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Wien bringt Verfassungsklage gegen Rauchergesetz ein

Wien will die Rauchererlaubnis in der Gastronomie mit einer Verfassungsklage abschaffen.
Wien will die Rauchererlaubnis in der Gastronomie mit einer Verfassungsklage abschaffen. ©APA/HELMUT FOHRINGER
Bei einer Pressekonferenz kündigten Umweltstadträtin Ulli Sima und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (beide SPÖ) an, dass das Rauchergesetz vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) geprüft wird. Damit will Wien die von der Bundesregierung erteilte Raucherlaubnis in der Gastronomie kippen.
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ÖVP und FPÖ hatten im Nationalrat das eigentlich ab dem 1. Mai geltende Rauchverbot rückgängig gemacht. Seither darf unter bestimmten Voraussetzungen in Lokalen weiter gequalmt werden.

Verfassungsklage: Ungleichbehandlung als zentrales Argument

Argumentiert wird das Vorgehen in Sachen Rauchergesetz vor allem mit der – jedenfalls nach Ansicht Wiens – bestehenden Ungleichbehandlung. Denn es würden Arbeitnehmer an allen anderen Arbeitsstätten vor Passivrauch geschützt, in der Gastronomie jedoch nicht. Weiters wird bekrittelt, dass Kinder und Jugendliche, die noch nicht rauchen dürfen, trotzdem Zugang zu den Lokalen hätten.

Laut Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk wird der VfGH im Rahmen eines “abstrakten Normenkontrollverfahrens” mit der Materie beschäftigt. Das bedeutet, dass nicht anhand eines Einzelfalls geprüft wird. Funk bezweifelt, dass die gesetzliche Maßnahme – also die Aufhebung des Rauchverbots – ohne Auswirkungen bleibt: “Es ist davon auszugehen, dass es zu Konsequenzen kommt, also dass es schwerwiegende Gesundheitsbelastungen gibt.”

Von einer “Angemessenheit” der Regelung könne keine Rede sein, zeigte er sich überzeugt. Es bestehe vielmehr eine Gefahr für alle Gäste, da auch die Nichtraucherbereiche betroffen seien. Die Verschlechterung sei nicht sachlich begründet und damit verfassungswidrig. Maßgeblicher Ansatzpunkt der Klage ist jedoch das Thema Ungleichbehandlung. Die für die Gastronomie definierte Ausnahme vom Rauchverbot am Arbeitsplatz sei unzulässig, ist man im Wiener Rathaus überzeugt. Es sei nicht ersichtlich, warum es dem Personal dort zuzumuten sei, von Passivrauch in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Die Mitarbeiter hätten nämlich keine Wahlfreiheit. Sie würden – anders als die Gäste – ihren gesamte Arbeitstag dort verbringen. Auch dass die Ausnahmeregelung nicht für andere Bereiche wie Tanzschulen oder Kinos mit Ausschank gelte und damit eine ungleiche Behandlung vorliege, wird ins Treffen geführt.

Dort wo eine Ungleichbehandlung nötig sei, werde hingegen darauf verzichtet, erklärte der Jurist. Er ortete eine entsprechende “Unlogik” im Zusammenhang mit dem Schutz von Kindern – die viel empfindlicher seien. Sie hätten jedoch wie Erwachsene unbegrenzten Zugang zum Raucherbereich, was laut dem Wiener Vorbringen problematisch ist.

“In Österreichs Lokalen herrscht wieder dicke Luft”, ärgerte sich die für die Lokalkontrollen zuständige Ressortchefin Ulli Sima (SPÖ). Die “Retropolitik” der Bundesregierung lasse Österreich zum Aschenbecher Europas werden. Sima verwies auch auf jüngste Kontrollen in Nichtraucherbereichen von gemischten Lokalitäten. Dort sei die Belastung deutlich höher als erlaubt. In 62 Prozent der Überprüfungen seien Verstöße registriert worden.

Laut Sima wird die Klagseinbringung am 12. Juni in einer Sitzung der Wiener Landesregierung erfolgen. Formal erfolgt die Anrufung des Höchstgerichts nämlich vom Land und nicht von der Stadt Wien. Einig war man sich heute, dass eine Aufhebung vollen Nichtraucherschutz und nicht nur eine teilweise Änderung der Regelung bringen würde.

“Die Freiheit des Einzelnen hat Grenzen”, betonte auch Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) – der sich selbst als “bekennender Raucher” bezeichnete. Sein Vorgehen stünde in keinem Widerspruch zu seiner eigenen Sucht. Und er verwies ebenfalls auf internationale Beispiele: “In fast allen Ländern Europas ist es selbstverständlich, dass man in Lokalen nicht mehr rauchen darf.”

Rauchverbot: Diskussion seit 25 Jahren um qualmfreie Gastronomie

Das ab Mai 2018 vorgesehene Rauchverbot in der Gastronomie wurde von der ÖVP-FPÖ-Regierung abgesagt. Die Ärztekammer hat dagegen ein Volksbegehren eingeleitet. Und die Stadt Wien geht nun vor den Verfassungsgerichtshof, um ein Rauchverbot einzuklagen. Seit einem Viertel Jahrhundert wird in Österreich über dieses Thema diskutiert:

6. September 1992: Gesundheitsminister Michael Ausserwinkler (SPÖ) präsentiert in der ORF-“Pressestunde” mehrere Vorhaben gegen das Rauchen. In der Gastronomie sollen demnach Nichtraucherzonen geschaffen werden.

12. August 2004: Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) und der Obmann der Gastronomiesparte in der Wirtschaftskammer, Helmut Hinterleitner, geben die Einführung einer freiwillige Selbstverpflichtung bekannt: 30 Prozent der heimischen Speiselokale sollen bis Ende 2004 “rauchfreie Zonen” einrichten, bis Ende 2006 soll der Anteil auf 90 Prozent gesteigert werden.

18. April 2007: Das Gesundheitsministerium unter Andrea Kdolsky (ÖVP) kündigt nach Evaluierung der freiwilligen Selbstverpflichtung für die räumliche Trennung zwischen Rauchern und Nichtrauchern eine gesetzliche Regelung an.

31. Oktober 2007: Das Vorhaben, mit 1. Jänner 2008 das Tabakgesetz zu verschärfen, scheitert. Es gibt keine Einigung zwischen ÖVP und SPÖ, Kdolsky verzichtet vorläufig auf ein Gesetz. Eine sechsmonatige Nachdenkpause wird vereinbart.

30. April 2008: Die Koalition unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) präsentiert im Ministerrat ihre Bestimmungen zum Nichtraucherschutz. Demnach soll ab 2009 ein grundsätzliches Rauchverbot in der Gastronomie gelten, unter bestimmten Voraussetzungen ist das Rauchen in abgeschlossenen Zimmern aber gestattet.

1. Jänner 2009: Mit dem Tabakgesetz tritt ein “grundsätzliches” Rauchverbot in Lokalen in Kraft. Ausnahmen gibt es allerdings für abgetrennte Raucherzimmer, kleine Gaststätten und Betriebe, die wegen der neuen Regelung einen Umbau durchführen.

30. Juni 2010: Die Übergangsfrist für Umbauarbeiten und Sondergenehmigungen ist zu Ende. Somit dürfen Gastronomen Tabakkonsum nur mehr dann erlauben, wenn sie über abgetrennte Raucherzimmer verfügen oder die gesamte Verabreichungsfläche nicht größer als 50 Quadratmeter ist.

10. April 2015: Die Regierung einigt sich auf ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie ab Mai 2018. Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) präsentieren den entsprechenden Gesetzesentwurf. Betriebe, die freiwillig bereits bis zum Juli 2016 auf rauchfrei umstellen, können als besonderen Anreiz eine “Prämie” in Höhe des Restbuchwerts erhalten.

10. Oktober 2017: Vor der Nationalratswahl werden innerhalb der FPÖ Stimmen gegen das absolute Rauchverbot laut. Man würde sich bei Koalitionsverhandlungen dafür einsetzen, dass das derzeit geltende Gesetz nicht verändert wird.

11. Dezember 2017: ÖVP und FPÖ einigen sich bei den Regierungsverhandlungen auf eine Raucherregelung nach “Berliner Modell”. Das ab Mai 2018 ursprünglich geplante absolute Rauchverbot in der Gastronomie kommt demnach nicht. Gäste können weiter in abgetrennten Räumlichkeiten Zigaretten konsumieren. Zugleich wird der Nichtraucherschutz für Jugendliche verstärkt.

2. Februar 2018: Die Ärztekammer meldet ihr Volksbegehren an, um das Rauchverbot in der Gastronomie doch durchzusetzen. Bis zur im April zu Ende gehenden sechswöchigen Unterstützungsphase werden bereits 591.146 Stimmen gesammelt. Als Eintragungswoche für das Begehren selbst wird schließlich der 1. bis 8. Oktober festgelegt.

4. Juni 2018: Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) kündigt in einer Pressekonferenz den Gang vor den Verfassungsgerichtshof an. Die jetzige Regelung würde nicht funktionieren, das würden Messungen und Kontrollen belegen.

(APA/Red)

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