war eine schwierige Zeit für mich.” Erzählt Salah Ammo von seiner Ankunft in Österreich, erinnert das an viele Schicksale, die sich aktuell hier abspielen. 2012 wollte er in England sein Ethnomusikologiestudium abschließen und suchte um Asyl an. In seinem Pass fand man aber ein österreichisches Visum – und so kam Ammo kurze Zeit später nach Traiskirchen: “Das war nicht geplant.”

“Ich wusste nichts und kannte hier niemanden”, so Ammo im APA-Gespräch. “Ich bin hier einfach gelandet.” Nach zwei Wochen im Erstaufnahmezentrum ging es weiter nach Oberösterreich, “das übliche Prozedere”, wie der Lautenspieler bemerkt. Und dennoch sei die Situation für ihn damals “sicher anders” gewesen, als sie sich heute darstellt. “Der Andrang war noch nicht so groß, besonders, was syrische Flüchtlinge betroffen hat. Mittlerweile sind es einfach so viele geworden. Österreich ist ganz offensichtlich darauf nicht vorbereitet, mit dieser großen Anzahl umzugehen. Die Politik weiß nicht, was sie tun soll. Ganz Europa weiß nicht, wie es reagieren soll.”

Kommt die Sprache auf Pläne für verstärkte Grenzkontrollen oder gar Zäune, findet Ammo deutliche Worte. “Es gibt einen ganz fundamentalen Grund dafür, warum diese Menschen hierherkommen: In Syrien herrscht Krieg! Wir sind alle Menschen, und so müsste es doch nachvollziehbar sein, dass man bei solchen Problemen weg möchte.” Der Musiker sieht Europa dabei durchaus in der Verantwortung. “Wenn man eine Lösung für die Situation vor Ort finden würde, dann kämen diese Leute auch nicht. Aber sein Land mit Zäunen schützen zu wollen, das wird sicher nicht funktionieren.”

Eine Änderung der Situation hängt seiner Ansicht nach von verschiedenen Faktoren ab. “Man muss zudem bedenken, dass es keine einheitliche Linie gibt. Beinahe jedes Land agiert anders. In Deutschland werden Syrer aktuell aufgenommen, weil man sie als Bereicherung betrachtet. Das ist aber nicht überall so. Und in Österreich weiß man offenbar nicht einmal, wie man mit jenen Flüchtlingen, die schon da sind, umgehen soll. Am wichtigsten wird dennoch sein, eine Lösung für den Krieg in Syrien zu finden. Nur die eigenen Grenzen zu schützen, ist aus meiner Sicht die falsche Herangehensweise.”

Salah Ammo möchte mit seiner Kunst jedenfalls einen Beitrag leisten. “Ich versuche, eine Verbindung herzustellen zwischen meiner Musik und der syrischen Kultur.” Am morgigen Donnerstag spielt er gemeinsam mit Kollegen wie Orwa Saleh unter dem Titel “Syrian Links” ein Konzert im Wiener Porgy & Bess. “Da musizieren wir zusammen mit Österreichern und versuchen, etwas weiterzugeben, aber auch etwas Neues zu kreieren.” Die Musik funktioniere “über Sprachbarrieren hinweg” und sei daher geeignet, einen Kontakt zwischen den Kultur herzustellen. “Aber nicht nur in der Musik oder Kunst gibt es Talente zu entdecken”, so Ammo. Täglich kämen Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten nach Österreich. “Aber sie müssen dann zuhause sitzen, weil sie einfach nicht arbeiten dürfen. Sie scheitern an der Bürokratie.”

Grundsätzlich nehme sich die Kunstszene auf unterschiedlichen Ebenen der Thematik an. “Es gibt viele Menschen, die sich dessen sehr bewusst sind”, resümiert Ammo. “Oft sind es aber nur Einzelpersonen. Sie solidarisieren sich mit dem syrischen Volk, sympathisieren mit der Kunst oder der Musik – aber das ist aus meiner Sicht nicht genug. Am Ende wird es an der Politik liegen, an den Entscheidungsträgern auf höchster Ebene, etwas zu verändern. Die Politik muss eine Lösung finden.” Man dürfe nicht vergessen, dass niemand auf dem Planeten vor einem solchen Schicksal gefeit sei. “Ein Blick zurück in die Geschichte genügt dafür.”

Ob er selbst jemals in sein Heimatland zurückkehren wird können, bezweifelt Ammo aktuell. “Derzeit sehe ich das nicht. Ich habe auch Österreich als meine neue Heimat angenommen. Hier habe ich mir ein Leben aufgebaut”, betont der Buzuk-Spieler. “Vielleicht komme ich irgendwann in der Zukunft wieder zurück nach Syrien. Aber derzeit gehöre ich hierher.”

Regierungsklausur mit Konrad Freitag kommender Woche

Die von der Regierung gestern angekündigte Klausur zum Flüchtlingsthema wird Freitag kommender Woche stattfinden. Das erfuhr die APA aus Regierungskreisen. Ab Mittag wird mit Open End mit dem neu installierten Flüchtlingskoordinator Christian Konrad das weitere Vorgehen besprochen.

(apa/red)

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