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Überraschende Wende im Fall Ötzi: Ausgangspunkt in Seewalchen am Attersee

Über eine Wende im Fall Ötzi berichtet das internationale Büro für Geoarchäologie.
Über eine Wende im Fall Ötzi berichtet das internationale Büro für Geoarchäologie. ©Alexander Binsteiner/Internationales Büro für Geoarchäologie
Über eine Wende im Fall Ötzi, die auch im Salzburger Land spielt, berichtet Alexander Binsteiner vom Büro für Geoarchäologie. So kam der Täter im Mordfall Ötzi womöglich aus dem Raum Mondsee.
Wende im Fall Ötzi
Archivbilder von Ötzi

Am Anfang steht eine Wasserstraße in der Zeit der jungsteinzeitlichen Mondsee-Kultur zwischen 3.700 und 3.300 v. Chr., auf der sich offenbar Überlebende eines katastrophalen Bergsturzes am Mondsee zur Donau aufmachten. Direkt an einem Knotenpunkt der Route, in Seewalchen am Attersee, findet sich ein sehr seltenes Artefakt aus der Ötzi-Ära und gibt dem Kriminalfall Ötzi eine überraschende Wendung. Kam der Täter im Mordfall Ötzi womöglich aus der Mondsee-Kultur?

Die Mondsee-Donau-Route

Der Wasserweg vom Mondsee zur Donau in Oberösterreich kann mit den aktuellen Materialaufnahmen in Stadl-Paura, Ansfelden, der Berglitzl und zuletzt im Unteren Mühlviertel eindeutig nachgezeichnet werden. Auch an der Enns in Laussa finden sich Artefakte und Keramik der Mondsee-Kultur. Es gilt als sicher, dass die Menschen dieser Zeit mit Einbäumen bestens vertraut waren.

Die Mondsee-Katastrophe

Der Bergsturz und die Murenabgänge am Südufer des Mondsees, deren Überreste noch heute unter sachkundiger Führung ohne den geringsten Zweifel deutlich erkennbar sind, führten zum Untergang der Mondsee-Kultur und zum Exodus der überlebenden Bevölkerung an Mond- und Attersee. Mit großer Wahrscheinlichkeit brachten sich die Überlebenden in den Höhensiedlungen von Stadl-Paura, Ansfelden und im Mühlviertel in Sicherheit. Die überfluteten Pfahlbauten an den Seeufern des Mond- und Attersees wurden für immer aufgegeben. Erst nach mehr als tausend Jahren, in der Bronzezeit, als die Katastrophe vergessen war, wurde das Mondseeland erneut besiedelt.

Die Pfeilspitze mit Schäftungsdorn

Auf der Mondsee-Donau-Routefand sich in Seewalchen am Attersee, dem Knotenpunkt am Ausfluss zur Ager, schon zu Beginn der Pfahlbauforschung am Anfang des 20. Jahrhunderts eine gestielte Feuersteinpfeilspitze, die nach ihrer äußeren Form und Machart ohne jeden Zweifel der oberitalischen Remedello-Kultur entstammt.

Alle bislang untersuchten Pfeilspitzen der Mondsee-Kultur hatten diesen sogenannten Schäftungsdorn an der Basis nicht. Die Spitze befand sich im Privatbesitz und gilt heute aber als verschollen. Es existiert aber eine gute und bereits publizierte sw-Aufnahme, die keine Zweifel an der Form lässt. Aufgrund der deutlich erkennbaren Einlagerungen und Strukturen im Feuerstein, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich um den Feuerstein der Monti Lessini, Prov. Verona, handelt. Aus dieser Feuersteinart waren auch die Geräte gefertigt worden, die der Ötzi in seiner Ausrüstung bei sich trug, als er starb.

Der Feuerstein der Monti Lessini

Jahrzehntelange internationale Materialstudien zeigen, dass dieser charakteristische Feuerstein in der Ötzi-Ära über den Alpenhauptkamm im nördlichen Alpenvorland von der Schweiz über Bayern bis nach Oberösterreich verbreitet war. Eine weitere gestielte Feuersteinpfeilspitze aus Lessinischem Feuerstein gibt es noch im Original aus der Mondsee-Siedlung von Ainring in Oberbayern und eine weitere Remedello- Spitze mit entferntem Schäftungsdorn aus Ergolding bei Landshut, Niederbayern.

Erweiterung des Täterkreises im Fall Ötzi

Auch aus der Schweiz kennt man einige der gestielten Exemplare, die ebenfalls in der ÖtziÄra auftreten und aus Feuersteinen des Monte Baldo am Gardasee und des Monte Gargano in

Mittelitalien gefertigt waren. Es ist aufällig, dass diese Form der Pfeilspitzen mit Schäftungsdorn in der Zeit der Mondsee- Kultur und der zeitgleichen Kulturen der Schweiz ausschließlich aus italienischen Feuersteinen hergestellt worden waren. Es ist also richtig zu sagen, der Ötzi wurde mit einer Pfeilspitze italienischer Machart getötet. Aber der Täter muss nach diesen neuen Befunden nicht zwangsläufig aus dem Süden stammen, sondern es kann auch ein Schütze beispielsweise aus der Mondsee-Kultur gewesen sein, der eine der seltenen Pfeilspitzen südlicher Provenienz benützt hat. Mit diesen neuen Befunden muss der Täterkreis deutlich erweitert werden.

Neue Lösungsansätze

Dadurch werden auch ältere Lösungsansätze wieder hochaktuell, die von einer Verfolgungsjagd in den Alpen und von einem Überfall auf einen Trupp von Kupferprospektoren ausgegangen waren. Der Mörder des Ötzi könnte ihm also auch aus einer Mondsee-Siedlung nördlich des Alpenhauptkammes gefolgt sein. Er könnte ihn sogar noch unter dem Similaun Pass getötet haben und die Weggefährten des Ötzi hätten dann nach der erfolgreichen Abwehr ihrer Angreifer den Toten auf den Pass getragen und dort in einer Art Bergbestattung mit seiner persönlichen Habe zur letzten Ruhe gebettet. Auch diese neue Variante der Bestattungstheorie wäre durch den Befund am Fundort des Eismannes abgesichert. Der Täter muss dabei aber nicht alleine gewesen sein, sondern eine ganze Gruppe von Verfolgern könnte den Überfall auf die italienische Kupferexpedition unternommen haben.

Der Menschenjagd könnten Zwistigkeiten beim Handel mit dem seltenen und kostbaren Mondsee-Kupfer vorausgegangen sein. Vielleicht wurde der teure Rohstoff nicht friedlich gehandelt und getauscht, sondern die „Fremden aus dem Süden” überfielen die Mondsee- Siedlungen am Mitterberg oder an den Seen des Salzkammergutes und versuchten sich das Kupfer gewaltsam anzueignen.

Sicher gibt es noch weitere Möglichkeiten die vorhandenen Fakten zu interpretieren. Der Fall Ötzi ist längst nicht abgeschlossen. Aber egal, wie man den Fall sehen möchte, das Endergebnis ist ein Toter mit seiner gesamten Ausrüstung, der an einem wichtigen Alpenpass in einer seltsamen Position 5500 Jahre unter dem ewigen Eis begraben lag.

Jeder neue Lösungsansatz muss aber in jedem Fall die folgenden Fragen sinnvoll beantworten:

  1. Wer hat den tödlichen Pfeil abgeschossen und warum?
  2. Wer hat den Pfeilschaft aus der Wunde gezogen und warum?
  3. Warum blieb die gesamte Ausrüstung und vor allem das sehr kostbare Kupferbeil bei der Leiche zurück?

Video: Der Mordfall Ötzi

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