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Urteil: Corona-Verordnungen waren teilweise gesetzeswidrig

Die Ausgangsbeschränkungen wurden teilweise als gesetzeswidrig bezeichnet.
Die Ausgangsbeschränkungen wurden teilweise als gesetzeswidrig bezeichnet. ©APA/HANS KLAUS TECHT
Viele Maßnahmen, die die Regierung während der Corona-Pandemie beschlossen hat, waren laut Verfassungsgerichtshof gesetzeswidrig. Dazu zählt auch die Verordnung zu Ausgangsbeschränkungen.

Der Verfassungsgerichtshof hat über die Corona-Ausgangsbeschränkung und die Geschäftsschließungen entschieden: Das Covid-19-Gesetz ist in diesen Punkten verfassungskonform, auch der Entfall der Entschädigungen für geschlossene Geschäfte und Betriebsstätten. Aber die Verordnung zum Ausgangsverbot war ebenso (teils) gesetzeswidrig wie jene mit der teilweisen Geschäftsöffnung ab 14. April.

Diese Verordnungen von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sind zwar seit Ende April nicht mehr in Kraft. Aber der VfGH hat ausdrücklich auch festgehalten, dass die Bestimmungen zu den Ausgangsbeschränkungen "nicht mehr anzuwenden sind" - etwa in laufenden Verwaltungsstrafverfahren.

"Vier Gründe" nicht gesetzeskonform

Konkret geprüft und als gesetzeswidrig befunden wurden jene - zulässigerweise angefochtenen - Teile der Verordnung Anschobers, die das Betreten des öffentlichen Raumes und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nur für die vier Gründe Berufsarbeit, Hilfe, dringende Besorgung, Spaziergänge (allein oder mit Haushaltsangehörigen) zulassen. Auch die Verpflichtung, Gründe für das ausnahmsweise Betreten des öffentlichen Raumes bei einer Kontrolle durch die Polizei glaubhaft zu machen, ging laut VfGH über die vom Gesetz vorgegebenen Grenzen hinaus.

Zulässig gewesen wären zur Eindämmung des Coronavirus nur Betretungsverbote für genau umschriebene Orte oder regional begrenzte Gebiete (wie Gemeinden). Unter besonderen Umständen könnte ein Ausgangsverbot zwar, wenn es verhältnismäßig ist, gerechtfertigt sein. Aber für eine derart weitreichende Einschränkung der Freizügigkeit wäre eine konkrete und näher bestimmte Grundlage im Gesetz nötig, stellten die Verfassungsrichter fest.

Zehntausende Anzeigen geschrieben

Wie viele Strafen auf Basis der nunmehr aufgehobenen Verordnungs-Teile verhängt wurden, ist nicht bekannt. In einer Anfragebeantwortung vom Juli berichtete Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) von 35.000 Anzeigen zwischen 16. März und 17. Juni. Viele Betroffene haben Einspruch eingelegt - und noch laufenden Verfahren dürfen die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr angewandt werden.

Dass mit dem im März beschlossenen Covid-19-Maßnahmengesetz das Epidemiegesetz "ausgehebelt" wurde und damit der Entschädigungsanspruch für behördlich geschlossene Betriebe entfallen ist, erachtet der Gerichtshof als verfassungskonform. Es verstoße nicht gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums oder den Gleichheitsgrundsatz, wie mehrere Unternehmen in ihren Anträgen vorgebracht hatten.

Kleine Geschäfte durften früher öffnen

Die Verordnung, mit der nach Ostern - Mitte April - die Öffnung bestimmte Geschäfte wieder zugelassen wurde, hat der VfGH allerdings rückwirkend aufgehoben. Es sei eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, dass Läden mit weniger als 400 m2 Verkaufsfläche und Bau- und Gartenmärkte generell wieder aufmachen durften, das Betretungsverbot für alle anderen größeren Geschäfte aber bis 30. April weiter galt, gab der VfGH den Unternehmen recht, die sich deshalb an ihn gewandt hatten.

Mit diesen in einer zusätzlichen Session in der Vorwoche getroffenen und am Mittwoch veröffentlichten Entscheidungen sind 19 der dem VfGH vorliegenden rund 70 Fälle - die bis zum Beginn der Juni-Session eingelangt waren - erledigt.

Keine Entschädigung für Corona-Schließungen

Den zur Corona-Bekämpfung ab Mitte März geschlossenen Geschäften, Hotels und anderen Betriebsstätten steht keine volle Entschädigung zu. Es ist verfassungskonform, dass dieser im Epidemiegesetz enthaltene Anspruch entfallen ist, weil es ein großes Maßnahmen- und Rettungspaket gab, stellte der Verfassungsgerichtshof fest. Gesetzwidrig war aber die nur teilweise Geschäftsöffnung nach Ostern.

Wien. Dass im Corona-Maßnahmengesetz kein Anspruch auf Entschädigung vorgesehen ist, verstoße weder gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums noch gegen den Gleichheitsgrundsatz, konstatierten die Verfassungsrichter. Ein Betretungsverbot sei zwar ein "erheblicher Eingriff" in das Eigentumsgrundrecht. Aber dieser sei nicht unverhältnismäßig, weil er in ein umfangreiches Hilfspaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie eingebettet sei.

Kogler verteidigte Coronagesetze

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat die Coronagesetze trotz Beanstandungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) verteidigt. Die Juristen der Regierung hätten "alles nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt, es musste alles in kurzer Zeit geschehen", sagte er am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz. Das Covid19-Maßnahmengesetz sei außerdem in seinen inhaltlichen Bestimmungen bestätigt worden.

Ein Lockdown eine Woche später hätte eine Vervierfachung der Zahlen gebracht, argumentierte der Vizekanzler erneut. Die Frage nach den Bestimmungen, etwa die Verhängung von Strafen durch die Exekutive, werde derzeit untersucht. Die Teilung in Kategorien, etwa bei Geschäften, sei aber weiterhin eine Möglichkeit. "Es ist das Ziel, die bürgerfreundlichsten Lösungen zu finden", so Kogler.

Heftige Oppositionskritik an der Regierung

Mit heftiger Kritik an der Regierung hat die Opposition auf die VfGH-Entscheidungen reagiert, der wesentliche Teile der Corona-Verordnungen als gesetzwidrig erkannt hat. Für die SPÖ hat der VfGH "den schlampigen Umgang der Regierung mit dem Rechtsstaat" bestätigt, die FPÖ sieht ein deutliches Zeichen, dass die zuständigen Minister überfordert sind. SPÖ, FPÖ und NEOS fordern eine Generalamnestie.

Für den stellvertretenden SPÖ-Klubchef und Verfassungssprecher Jörg Leichtfried ist die VfGH-Entscheidung "auch das Ergebnis der Inszenierungen und der türkis-grünen Marketing-Maschinerie, die wichtiger war als seriöse Gesetzgebung". Für Leichtfried ist spätestens jetzt auch klar, dass viele Bürger "zu Unrecht bestraft wurden". Für zu Unrecht verhängte Strafen und für alle gleich gelagerten Fälle verlangt Leichtfried eine Amnestie. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef fordert die Regierung auch auf, für die erst am Dienstag präsentierten Maßnahmen wie die Ausweitung der Maskenpflicht "endlich gesetzes- und verfassungskonforme Verordnungen zu erlassen".

Generalamnestie gefordert

Für FPÖ-Obmann Norbert Hofer ist das "virologische Quartett" aus Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und den Ministern Rudolf Anschober (Grüne) und Karl Nehammer (ÖVP) für den "Verordnungspfusch" verantwortlich. Die VfGH-Entscheidungen zeigen für ihn, dass die zuständigen Minister mit der Lage überfordert seien. Die VfGH-Urteile könnten die Republik nun teuer zu stehen kommen, warnte Hofer. Die Inhaber von Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 m2 könnten die Republik auf Schadenersatz klagen und auch abgestrafte Bürger könnten vielleicht ihr zu Unrecht bezahltes Bußgeld zurückholen. Auch Hofer bekräftigte die Forderung nach einer Generalamnestie.

Dieser Forderung schloss sich auch der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak an. "Die Leidtragenden dieser türkis-grünen Schlamperei sind jene Menschen, die hohe Strafen zahlen mussten, ohne jemals etwas falsch gemacht zu haben. Das Mindeste, das die Regierung tun könnte, ist sich bei den Betroffenen entschuldigen und ihnen ihre Strafe erlassen", meinte Scherak. Er hielt der Regierung vor, "über Monate bewusst gesetzeswidrig gehandelt" zu haben. Besonders schlimm sei, dass man die Regierung "hunderte Male" darauf hingewiesen habe.

Nicht beeinspruchte Strafen als offene Frage

Nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), wonach die Verordnung zu den Corona-Ausgangsbeschränkungen im wesentlichen gesetzeswidrig war, stellt sich die Frage, was mit nicht beeinspruchten Strafen passiert. Peter Bußjäger, Uni-Professor am Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre in Innsbruck, erklärte auf APA-Anfrage, dass diese nicht automatisch hinfällig seien.

Es geht um jene Personen, die bestraft wurden und kein Rechtsmittel erhoben haben. Laut Bußjäger ist laut Verwaltungsstrafgesetz eine Rückzahlung möglich, wo offenkundig rechtswidrig bestraft wurde. Dies sei aber eine Kann-Bestimmung. Die zuständigen Behörden müssten aber jedenfalls gleichbehandelnd vorgehen, könnten also nicht in einem Fall zurückzahlen, in einem anderen nicht. Für Einheitlichkeit zwischen den Behörden könnte Minister Rudolf Anschober (Grüne) mit einer Weisung sorgen.

"Noch offene Fragen"

Zu noch offenen VfGH-Entscheidungen zählt für Bußjäger die vom Wiener Landesverwaltungsgericht aufgeworfene Frage, ob die Verletzung der Abstandsregel unter Strafe zu stellen sei. "Die Sache ist relativ kompliziert, da sind noch offene Fragen", sagte er.

Für einen allfälligen weiteren Lockdown wäre für ihn eine Novellierung nicht unbedingt notwendig, wenn man ihn nur anders verordnen würde. Dennoch rechnet er mit einer Gesetzesänderung im Herbst. Dass die Regierung in ihrer Vorgangsweise schwere Mängel gehabt habe, sieht Bußjäger nicht. Man könne dem VfGH folgen, doch auch viele Argumente von Regierungsseite seien nachvollziehbar gewesen.

Nehammer verteidigt Vorgehen der Polizei

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der die Corona-Ausgangsbeschränkungen größten Teils für gesetzeswidrig erklärte, hat Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) das Vorgehen der Polizei verteidigt. Polizisten seien "gemäß der Verordnung nach bestem Wissen und Gewissen" vorgegangen, sagte er am Rande einer Migrationskonferenz am Donnerstag in Wien.

Die Polizeibeamten dürften auch immer nur auf der jeweiligen Rechtsgrundlage agieren, dieser rechtliche Rahmen sei von der Bundesregierung geschaffen worden. Die Coronavirus-Krise sei eine "absolut herausfordernde Zeit" gewesen und man habe unter großem Druck arbeiten müssen. "Da können Fehler passieren", räumte der Innenminister ein.

Die Entscheidung des VfGH nehme er "selbstverständlich" zur Kenntnis. Die Entscheidung zeige auch, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Österreich gut funktionierten.

(APA/red)

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