Vor Wien-Besuch von Erdogan: Fakten, Stil seiner Rede und Forderungen

Erdogan besucht am Fronleichnamstag Wien und hält in der Albert-Schultz-Eishalle in Donaustadt eine Rede. Der offiziell als privater Besuch beim Verein UETD bezeichnete Auftritt wird allgemein als Kampf um Stimmen der Auslandstürken bei der türkischen Präsidentschaftswahl im August gewertet. In der Halle werden 7.000, davor 10.000 Anhänger erwartet.
Wien-Besuch: Kritik und Demos
Mehrere österreichische Regierungspolitiker haben im Vorfeld den Besuch kritisch bewertet. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat Erdogan zu einer vorsichtigen Wortwahl aufgerufen, um die türkische Community in Österreich nicht zu spalten. Kurz behält sich auch ein Gespräch mit Erdogan vor. Gegen den Auftritt sind zwei Demonstrationen angemeldet. Bei einer werden 10.000, bei der anderen 1.000 Teilnehmer erwartet. Die Polizei hat umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet.
Rhetorik-Kniff: Älterer Bruder an kleine Geschwister
Stilistisch ist die zu erwartende Rede übrigens interessant: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan spricht sein Publikum gerne mit “Kardes” an, also “Geschwister”. Aber das Wort trägt viel mehr, als die deutsche Sprache wiedergeben kann. Denn “Kardes” ist im türkischen nur der jüngere Bruder oder Schwester, womit sich Erdogan zum älteren Bruder seiner Zuhörer macht. Und dieser hat in der türkischen Familie eine sehr starke Rolle.
Soziale Bindung mit einem Wort
Der ältere Bruder ist in der Türkei für seine jüngeren Geschwister eine Respektsperson, deren Anweisungen sie folgen müssen. Er vertritt gleichsam den Vater, ist aber viel näher dran. Im Gegenzug hat er auf seine kleinen Brüder und Schwester aufzupassen, sie vor Angriffen von außen zu schützen und für ihr Wohl zu sorgen. Alle diese Funktionen will Erdogan seinen Wählern sicher gerne vermitteln. Und gerade gegenüber der Diaspora in Europa hebt er auch gerne die tiefe Familienbindung zum “Mutterland” hervor, wie das Vaterland im türkischen heißt. Ein Wort, ein ganzes Programm.
Thema bei Erdogan-Reden: Assimilation und Integration
Bei einer Rede am 24. Mai in Köln ging der türkische Premier Tayyip Erdogan auf Integration und Assimilation der Türken in Europa ein – und hat die Wogen hochgehen lassen, weil er sich für Integration aber gegen Assimilation ausgesprochen hat.
Er sagte: “Wir vertreten die Position, dass wir die Integration fördern, ohne assimiliert zu werden, ohne bei der eigenen Essenz, der Kultur, der Sprache Zugeständnisse zu machen. Das haben leider manche Medien in Deutschland auf unterschiedliche Art interpretiert. Meine Brüder und Schwestern, schaut, ich bin überzeugt, ihr habt bei der Integration niemals Probleme gemacht. Ihr werdet das auch in Zukunft nicht tun. Aber wenn wir von Assimilation reden, zur Assimilation sagen wir nein. Das habe ich früher gesagt und das wiederhole ich wieder. Wir machen bei unserer Religion, unserer Sprache, unserer Kultur keine Zugeständnisse”.
Aleviten fordern Rechte in der Türkei ein
Die Aleviten in Österreich forderten im Vorfeld von Erdogans Wien-Besuch in einem offenen Brief an den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan eine Gleichbehandlung ihrer Religionsgemeinschaft in der Türkei. Erdogan sei willkommen, “wenn Sie kommen, um für die Rechte der Türken in Österreich einzustehen und gleichzeitig die Benachteiligung der Aleviten in der Türkei in allen Bereichen des öffentlichen Lebens beseitigen wollen”.
Offener Brief an Erdogan: Inhalt
Weitere Forderungen der Aleviten: Erdogan sei willkommen, wenn er für die Muslime in Österreich freien Zugang zu Moscheebauten fordere und sich zugleich für die Anerkennung von Gebetshäusern für Aleviten (Cem-Häuser) in der Türkei ausspreche. “Wenn Sie wollen, dass Moscheen in Österreich ohne Angst besucht werden können und Sie für die Zukunft garantieren, dass Aleviten in ihren Cem-Häusern in der Türkei nicht mehr von der Polizei erschossen werden, so seien Sie willkommen”.
Die Massen in Istanbul sollten das Recht haben, Erdogan zu kritisieren, “Wenn Sie bereit sind, all das was Sie für Ihre türkischen Bürger in Österreich fordern, auch Ihren türkischen Bürgern in der Türkei zu gewähren, so seien Sie willkommen”. Sonst “ist es besser für die in Österreich lebenden Türken, wenn Sie diesmal auf die Österreichreise verzichten” schreiben die Aleviten.
(apa/red)