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"Vater unser": Zu Besuch auf der Psychiatrie am Steinhof

Angela Lehner erhielt für "Vater unser" den Debütpreis beim "Österreichischen Buchpreis 2019"
Angela Lehner erhielt für "Vater unser" den Debütpreis beim "Österreichischen Buchpreis 2019" ©Hanser Verlag / APA/HANS PUNZ
Das Debüt der jungen Kärntner Autorin Angela Lehner spielt sich fast vollständig am "Steinhof" ab - den die Wiener als Aufenthaltsort psychisch Kranker kennen. VIENNA.at hat den preisgekrönten Roman gelesen.

Am Anfang von "Vater unser" steht die Einlieferung einer jungen Frau auf die psychiatrische Abteilung des Otto Wagner Spitals auf der Baumgartner Höhe in Wien. Wie es dazu gekommen ist und was dem vorangegangen ist, dass die Ich-Erzählerin dorthin gebracht wurde, wo bereits ihr Bruder Bernhard behandelt wird, bleibt ein Rätsel, das erst nach und nach - und nur teilweise - enthüllt wird. Dass Protagonistin Eva Gruber sich als eine nicht eben zuverlässige Erzählerin erweist, erschwert die "Wahrheitsfindung" jedoch erheblich.

Eine Protagonistin mit psychischen Problemen - und losem Mundwerk

Rasch wird klar, dass die clevere Eva Gruber es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und in ihrer eigenen Realität zu leben scheint. Hat sie tatsächlich eine ganze Kindergartengruppe erschossen - oder erzählt sie dies nur aus strategischen Gründen herum? Ist ihr Vater bereits tot, weil er Suizid begangen hat - oder wird ihn Gruber, die mit ihrem magersüchtigen Bruder vom Steinhof flüchten will, demnächst eigenhändig umbringen? Ist dem Psychiater Doktor Korb, der Eva in vielen Sitzungen zu ergründen versucht, etwas zugestoßen - oder ist er gar der neue Mann an der Seite von Grubers auch nicht eben einfacher Mutter?

"Vater unser" entwickelt beim Lesen einen ganz eigenen Sog, der dafür sorgt, dass man das Buch so schnell nicht aus der Hand legt. Man möchte wissen, welche Frechheiten sich die psychisch instabile, aber sehr schlagfertige und gerissene junge Frau als nächstes einfallen lässt und wen sie mit ihren Lügen derart manipulieren wird, dass sie wieder einmal ihren Willen bekommt.

"Vater unser": Familie wider Willen

Worum es eigentlich zu gehen scheint, ist eine schwierige Familiengeschichte, die von gegenseitigem Unverständnis der einzelnen Familienmitglieder geprägt ist. Andeutungen von Missbrauch bis hin zur Vergewaltigung bleiben vage, unsicher ist, was sich im Haus der Familie in Kärnten wirklich abgespielt hat. Auch Seitenhiebe bzw. Randbemerkungen gegen die christliche Religion und die österreichische Politik (etwa ein Rosenkranz vor einem Porträt von Jörg Haider) bleiben nicht aus, worauf ja bereits der Romantitel verweist.

Der Vater soll letztlich die Mutter, Eva und Bernhard verlassen und eine neue Familie gegründet haben. Besonders Eva will ihn nicht so einfach davonkommen lassen, weshalb sie seinen Mord plant. Oder hat es bereits ein Begräbnis des Vaters gegeben? Der Lesende rätselt 284 Seiten lang, was von Evas Erinnerungen und Ausführungen zu halten ist - und hofft - Achtung, Spoiler! - vergeblich, dass sich bis zum Ende alles aufklären möge.

Preisgekröntes Debüt - das nicht ganz überzeugt

"Vater unser" ist definitiv keine leichte Kost. Kritik und Jurys scheinen dem Roman einiges abgewinnen zu können - Jungautorin Angela Lehner, die in Berlin lebt, ist dafür unter anderem mit dem Debütpreis des Österreichischen Buchpreises 2019 sowie jüngst mit dem Rauriser Literaturpreis 2020 ausgezeichnet worden.

Als Fazit nach der eigenen Lektüre bleibt große Begeisterung jedoch eher aus. "Vater unser" ist sperrig, seltsam, merkwürdig. Man wird einen Roman lang getäuscht, hinters Licht geführt, belogen - und bleibt beklommen, verwirrt und irgendwie unbefriedigt zurück. Aber womöglich war dieser Effekt ja beabsichtigt.

Angela Lehner: "Vater unser". Gebundene Ausgabe, 284 Seiten. Hanser Verlag. EURO 22,70. ISBN 978-3-446-26259-1



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