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Serbien: 60.000 verabschiedeten Milosevic

Etwa 60.000 mehrheitlich ältere Anhänger haben sich am Samstag in Belgrad vom verstorbenen jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic, verabschiedet.

Kurz vor 14.00 Uhr verließ der Kombiwagen mit dem Sarg Milosevics die serbische Hauptstadt Richtung Pozarevac, etwa 85 Kilometer südöstlich von Belgrad, für immer.

„Slobodan lebt, er ist nicht gestorben, solange es Serben und Serbien gibt“, verkündete zu Beginn der fast zweistündigen Kundgebung vor dem serbisch-montenegrinischen Parlament einer der engsten Mitarbeiter, Bogoljub Bjelica. „Pozarevac wird die Ehre haben, die sterblichen Reste des größten serbischen Freiheitskämpfers des 20. Jahrhundert zu wahren“, meinte zum Schluss die Moderatorin aus der Sozialistischen Partei. Abschied von Milosevic nahmen höchste SPS- und SRS-Funktionäre, der russische Kommunistenführer Genadij Sjuganow, aber auch der frühere US-Staatsanwalt Ramsey Clark, Mitglied einer internationalen Expertengruppe, die Milosevic bei der Vorbereitung seiner Verteidigung vor dem Haager Tribunal behilflich war.

Die Kundgebung, bei der die Bilder von Milosevic, aber auch anderer Haager Angeklagten, darunter eines der meist gesuchten, Ratko Mladic, zu sehen waren, rief mit ihrer Ikonografie die neunziger Jahre in Erinnerung. „Wir geben Mladic nicht, wir geben Tadic (den serbischen Präsidenten)“, riefen die Anwesenden immer wieder. Buhruhe galten auch Außenminister Vuk Draskovic, aber auch den NATO-Staaten. Der frühere Chefideologe der Sozialisten, Mihajlo Markovic, bezeichnete Milosevic als „wahren Internationalisten und wahren Serben“. „Er ist nicht für einen einzigen Krieg verantwortlich. Und weil sie ihn nicht brechen konnten, haben sie ihn ermordet“, sagte er unter „Slobo, Slobo“-Rufen.

Milosevic, der vom UNO-Kriegsverbrechertribunal wegen Kriegsverbrechen im Kosovo, Kroatien und Bosnien-Herzegowina angeklagt wurde, verabschiedete sich dort von Belgrad, wo sein schneller Aufstieg begonnen hatte. Vor dem einstigen jugoslawischen Parlament hatte der serbische Kommunistenführer 1989 eine seiner bekanntesten nationalistischen Reden gehalten. Hier wurde er am 5. Oktober 2000 von der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) auch gestürzt.

„Ich verspreche, gegen die Haager Kriminellen ebenso energisch zu kämpfen, wie Du dies getan hast, die Wahrheit und unsere serbische Heimat schützen“, verkündete der ehemalige Bündnispartner Milosevics, Ultranationalistenführer Vojislav Seselj, in einem Schreiben, das von einem seiner Parteifreunde verlesen wurde. „Serbien wird sich wie ein Phönix aus der Asche erheben“, heißt es darin. Seselj befindet sich seit drei Jahren im UNO-Tribunalsgefängnis wegen Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und in der südserbischen Provinz Kosovo. Mit dabei bei der Kundgebung war jedoch ein anderer Haager Angeklagte, der frühere jugoslawische Generalstabchef Dragoljub Ojdanic, der sich vom UNO-Tribunal wegen Kriegsverbrechen im Kosovo zu verteidigen haben wird. Ojdanic wurde bis zum Prozessbeginn freigelassen.

Die Kundgebung, eine Mischung aus kommunistischem Internationalismus und betontem Nationalismus und Westenfeindlichkeit, verlief ruhig. Neben der Bühne, auf der sich der Sarg Milosevics befand, stand auch eine Fahne des ehemaligen Staates, der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, SFRJ, der 1991 zerfallen war. Der Sarg mit dem Leichnam von Milosevic war zuvor zwei Tage im Belgrader Revolutionsmuseum aufgebahrt gewesen. Zehntausende waren an der Fotografie des früheren starken Mannes und dem mit Blumen und der serbischen Fahne geschmückten Sarg vorbeigezogen.

Milosevic wird am Nachmittag im Kreis engster Mitarbeiter im Garten seiner Familienvilla, ohne Staatsehren, beigesetzt werden. Auch die engsten Familienmitglieder werden dem Begräbnis fern bleiben. Die Witwe Mira Markovic ließ ihr Fernbleiben mit „Drohungen und Pressionen“ begründen. Auch unter den zahlreichen Todesanzeigen, die serbische Zeitungen am Samstag für Milosevic veröffentlichten, fand sich keine von Familienmitgliedern.

Der Haager Angeklagte war vorigen Samstag wenige Monate vor dem Abschluss des Marathonprozesses vor dem UNO-Tribunal allein in seiner Gefängniszelle gestorben.

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