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Conchita Wurst Backstage: Biografie erzählt Geschichte der Kunstfigur

Als Tom Neuwirth in der Volksschule gefragt wurde, was er einmal werden möchte, antwortete er: "Berühmt!" Dies ist ihm unter dem Namen Conchita Wurst spätestens mit dem Sieg beim Eurovision Song Contest 2014 gelungen. Die Biografie "Conchita Wurst: Backstage" beleuchtet das Leben der Kunstfigur.
Live-Ticker vom ESC 2014
"Wir müssen angeben"
FB-Gruppe gegen Conchita

Das muss zugleich zu Beginn gesagt werden: Die Conchita Wurst-Biografie, die Irving Wolther und Mario Lackner verfasst haben, hält, was sie verspricht: Sie dokumentiert das “Leben” der Kunstfigur – und dieses ist ja bekanntlich noch nicht lang. Erst seit wenigen Jahren tritt Tom Neuwirth als Conchita Wurst auf und diese Jahre werden, wenn auch nicht durchgängig in chronologischer Reihenfolge, ausführlich beleuchtet. Ergänzt werden die Ausführungen der Autoren durch Zitate aus Interviews oder Facebook-Postings. Tom Neuwirth spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn beispielsweise “heftige Diskriminierungserfahrungen in seiner Jugendzeit” zwar erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Es handelt sich eben um die Biografie von Conchita Wurst und nicht von Tom Neuwirth. Autorisiert ist das Werk übrigens nicht.

Conchita Wurst wird zur Queen of Austria

Das Buch, in dem ganze Passagen geschwärzt werden mussten, weil Interviewpartner ihre Statements im Nachhinein doch nicht abgedruckt sehen wollten, beginnt mit einem der wichtigsten Momente der österreichischen Musikgeschichte: Am 10. Mai 2014 um 21.53 Uhr steht Conchita Wurst auf der ESC-Bühne in Kopenhagen. Laut Ansicht der Autoren war dies der Moment, in dem sie zur “Queen of Austria” wurde. “Wer hätte das vor dem Abflug vor Kopenhagen zu träumen gewagt?”, wird gefragt und so offen eingestanden, dass der Sieg nicht von Anfang an klar war. An der österreichischen Bevölkerung wird in dieser Hinsicht kein gutes Haar gelassen: Diese sei “tendenziell eher konservativ und der Austausch von Gedanken und Ideen auf Augenhöhe steht in Österreichs Bierzelten und Kaffeehäusern nicht besonders hoch im Kurs”, meinen die Autoren.

Der Weg zur “Queen” war kein einfacher: 2006 trat Tom Neuwirth bei der Casting-Show “Starmania” an, 2007 war er Mitglied der Boyband “jetzt anders!” und unternahm erste Ausflüge in das Genre Reality-TV. 2010 und 2011 trat er als Conchita Wurst bei einem Underground-Talentwettbewerb in Wien an, bevor die Kunstfigur 2012 durch “Die große Chance” größere Bekanntheit erlangte. Damals sagte sie, dass sie sich wünsche, dass alle im “Wurst-Fieber” sein sollen. Dieser Wunsch erfüllte sich zwei Jahre später.

Mann, Frau, Kunstfigur

Ein offen schwuler Mann, der sich als “Glamour-Girl mit Vollbart” inszeniert, das sorgt – das gestehen auch die Biografen – für Verwirrung. Immer wieder wird im Buch betont, dass es sich bei Conchita Wurst um eine Kunstfigur handelt, “die sogar ein von ihrem Alter Ego Tom Neuwirth getrenntes Privatleben führt”. Der Kunstfigur wurde extra ein eigener Lebenslauf verpasst, die Vergangenheit von Tom Neuwirth soll ihr nicht “im Weg stehen”. Wegbegleiter meinen, dass das “Konzept” “wahnsinnig gut überlegt sei”. Entgegen des üblichen Umgangs mit Dragqueens möchte Conchita explizit als “sie” bezeichnet werden und möchte mehr sein als eine Dragqueen, “die nach getaner Arbeit die Perücke vom Kopf nimmt und sich das Make-up aus dem Gesicht wischt”. Sätze wie “Nicht mehr als Tom. Nicht mehr als Mann und doch als Mann und Frau zugleich – mit Wurst!” verdeutlichen perfekt, wie verwirrend die Kunstfigur ist – und vielleicht auch sein muss. Über längere Passagen widmet sich das Buch auch dem theoretischen Zugang zu Geschlechterbildern und fragt, warum es eigentlich wichtig sei, Conchita Wurst der Kategorie Mann oder Frau zuzuordnen, denn die Kunstfigur sei “eine Ikone des ‘sowohl als auch'”.

Wegbegleiter und Kritik

Wegbegleiter sollen in den Ausführungen des Buches aus dem Schatten Conchitas ins Rampenlicht hervorgeholt werden. Das gelingt jedoch nur bedingt. Zumindest für Manager René Berto gibt es viel Lob: Dieser habe schon 2003 beim Auftritt von Alf Poier gewusst, “wie mit dem richtigen Interpreten, dem passenden Song und einem darauf abgestimmten Showkonzept aus einer Song Contest-Teilnahme ein mediales Happening gemacht werden kann”. Berto habe schon immer davon geträumt, einen Weltstar zu managen und diesen Traum habe Conchita Wurst ihm erfüllt. Er bezeichnet seinen Schützling übrigens liebevoll als “Queen of Disziplin” [sic!]. Zu Wort kommen auch Conchita Assistentin Niki, sowie ihre Freunde Tamara Mascara und Mat Morgan. Nicht ganz schlüssig ist, warum auch eine Schamanin ihren Senf zur Wurst abgeben muss.

Diese Disziplin hat sich auch im Umgang mit ihren Kritikern und davon hat sie nicht wenige. Nach “Die große Chance” sei ihr ein “Schwall von Hass” entgegengekommen. Vor dem ESC 2014 waren es russische Journalisten, der armenische Kandidat Aram MP3 und Alf Poier, die sich abfällig über sie äußerten. Außerdem wurde – wie berichtet – eine Facebook-Gruppe mit dem Namen “Nein zu Conchita Wurst beim Song Contest” gegründet.

Österreich und der Song Contest

Auch die Geschichte Österreichs beim Song Contest wird im Buch genauer betrachtet: Der Auftritt von Bob Martin im Jahr 1957 wird als “nicht die einzige Havarie auf Österreichs Blindflug durch sechs Jahre Eurovision” bezeichnet, später ist die Rede von “gewohnter Mittelmäßigkeit”. Im ersten ESC-Jahr (1956) war Österreich übrigens nicht beim Bewerb vertreten, weil der ORF die Anmeldefrist verpasst hatte, enthüllt das Buch. Man merkt, dass sich Mario Lackner seit vielen Jahren mit dem ESC beschäftigt und insbesondere dieses Kapitel macht das Buch auch für all jene interessant, die sich “nur” für den Song Contest und nicht für Conchita Wurst interessieren.

Sehr detailliert werden in Bezug auf den ESC 2014 Songauswahl oder produktionstechnische Feinheiten erläutert. So fiel die Entscheidung für “Rise Like A Phoenix” beispielsweise erst, nachdem bereits zwei andere Songs in der Endauswahl standen. Diese wurden dann wieder verworfen und sehr kurzfristig musste ein Symphonieorchester gefunden werden, das innerhalb weniger Stunden die Einspielungen für den Song aufnehmen konnte. Die wirklich interessante Frage, warum es gerade Conchita Wurst war, für die sich der ORF ohne Vorentscheid entscheiden hat, wird leider nur flüchtig behandelt.

Es sei Conchita Wurst zu verdanken, dass der Song Contest 2015 für Weltoffenheit, Vielfalt, Toleranz und Respekt stehe, meinen Wolther und Lackner, die davon ausgehen, dass der ESC 2015 “der beeindruckendste Song Contest aller Zeiten” werde.

Conchita Wurst BiografieBuch-Tipp: “Conchita Wurst: Backstage”, Taschenbuch von Irving Wolther und Mario R. Lackner, Edition Innsalz, 185 Seiten, ISBN 978-3-902981-25-7, 19,80 Euro
(SVA)

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