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Titkaink: Bela Pinter widmet sich bei den Wiener Festwochen der Pädophilie

Das Stück "Titkaink" ist erst für Zuschauer ab 16 Jahren geeignet.
Das Stück "Titkaink" ist erst für Zuschauer ab 16 Jahren geeignet. ©Csaba Mészáros
Auch das Festwochen-Stück "Titkaink. Unsere Geheimnisse" balanciert entlang der emotionalen Schmerzgrenze. Das Stück, das in der Halle G im Museumsquartier gezeigt wird, behandelt das Thema Pädophilie.
Szenenbilder des Stücks

Den im Programm der Wiener Festwochen abgedruckten Hinweis sollte man ernst nehmen: “Für Zuschauer ab 16 Jahren. Ein Thema des Stücks ist Kindesmissbrauch.” Aber selbst Erwachsenen, die regelmäßig in den Zeitungen über entsprechende Fälle lesen, geht das von Bela Pinter entwickelte Stück, das in den 1980ern hinter dem Eisernen Vorhang spielt, ordentlich an die Nieren. Schließlich ist Pinter dafür bekannt, mit seiner kleinen Compagnie herausragende Charaktere zu kreieren und intensiv an der Entwicklung seiner Figuren zu arbeiten. Und so wird die Tragödie rund um den Volksliedforscher Istvan Balla Ban (Zoltan Friedenthal), der sich in seine siebenjährige Stieftochter verliebt, derart greifbar, dass es weh tut.

Bela Pinter bringt das Publikum zum Lachen

Das Problem: Eigentlich mag man diesen grobschlächtigen, etwas tollpatschigen Mann, der sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Kata im lokalen Tanzhaus engagiert, ziemlich gern. Er ist ein netter Kerl. Die Stimmung während der Tanzproben ist ausgelassen, immer wieder bringt Pinter das Publikum dank der pointierten Dialoge zwischen den Tanzhaus-Mitgliedern zum Lachen. Gelacht wird zunächst auch, als Istvan eine befreundete Psychologin aufsucht und sie ihn, nachdem er ihr gebeichtet hat, dass er sich nicht in eine andere Frau und auch nicht in einen Mann verliebt hat, fragt: “Ist es ein Tier?”

Nein, es ist kein Tier. Es ist die siebenjährige Timi, mit der er spielt, badet und in der beengten Einzimmerwohnung auch in einem Bett schläft. Das Lachen im Publikum versiegt jäh. Und nein, es gibt keine Therapie dagegen, sagt die Psychologin. Und nein, er hat seine Träume bisher noch nicht in die Tat umgesetzt, sagt Istvan. Das Publikum atmet erleichtert durch.

Pädophilie, Abhängigkeit und Bespitzelung thematisiert

Dass das überdimensionale Tonband, das die einzige fixe Kulisse in der Halle G im Museumsquartier bildet, aber nicht nur Musik abspielt, sondern auch als Metapher für die systematische Bespitzelung der ungarischen Bevölkerung zur Zeit des Eisernen Vorhangs dient, wird Istvan in Folge zum Verhängnis. Der Große Bruder hört mit und es dauert nicht lange, bis die Geheimpolizei ihn ins Hauptquartier zitiert. Es wird vermutet, dass sich im Tanzhaus Individuen befinden, die für die regimekritische Untergrundzeitung “Eiserner Vorhang” verantwortlich sind. Da könnte Istvan doch mal seine Ohren offenhalten.

Als dieser ablehnt, wird es ernst. Die Wohnung der Psychologin sei nämlich verwanzt, Istvans “Neigung” dem Staat bekannt. Und so beginnt eine Spirale aus Abhängigkeit, Erpressung und Selbstkasteiung. Mit aller Kraft will sich Istvan entziehen, aber Timi liebt ihn nun mal und außerdem küsst sie auch gerne den kleinen Zwerg in Istvans Hose, der schnell zum Riesen wird und ihr dann auch noch ins Gesicht spuckt. “Versprich mir, dass du es niemandem erzählst”, heißt es. Und: “Wir dürfen das nie wieder machen.” Und Timi antwortet mit einem Lächeln: “Das sagst du doch jedes Mal.”

Als Istvans Frau Kata eines Tages merkt, dass er ganz und gar nicht impotent ist, sondern das Interesse an ihr verloren hat, schmeißt sie ihn raus. Vom Missbrauch ahnt sie nichts, lässt ihren Exmann sogar regelmäßig die Tochter, die die Trennung so gar nicht verkraftet, besuchen. Die Spirale zieht ihn unweigerlich nach unten. Istvan verrät seinen besten Freund und Herausgeber des “Eisernen Vorhangs” Imre (Bela Pinter), macht dessen zehnjährigen Sohn Feri betrunken und – sticht sich kurz vor dem geplanten Missbrauch mehrmals mit einem Küchenmesser in den Schritt.

Besondere Dynamik von “Titkaink”

Dass der 1970 geborene Schauspieler, Autor und Regisseur Pinter sein Stück zur Zeit des Kommunismus angesiedelt hat, verleiht “Titkaink” seine besondere Dynamik. Die Erpressung durch den Staat, die nicht existente Therapie, die einem Hilfe suchenden Pädophilen heutzutage psychologisch sowie medikamentös zumindest einen Hoffnungsschimmer ermöglichen würde, zerstören diesen Mann, der sich selbst als tickende Zeitbombe begreift. Zugleich schlägt Pinter einen Bogen zur heute allgegenwärtigen Überwachung. Ein beklemmender Abend mit großartigen schauspielerischen Leistungen, die bis ins Mark erschüttern. (APA)

Weitere Vorstellungen von “Titkaink. Unsere Geheimnisse” finden am 19., 20. und 21. Mai statt. Tickets sind unter www.festwochen.at erhältlich.

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