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William Kentridge inszeniert Schuberts Winterreise bei den Wiener Festwochen

William Kentridge beim Interview in Wien.
William Kentridge beim Interview in Wien. ©APA
Der 59-jährige William Kentridge aus Südafrika gilt als einer der Weltstars der zeitgenössischen Kunst. Am Montag hat ein außergewöhnliches Projekt bei den Wiener Festwochen Premiere: Zu den 24 Liedern von Franz Schuberts "Winterreise", gespielt von Intendant Markus Hinterhäuser, gesungen von Matthias Goerne, sind 24 Animationsfilme Kentridges zu sehen - ein "Trio für Sänger, Pianist und Filmprojektor".

Herr Kentridge, Sie haben sich mit Mozart beschäftigt und seine “Zauberflöte” inszeniert. Welche Beziehung hatten Sie bisher zu Schubert?

William Kentridge: Er war von einem frühen Zeitpunkt an Teil meines Lebens. Es war eine Art Second-Hand-Hören, denn ich habe in den frühen 1960ern als Kind mitgehört, als sich mein Vater die “Die schöne Müllerin” und die “Winterreise” angehört hat, mit Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore. Ich habe das Zusammenspiel der Texte und der Musik nicht gleich verstanden, aber der melancholische Grundton hat großen Eindruck auf mich gemacht. Und dann gibt es auch seit der High School eine starke Verbindung zu den Landschaften von Caspar David Friedrich. Und natürlich hat mein kontinuierliches Interesse am Thema der Aufklärung viele Verbindungen zwischen Europa und Südafrika ergeben.

Wie beziehen sich die Filme auf die Lieder – eher illustrativ oder assoziativ?

Die Geschichte des Films ist auch eine Geschichte der Verwendung von Musik. Die beiden haben von Anfang an zusammengearbeitet. Auch durch die Oper gibt es eine starke Tradition von gesungener Musik und Bildern. Man kann gleichzeitig zuhören und zusehen. Die Filme sind keine Illustration der Liedtexte. Wenn über ein Tor gesungen wird, muss man nicht notwendiger Weise ein Tor sehen. Es gibt zwar solche Überschneidungen, aber insgesamt sind es mehr Gedankengänge, die die Lieder begleiten, mit einem Gehrhythmus, der als eine Art Motor fungiert. Wie wir festgestellt haben, gibt es eine Art von “Winterreise” in meiner Arbeit, die nur auf dieses Projekt gewartet zu haben scheint.

Sie haben teilweise bereits bestehende Filme verwendet?

Ja. Für einen neuen Animationsfilm benötige ich sechs bis neun Monate. 24 Filme zu machen wäre also fast ein 20-Jahres-Projekt. Es ist daher eine Mischung. Sechs sind wirklich neu, 12 haben neue Teile hinzugefügt bekommen und sechs habe ich unverändert übernehmen können. Jeder Film ist drei bis fünf Minuten lang.

Werden Sie diese Filme auch in anderen Kontexten verwenden?

Das weiß ich noch nicht. Es ist noch zu früh zu sagen, wie sie außerhalb dieser Live-Aufführungen wirken würden. Es ist auch nicht geplant, dass andere Künstler als Markus und Matthias (Hinterhäuser und Goerne, Anm.) das machen werden.

Wie war die Zusammenarbeit mit den beiden?

Markus war von Anfang an dabei. Er hat mich gefragt, ob ich ein Projekt für die Festwochen machen würde. Wir haben dann über viele verschiedene Musikstücke gesprochen und uns in einer langen Sitzung meine Filme zu unterschiedlicher Musik angesehen. Am Ende davon war dann klar, dass wir “Winterreise” machen wollten. Markus hat dabei ein enormes Wissen über die Musik und die Lieder eingebracht. Er hat sie häufig gespielt und kennt sie sehr gut. Er war sehr hilfreich, zwischen den Texten, der Musik und den Filmen Beziehungen herzustellen. Matthias kam als Sänger sehr viel später dazu, und es war für mich eine Entdeckung, wie sehr sich die Lesart bestimmter Dinge und Filme mit ihm verändert hat. Das war nicht vorhersehbar. Manchmal kann er mit geschlossenen Augen singen und man glaubt, die Bilder entspringen förmlich seinem Hinterkopf, wie seine Gedanken. Manchmal ist er von einem Film umhüllt, manchmal wird er von ihm begleitet.

Wie unterscheidet sich Goernes Interpretation der “Winterreise” von jener Fischer-Dieskaus?

Es ist total anders. Fischer-Dieskau hört sich mit seiner überdeutlichen Aussprache an, als wollte er sicherstellen, dass man ja kein Wort der Gedichte verpasst. Ich mag die rauere, direktere Art, wie Matthias das singt. Er erlaubt sich viel mehr Emotion dabei. Fischer-Dieskau macht es perfekt – aber beinahe wie in der dritten Person, als nehme er sich selbst ganz raus. Matthias ist da viel mehr selbst involviert. Das funktioniert für das Projekt sehr gut.

Während der Wiener Festwochen geben Sie auch zwei “Drawing Lessons”. Was hat es mit denen auf sich?

Das sind zwei von sechs Vorlesungen, die ich vor zwei Jahren in Harvard gehalten habe. Sie befassen sich mit den Vorgängen in meinem Studio und helfen dem Publikum, mich und meine Arbeitsweise zu verstehen. Die erste Vorlesung befasst sich mit Plato, seinem Höhlengleichnis und der Bewegung vom Dunkel ins Licht, die er beschrieben hat. Die zweite setzt das fort und befasst sich mit der Aufklärung, etwa im Zusammenhang mit Mozarts “Zauberflöte” und bestimmten Teilen deutscher Kolonialgeschichte.

Am Hamburger Schauspielhaus hat Joachim Meyerhoff Ihren Part in diesen Lessons übernommen. Wie ist das für Sie?

Ja, er macht einmal im Monat alle sechs Vorlesungen in einem zweitägigen Marathon. Sie haben das in ihr Repertoire aufgenommen. Leider habe ich ihn noch nicht gesehen. Es muss recht anders wirken. Er ist viel größer und schlanker als ich. Und 20 Jahre jünger.

Mit was befasst sich Ihr nächstes Projekt?

Ich inszeniere Alban Bergs “Lulu” in Amsterdam und New York. Premiere ist im Juni kommenden Jahres.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

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