AA

Wird Gewessler überschätzt?

©JOHN THYS / AFP
Gastkommentar von Johannes Huber. Die Klimaschutzministerin ist Zukunftshoffnung der Grünen. Jetzt steht sie jedoch in der Kritik, schlechtes Krisenmanagement zu leisten. Zumindest in einem Punkt ist das zutreffend.

Viele Insider sind so überzeugt, dass die Grünen nicht mit Werner Kogler an der Spitze in die nächste Nationalratswahl ziehen werden, sondern mit Leonore Gewessler, dass man glauben könnte, die Entscheidung sei schon gefallen. Zumal es ja wirklich so ist, dass Kogler ausgebrannt wirkt.

Bei Gewessler ist das anders, vor allem aber steht sie, wie sonst kaum jemand, für das grüne Kernanliegen: Klimaschutz. Vor ihrem Einstieg in die Politik war die „Umweltaktivistin“ (Wikipedia) Geschäftsführerin von „Global 2000“. Als Ministerin hat sie schließlich zu ökologischen Ansätzen bei einer Steuerreform beitragen können, vor allem aber den Bau des Lobautunnels vorerst verhindert.

Viel mehr können sich Grüne nicht wünschen. Sie vergessen jedoch auf dies und jenes: Nach der nächsten Nationalratswahl, bei der Gewessler eben Spitzenkandidatin sein könnte, werden sich die Grünen möglicherweise in Opposition wiederfinden. Dann wird die Noch-Ministerin eine größere inhaltliche Breite demonstrieren müssen. Vollkommen unbekannt ist etwa, wie sie zu Sozialpolitik, Bildung oder Justizpolitik steht. Oder zu Parlamentarismus. Natürlich wird sie behaupten, dass ihr das alles wichtig ist. Wie hält sie es aber konkret damit?

Mit Gewessler würden sich die Grünen wieder stärker als „Single-Issue-Partei“ auf Klimaschutz zurückbesinnen. Es ist wichtig, dass das jemand tut, zumal ohnehin viel zu wenig weitergeht. Beim Lobautunnel zeigt sich aber, dass Gewessler keinen Wert darauf legt, Gegner, Kritiker oder Bremser zu überzeugen. Sie macht grüne Politik – und fertig. Problem: Damit wird es schwierig mit nötigen Mehrheiten, die am Ende des Tages immer erforderlich sind, um sich durchzusetzen. Beim Lobautunnel kann sie die Stopptaste eher nur drücken, so lange sie in der Regierung sitzt. Danach dürfte der Tunnel gebaut werden, zumal Türkise, Rote, Blaue und laut einer Standard-Umfrage vom Februar auch 54 Prozent der Wienerinnen und Wiener dafür sind.

Im Amt verwechselt die Klimaschutzministerin Politik zu sehr mit Kampagnen. Dafür lässt sie so viel Geld ausgeben, das ihr die Stadtzeitung „Falter“ schon den unrühmlichen Titel „Dolm der Woche“ verliehen hat. Zurecht: Das Verbreiten von Botschaften sollten gerade Regierungsmitglieder eher unabhängigen Medien überlassen. Sie selbst sollten sich verstärkt auf den Inhalt konzentrieren. Das ist zu sehr aus dem Gleichgewicht gekommen.

Das leitet über zur ersten größeren Krise von Gewessler als Regierungsmitglied: Sie ist gefordert, zu klären, was passiert, wenn aus Russland kein Erdgas mehr nach Österreich kommt. Das ist etwas, was Unternehmen existenziell betrifft und eine breite Öffentlichkeit verunsichert. Die extreme Abhängigkeit von Russland ist nicht die Schuld von Gewessler. Diesbezüglich wird bei erstbester Gelegenheit die Verantwortung von Schwarz-Türkisen und Roten in der Vergangenheit zu prüfen sein. Es ist auch absurd, wenn ausgerechnet Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) die Ministerin anfällt. Er sollte sich stattdessen für den unterwürfig-devoten Umgang seiner Organisation mit Wladimir Putin in den letzten Jahren entschuldigen. Was Gewessler jedoch sträflich vernachlässigt, ist eine Orientierung: Welche Szenarien sind möglich? Welche Folgen sind für Firmen, aber auch Bürger denkbar? Gewessler müsste doch spüren, wie sehr das vielen unter den Nägeln brennt, wie übel all die Ungewissheiten sind. Es wäre ihr Job, für so viel Klarheit wie möglich zu sorgen – auch wenn es sehr wenig ist. In Wirklichkeit läuft hier eine große Bewährungsprobe für sie, bei der sie bisher denkbar schlecht abschneidet.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

  • VIENNA.AT
  • Johannes Huber
  • Wird Gewessler überschätzt?
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen