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Türkei: "Ideologische Bedrohung für El Kaida“

Nach den Selbstmordanschlägen der vergangenen Tage ist die Türkei unversehens ins Zentrum des internationalen Terrors gerückt.

Fachleute befürchten nun, dass die internationale Sonderstellung des Landes es auch künftig zu einem der Hauptziele militanter Islamisten machen könnte. Schließlich ist die Türkei der einzige NATO-Staat mit überwiegend moslemischer Bevölkerung und ein Verbündeter sowohl Israels als auch der USA im Kampf gegen den Terror.

Der Verdacht fiel nach den Anschlägen vom vergangenen Samstag und vom Donnerstag rasch auf das Terrornetzwerk El Kaida. „Die Türkei ist eine große ideologische Bedrohung für die El Kaida“, sagte Soner Cagaptay vom Washingtoner Institut für Nahost-Politik. „Sie ist ein Symbol für die andere Seite der moslemischen Welt, die sie hassen.“

Die Anschläge, bei denen insgesamt mindestens 50 Menschen getötet wurden, werfen auch ein Schlaglicht auf die schwierige Rolle des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Er gehört einer Partei mit tiefen islamischen Wurzeln an und regiert ein überwiegend moslemisches Land. Zugleich steht er unter der strengen Überwachung der säkularen und einflussreichen Streitkräfte.

Unmittelbar nach den Anschlägen auf britische Einrichtungen am Donnerstag kündigte Erdogan an, sich von den Terroristen nicht einschüchtern zu lassen. „Wir müssen unseren Kampf gegen den Terrorismus mit stärkerem Einsatz fortsetzen“, sagte er laut einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. „Wir werden nicht ins Wanken geraten.“

Die Streitkräfte, die seit 1960 drei Mal gegen die Regierung putschten, stärkten dem Ministerpräsidenten demonstrativ den Rücken. Das Heer werde die „Einheit, den Frieden und den Wohlstand“ des Landes schützen, hieß es in einer Erklärung. An den Schauplätzen der Anschläge in Istanbul wurden am Donnerstag vorübergehend Soldaten postiert.

Dort war zunächst vor der türkischen Zentrale der britischen Bank HSBC ein Lastwagen explodiert, elf Menschen wurden getötet. Nur wenige Minuten später raste ein Selbstmordattentäter mit einem Lieferwagen in das Eingangstor des britischen Konsulats. Dabei wurden 16 Menschen getötet, darunter der britische Generalkonsul Roger Short. Nur fünf Tage zuvor hatte ein Doppelanschlag auf zwei Synagogen der Stadt 23 Menschen das Leben gekostet.

„Die heutigen Anschläge auf westliche Ziele in Istanbul bestätigen, dass die Türkei an die vorderste Front des Kriegs zwischen islamischen Gotteskriegern und dem Westen gezogen worden ist“, sagte Bülent Aliriza vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington am Donnerstag. Erdogan drohte den Tätern, sie würden „in beiden Welten dafür bezahlen; sie werden verdammt sein bis in die Ewigkeit.“

Doch der türkischen Opposition und Beobachtern sind solche Erklärungen nicht genug. Sie fordern Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zu einem härteren Vorgehen gegen Extremisten auf. Die AKP müsse mehr Entschlossenheit zeigen, den Terror zu bekämpfen, sagte Cagaptay. „Und sie muss den Türken und vor allem ihrer Wählerschaft erklären, dass der Islam keine terroristische Religion ist, auch wenn eine kleine Gruppe terroristischer Muslime Menschen tötet.“

Istanbul war für die Attentäter vermutlich auch auf Grund seiner überwiegend moslemischen Einwohnerschaft ein leichtes Ziel. Dort dürfte es ihnen relativ leicht gefallen sein, mit radikalen islamischen Gruppen in Kontakt zu treten. „Es gibt viele Orte, an denen man sich verstecken kann, und einen echten islamischen Untergrund“, sagte der frühere FBI-Anti-Terror-Spezialist Matthew Levitt.

Ähnlich äußerte sich Sami Kohen in einem Leitartikel in der türkischen Tageszeitung „Milliyet“. „In Schweden oder Dänemark hätten sie (die Terroristen) nicht die nötige Logistik“, schrieb Kohen. „Aber hier sind türkische Gruppen aktiv, so dass sie eine gute Basis für ihre Aktivitäten haben.“

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