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100 Jahre Wiener Kammerspiele: Wechselvolle Geschichte

©APA
Sie sind die Cash-Cow des Theaters in der Josefstadt und tragen pro Saison mit Kartenverkäufen im Wert von rund vier Mio. Euro wesentlich zum Budget des Theaters bei: Eine ganze Generation Theaterbesucher kennt die Wiener Kammerspiele als Komödienspielstätte, als Unterhaltungs-Tempel, in dem pro Saison rund 160.000 Besucher der leichten Muse huldigen.

Doch die Innenstadt-Bühne in der Rotenturmstraße hat eine durchaus wechselvolle Geschichte mit zahlreichen überraschenden Highlights. Im Folgenden ein kurzer historischer Rückblick aus Anlass des bevorstehenden 100-Jahr-Jubiläums. Als Quelle dienen Materialen des Theaters in der Josefstadt sowie Georg Markus’ Beitrag in dem demnächst im Amalthea Verlag erscheinenden Buch “Wenn’s euch nur gefällt”.

Theater seit 1910
Ecke Fleischmarkt und Rotenturmstraße wird 1909/10 durch den Architekten Arthur Baron ein modernes Geschäftshaus errichtet. In dessen Souterrain wird nach Entwürfen von Franz Freiherr von Krauss und Josef Tölk (u.a. auch die Erbauer der Volksoper und des nicht mehr existierenden Bürgertheaters) eine 506-Plätze-Bühne samt Balkon errichtet. Der Schauspieler Julius Strobl eröffnet das Theater am 14. Oktober 1910 unter dem Namen Residenzbühne. Erfolg und Misserfolg wechseln so rasch wie die Direktionen. 1916 nennt Direktor Alfred Bernau das Haus zum ersten Mal “Wiener Kammerspiele”.

Theaterskandal 1921
Bernau wird Direktor des Deutschen Volkstheaters und gliedert die Kammerspiele dem Volkstheater an. Die Österreichische Erstaufführung von Schnitzlers “Reigen” führt nach einer erfolgreichen Premiere durch antisemitische Hetzkampagnen in Zeitungen zu organisierten Störungen und am 16. Februar 1921 zu einem beispiellosen Theaterskandal, bei dem das Theater gestürmt wird. Stinkbomben werden geworfen, Zuschauer attackiert. Der anwesende Autor kann sich mit Mühe in Sicherheit bringen. Das Innenministerium verbietet jede weitere Aufführung. Erst im März 1922 kann der “Reigen” wieder gespielt werden.

Karl Farkas und Hans Moser
Revuen nach US-Vorbild erobern sich einen fixen Platz im Spielplan. “Man stellt Beine auf die Bühnen, um den Bühnen auf die Beine zu helfen”, ätzt Karl Farkas, der als Blitzdichter, Autor und Schauspieler in den Kammerspielen arbeitet. Der damals noch völlig unbekannte Hans Moser tritt in den Kammerspielen ebenso auf wie Hans Albers. 1925 werden die Kammerspiele ein Bestandteil des Theater-Imperiums, das Max Reinhardt in Wien, Berlin und Salzburg aufgebaut hat.

Marlene Dietrich und Peter Lorre
Ab 1926 ist Peter Lorre Ensemblemitglied und tritt in rund 30 Produktionen auf, 1927 ist (etwa in “Broadway”) auch die junge Marlene Dietrich wiederholt auf der Kammerspiele-Bühne zu sehen. Beide werden später gefeierte Filmstars. Auch die spätere zweifache Oscar-Gewinnerin Luise Rainer spielt an der Josefstadt und an den Kammerspielen.

Säuberungswelle
Als Folge der Weltwirtschaftskrise werden wie andere Bühnen auch die Kammerspiele immer wieder vorübergehend geschlossen. 1933 erhalten die Kammerspiele den werbewirksamen Beinamen “Bühne des Lachens”. Nach dem “Anschluss” an Hitler-Deutschland wird auch an der Josefstadt eine sofortige Säuberungswelle durchgeführt. Publikumsliebling Fritz Grünbaum wird in Dachau ermordet, der ehemalige Kammerspiele-Direktor Rudolf Beer begeht nach brutalen Verhören durch die SA Selbstmord. Die Kammerspiele werden 1939 durch einen von der “Reichstheaterkammer” eingesetzten Leiter wiedereröffnet und auf “tollen Schwank und derbe Hausmannskost” programmiert. Bombardements und Hungersnot beherrschen den Alltag in der Folge auch in Wien. 1944 lässt Goebbels schließlich die Theater sperren.

“Der Herr Karl”
Nach Kriegsende stehen die Kammerspiele vorerst unter “öffentlicher Verwaltung”. Die Kammerspiele werden nun auch offiziell als Zweitbühne des Theaters in der Josefstadt geführt. Franz Stoß und Ernst Haeusserman, die als Direktoren das Haus in den kommenden Jahrzehnten leiten, arbeiten eng mit dem ORF zusammen. Aufzeichnungen aus den Kammerspielen werden ein wichtiger Teil des Fernseh-Unterhaltungsprogramms. 1961 läuft dagegen “Der Herr Karl” von Carl Merz und Helmut Qualtinger zunächst im Fernsehen und entrüstet Teile der Öffentlichkeit.

Publikumslieblinge
Ansonsten wird vorwiegend handfeste Lustspielkost mit Publikumslieblingen geboten: Ernst Waldbrunn, Fritz Eckhardt, Fritz Muliar, Alfred Böhm, Elfriede Ott, Ossy Kolmann, Hans Holt, Vilma Degischer, Leopold Rudolf, Erik Frey oder Susanne Almassy spielen hier – auch mit Fieber oder unmittelbar nach persönlichen Schicksalsschlägen. Der wirtschaftliche Druck ist groß, der Vorhang muss um jeden Preis hoch.

Schenk, Lohner, Föttinger
1973 werden die Kammerspiele von Otto Niedermoser umgebaut, Zuschauerraum und Foyers erhalten das heutige Aussehen, der wie im Haupthaus hochziehbare Kristall-Luster wird ersetzt. 1988 übernimmt Otto Schenk die Josefstadt und sorgt persönlich auf der Bühne der Kammerspiele für Publikumshits. Nach der Direktion von Helmuth Lohner folgt schließlich Herbert Föttinger, der die Kammerspiele ab 2006 umzupositionieren versucht, als “moderne Stadtkomödie, mit zeitgenössischen Autoren, Uraufführungen, heutiger Bühnenbildästhetik, aktuellen Themen und modernem, beschleunigtem Witz”.

Generalrenovierung angestrebt
Zum Jubiläum wird nun eine Generalrenovierung anstrebt. “100 Jahre Kammerspiele muss für mich Auftrag sein, dieses Haus in das 21. Jahrhundert zu führen”, so Föttinger, “vor allem für die Mitarbeiter, die sich bessere Arbeitsbedingungen verdient haben. Es ist unglaublich, unter welchen Bedingungen hier gearbeitet wird.” Neben der Modernisierung von Garderoben und Backstagebereich, der Neugestaltung von Zuschauerraum und Foyer wünscht er sich vor allem “eine Vergrößerung des Bühnenraumes, damit man auch jene Stücke spielen kann, die ich mir vorstelle”.

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