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Tumulte bei Erdogan-Gegendemo auf Lasallestraße: Polizei nutzt Pfefferspray

Demonstraten und Polizisten trafen bei den Demos rund um den Erdogan-Besuch in Wien aufeinander
Demonstraten und Polizisten trafen bei den Demos rund um den Erdogan-Besuch in Wien aufeinander ©APA (Sujet)
Auf Gewaltlosigkeit wurde gehofft, doch vergeblich: Bei der größeren der beiden Gegendemonstrationen zum Besuch des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan in Wien ist es am Donnerstagnachmittag zu Tumulten gekommen. Dabei wurde zum Pfefferspray gegriffen.
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Wie ein APA-Kameramann berichtete, setzte die Polizei Pfefferspray ein um die Zusammenstöße zwischen den Protestierenden zu beenden.

Pfefferspray-Einsatz und WEGA

Grund für das “kurze Gerangel” war laut Polizeisprecher Roman Hahslinger eine Flasche, die aus einem Lokal in der Lasallestraße auf dem Demonstrationszug geworfen wurde. Hahslinger bestätigte zudem den Einsatz der Polizei-Sondereinheit WEGA. Mittlerweile habe sich die Situation jedoch wieder beruhigt.

6.000 Teilnehmer bei Erdogan-Demos in Wien

Der von verschiedenen linksgerichteten Organisationen veranstaltete Demonstrationszug war kurz nach 15.00 Uhr vom Praterstern in Richtung Donauzentrum gestartet. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich rund 6.000 Menschen an dem Protest. Veranstalter sprachen auf Twitter von 10.000 Teilnehmern.

Öffis fahren weiterhin nicht

Die Linien 22A, 26A, 27A, 93A und 94A wurden bereits ab 10.30 Uhr und bis voraussichtlich 20.00 Uhr kurz- bzw. abgelenkt geführt. Die Linie 25 stellte ihren Betrieb ab 10.00 Uhr ganz ein. Die U-Bahn-Linie U1 hält die Station Kagran vorerst nicht ein.

Buntes Farbenmeer gegen Erdogan

“Erdogan get out of Vienna”. Ein großes Plakat mit dieser Aufschrift wurde an der Spitze der Gegendemonstration zur Veranstaltung des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan getragen. Dahinter wehte ein buntes Fahnenmeer von türkischen, kurdischen, alevitischen und kommunistischen Vereinen. Vereinzelt fanden sich auch Österreich-, Regenbogen- und Türkei-Landesflaggen darunter.

Bis zu 40 türkische und österreichische Vereine mobilisierten für den Protestmarsch gegen den Auftritt Erdogans in der Albert-Schultz-Halle. Laut Polizeiangaben nahmen insgesamt rund 6.000 Menschen an der Gegenveranstaltung teil. Kurz bevor die Menge ihr Ziel gegen 17.00 Uhr erreichte, skandiere sie “Tayyip, du Mörder” und “Erdogan Faschist”.

Kritik am Regierungsstil

Ein Redner kritisierte den antidemokratischen Regierungsstil Erdogans in der Türkei. Katja, eine österreichische Armenierin mit irakischen Wurzeln, sagte, sie sei aus Solidarität mit den in der Türkei unterdrückten Minderheiten zur Protestveranstaltung gekommen. “Zum Beispiel dürfen Armenier in der Türkei keinen armenischen Namen haben, sie dürfen auch ihre Religion nicht sichtbar ausleben”, sagte die 30-Jährige. So sei ein Freund von ihr in der Türkei für das Tragen eines Kettenanhängers in Kreuzform zusammengeschlagen worden. “Ich bin auch da, damit der Genozid an der armenischen Bevölkerung aus dem Jahr 1915 endlich anerkannt wird.”

Der 36-jährige Roman mit türkischen Wurzeln trete für mehr Menschenrechte in der Türkei ein, wie er sagte. “Ich bin für mehr Meinungsfreiheit, gegen die Unterdrückung der kurdischen Minderheit und für mehr Demokratie in der Türkei. Ich bin auch für eine bessere Zukunft unserer Kinder, falls wir jemals dorthin zurückkehren”, fügte er hinzu.

Ein 60-jähriger Teilnehmer sagte, dass Erdogan ein “faschistischer Diktator” sei. “Und einen Diktator brauch ich nicht in Österreich.”

Abschlusskundgebung in Kagran

Gegen 17.15 Uhr erreichte die Gegendemo den Platz der Abschlusskundgebung in der Siebeckstraße in Kagran. “Wir wollen Erdogan nicht hierhaben”, sagte einer der zahlreichen Sprecher in seiner Rede, die er auf Türkisch hielt. “Erdogan ist jetzt hier, und das wollen wir nicht. Er hat Polizisten (in der Türkei, Anm.) erlaubt, Jugendliche bei Protesten zu töten. Wir wollen die Freiheit und es geht nur nach seinem Kopf: Er will das Kopftuch, er will, dass wir nur drei Kinder haben. Und wir sind dagegen”, sagte der Sprecher laut der 28-jährigen Gülizar.

Kurzes Aufeinandertreffen

Etwa 300 Meter entfernt von der Gegendemo – hinter einem Großaufgebot an Polizei – hatten sich unterdessen Anhänger Erdogans unter der U-Bahnbrücke der U1 in Kagran versammelt. Kurz lag Spannung in der Luft, als Gegner und Anhänger Erdogans einander erblickten, mit erhobenen Fäusten einander zuriefen und ihre Fahnen schwenkten. Es wirkte so, als wollten Anhänger und Gegner aufeinander zustürmen. Die Sicherheitskräfte wirkten angespannt. Als die Gegendemo gegen 18.00 Uhr offiziell beendet wurde und die Teilnehmer langsam das Gelände verließen, begann sich die Situation langsam zu entspannen.

Friedliche Gegendemo in Wiener Innenstadt

Ohne Zwischenfälle ist dagegen die kleinere der beiden Gegendemonstrationen in der Wiener Innenstadt verlaufen. Laut Polizei nahmen rund 350 Personen teil. Bereits um 13.00 Uhr begannen die Erdogan-Gegner, sich vor der Staatsoper zu versammeln. Die Veranstalter vom “Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Österreich” teilten Türkei-Fahnen aus, viele Teilnehmer hatten auch selbst Plakate mit.

“Mörder Erdogan”, “Keep calm, hate Erdogan” war darauf zu lesen, manche enthielten Hinweise auf die Gezi-Proteste 2013, die von dem türkischen Premierminister brutal niedergeschlagen worden waren. Die Stimmung unter den Demonstranten war ausgelassen, die meisten kennen sich.

Erdogans Rede eine “Schande”

Etwa 80 Prozent seien Vereinsmitglieder, schätzte Teilnehmerin Elif im Gespräch mit der APA. Ihr Vater hätte die Demonstration mitorganisiert, sie würde alle zumindest vom Sehen her kennen. Die geringe Teilnehmerzahl erklärte sie mit der großen Gegendemonstration in Kagran, bei der hauptsächlich “Linke” vertreten wären. Elif bezeichnet es als Schande, dass die Rede Erdogans in Österreich erlaubt worden sei.

Eine Stunde warteten die Demonstranten darauf, dass Premierminister Erdogan die Ringstraße entlangfahren und an ihnen vorbeikommen würde. Als die Information kam, dass das nicht passieren würde, ziehen sie entlang der geplanten Route bis zum Sigmund Freud Park vor der Votivkirche. Der Demonstrationszug wurde von vielen Polizisten begleitet, die vor allem sicherstellten, dass der Straßenbahnverkehr am Ring weitgehend ungestört blieb.

“Diktator, Mörder, Faschist”

Die Teilnehmer skandierten “Erdogan, verpiss dich, wir wollen dich hier nicht!” und bezeichneten den Politiker als “Diktator”, “Mörder” und “Faschist”. Hin und wieder wurden Lieder angestimmt. Trotz der aggressiven Parolen blieb es aber friedlich. Menschen jeden Alters nahmen an dem Protestmarsch teil, viele Eltern hatten ihre Kinder mitgebracht, die fleißig mitschrien und türkische Fahnen schwenkten.

“Ich bin sehr froh, dass unsere Demonstration friedlich verlaufen ist, es zu keiner Provokation gekommen ist und dass niemand zu Schaden gekommen ist”, sagte Vereinsobmann Murat Barlan zur APA. Ursprünglich wollte auch sein Verein bei der Albert-Schultz-Halle demonstrieren, sagte Barlan. Die Polizei “und andere” hätten aber davor gewarnt, dass es bei Zusammenstößen zwischen den Gruppierungen zu Ausschreitungen und Provokationen kommen könnte und so hätte man sich dagegen entschieden. “Hauptsache wir stehen auf und sagen das, was zu sagen ist. Wo wir das machen, ist relativ egal”, meinte der Organisator.

“Verdeckt agierender Islamist”

Für ihn sei Erdogan ein “verdeckt agierender Islamist, der sich als Demokrat verstellt.” Er versuche, die Türkei in einen islamischen Staat umzuwandeln, der nach dem islamischen Gesetz der Scharia regiert werde.

“Wir wollen Erdogan nicht”, sagte auch die Wirtschaftsstudentin Asli. Sie demonstriere gegen Faschismus in der Türkei. Auf die Frage der APA, was sie sich für die Türkei wünsche, antwortete sie: “Kennen Sie Atatürk?” Die 22-Jährige wolle einen laizistischen, liberalen, demokratischen und sozialen Staat in der Türkei, wie ihn der Gründer der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, aufgebaut hat.

Erkärung für große Erdogan-Fanschar

Das wünscht sich auch Vereinsobmann Murat Barlan. Dass der türkische Premier in Österreich viele Anhänger hat, erklärte er mit der Medienlandschaft in seinem Herkunftsland, die von Erdogan unterdrückt würde. Die Befürworter unter den österreichischen Türken würden sich wenig für die aktuelle Politik interessieren und hauptsächlich türkische Medien konsumieren. Daher würden sie die “Wahrheit” nicht kennen und von den Medien unter der Kontrolle der regierenden Partei AKP getäuscht werden.

Er wünsche sich, dass die Menschen in der Türkei in einem säkularen Staat friedlich leben können, so Barlan. Gerüchte, nach denen Erdogan sich im August zum Präsidenten wählen lassen und die Türkei in einen präsidiales System umwandeln wolle, sehe sein Verein mit großen Bedenken. Auch ein föderales System, in dem sich die Kurden vom Rest des Landes abspalten würden, lehnt der Vereinsobmann ab. “Die Kurden sind unsere Brüder und Schwestern. Wir sind eine große Familie und wollen zusammenleben”, so Barlan.
(apa/red)

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