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Von Sex, Schach und Südpol: Neuer Glavinic-Roman "Der Jonas-Komplex"

Thomas Glavinic legt einen umfangreichen neuen Roman vor
Thomas Glavinic legt einen umfangreichen neuen Roman vor ©S. Fischer Verlag / APA
Thomas Glavinic' neuer Roman erzählt auf 748 Seiten von einem jungen Schachgenie, einem hedonistischen Schriftsteller und einem Millionär mit skurrilem Zeitvertreib. "Der Jonas-Komplex" ist unser Buch-Tipp der Woche.


Ein Wiener Autor im Taumel zwischen Alkohol, Koks und Sex; ein 13-Jähriger, der im Schachklub seines steirischen Heimatorts eine deutlich steilere Karriere einschlägt als in seiner Schule; ein Millionär namens Jonas, der sich von seinem japanischen Anwalt zum Zeitvertreib an den unmöglichsten Orten aussetzen lässt und am Ende an den Südpol gelangt – das ist “Der Jonas-Komplex” von Thomas Glavinic.

13-jähriges Schach-Genie als zentrale Romanfigur

“Ich bin so. Überall sehe ich die Gefahr, nicht die Chance. Ich habe gelesen, das nennt man den Jonas-Komplex”, meint der junge Ich-Erzähler des in der Weststeiermark des Jahres 1985 spielenden Erzählstranges. Der Bub, der unter Obhut einer von ihm “Uriella” genannten Frau mit großem Alkohol- wie Männerverbrauch aufwächst, ist mitten in der Pubertät, bewegt sich aber am Schachbrett deutlich selbstbewusster als im Umgang mit Mädchen.

Der Titel “Jonas-Komplex” kann aber auch als Glavinics Referenz an seine drei Romane gelesen werden, in denen man bereits mit Jonas zu tun bekam. In “Die Arbeit der Nacht” (2006) war Jonas offenbar der letzte Überlebende einer unerklärlichen Katastrophe, der letzte Mensch auf Erden. In “Das Leben der Wünsche” (2009) war er ein 35-jähriger Werbetexter, dem ein wildfremder Mann ein Angebot macht, das sich wohl jeder wünschen würde: “Ich erfülle Ihnen drei Wünsche.” In der Abenteuergeschichte “Das größere Wunder” (2013) wurde Jonas mit großen und kleinen Wundern konfrontiert und gelangte schließlich auf das Dach der Welt.

Thomas Glavinic und Jonas gehen in Runde 4

Schon damals hatte Glavinic im APA-Interview eine mögliche Fortsetzung angedeutet: “Ich stelle zu meiner Beunruhigung fest, dass mich diese Geschichte noch nicht losgelassen hat.” Der zweite Erzählstrang mit Jonas als Hauptfigur schließt in vieler Hinsicht an “Das größere Wunder” an und komplettiert den nun vierteiligen “Jonas-Komplex”.

Aber auch der drogen- und sexsüchtige arrivierte Schriftsteller, der über ein via SMS und Facebook gepflegtes enges Netzwerk zu Kollegen und Freunden verfügt, zu Lesungen und Writer-in-Residence-Programmen eingeladen wird und trotz Flugangst ständig um die Welt jettet, kommt Glavinic-Lesern vom ersten Augenblick an sehr bekannt vor. Immer schon hat der in Wien lebende Steirer, der am 29. April mit “Mugshots” im Volx/Margareten sein Debüt als Dramatiker geben wird, augenzwinkernd mit Versatzstücken seiner eigenen Biografie und seines eigenen Soziotops gespielt.

Reale Persönlichkeiten in “Der Jonas-Komplex”

Das ist auch bei diesem Rückblick auf das Jahr 2015 nicht anders, in dem sich historische Ereignisse wie Flüchtlingskrise und die Attentate auf “Charlie Hebdo” und Bataclan ebenso wiederfinden wie der von Glavinic medial verwertete Besuch bei der wegen zweier Morde zu lebenslanger Haft verurteilten und vom Boulevard zur “Eislady” ausgerufenen Estibaliz C. oder private Anspielungen auf real existierende Personen der Literatur- und Medienszene.

Das dicke Buch ist in kurze Kapitel gegliedert, die mit ihrem Schauplatz bezeichnet werden, mal aber auch nur mit einem Fragezeichen (wenn der neuerlich ausgesetzte Jonas sich erst orientieren muss, in welcher Weltgegend er diesmal gelandet ist). Mitunter bieten die Kapitel statt Handlung auch nur Kürzel für die Alkohol-, Koks- oder Abstinenztage des zwischen Sucht und Sehnsucht durch sein Leben taumelnden Schriftstellers.

Ist das wirklich so spannend?

“Der Jonas-Komplex” ist immer wieder amüsant und unterhaltend, was Sex, Schach und Südpol miteinander zu tun haben beantwortet der Roman aber ebenso wenig wie die Frage, warum Glavinic bereits in seinen früheren Büchern hinlänglich auserzählte Motive und Figuren für so spannend hält, dass er sie noch einmal weitergeführt hat.

Das junge Schachgenie freilich hätte man gerne näher kennengelernt. “Carl Haffners Liebe zum Unentschieden” hieß 1998 der im Schachmilieu spielende Debütroman von Thomas Glavinic, der selbst einer der stärksten Jugendspieler des Landes war. Aber vielleicht wird ja hier ein Motivstrang wieder aufgenommen, der ihn und uns weiter beschäftigen wird. Nach dem “Jonas-Komplex” der Thomas-Komplex gewissermaßen.

Thomas Glavinic: “Der Jonas-Komplex”, S. Fischer Verlag, 25,70 Euro, 748 S.
Literatursalon im Gemeindebau: 29.3., 20 Uhr, Rabenhof, Wien 3, Rabengasse 3

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(apa/red)

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