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Tag 10 beim Aliyev-Prozess: Richter drohte einem Zeugen mit Haft

Beim Aliyev-Prozess in Wien
Beim Aliyev-Prozess in Wien ©EPA
Dienstag war der zehnte Verhandlungstag im Prozess um die Ermordung und Entführung der kasachischen Banker Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov. Ein Zeuge berichtete im Wiener Straflandesgericht von der Folterung der Banker.
Enthaftung wird diskutiert
Entlassung aus U-Haft
Gutachter mit Lansky-Bezug
Zeuge belastet Aliyev massiv
Aliyev-Vertrauter: "Staatsfeind"
Aliyev-Prozess in Wien
Geld “klassisches Mordmotiv”

Im Wiener Straflandesgericht ist am Dienstag ein ehemaliger Mitarbeiter des früheren kasachischen Botschafters in Wien, Rakhat Aliyev, als Zeuge vernommen worden. Der 51-Jährige belastete Aliyev, widersprach dabei allerdings teilweise bisher getätigten Aussagen.

Zeugen wurde Haft angedroht

Der vorsitzende Richter Andreas Böhm machte den Mann darauf aufmerksam, dass er verpflichtet sei, die Wahrheit zu sagen. Als dieser daraufhin wiederholt Feststellungen zu Protokoll gab, die er bei seiner Einvernahme durch die Wiener Staatsanwältin Bettina Wallner im Jahr 2012 noch nicht geliefert hatte und Aliyev stärker als zuvor belastete, drohte ihm Böhm mit Konsequenzen: “Ich habe die Möglichkeit, ihn in Haft zu nehmen, wenn er nicht die Wahrheit sagt.”

Der Mann war seit 1997 für Aliyev tätig, unter anderem als Inspektor für die Wirtschafts- und Finanzabteilung der Stadt Almaty. Weil er an der Entführung der beiden Banker am 31. Jänner 2007 beteiligt und bei ihrer Misshandlung dabei gewesen sein soll, wurde er nach einer kurzzeitigen Flucht nach Usbekistan, wo er im Juni 2007 festgenommen und noch am selben Tag nach Kasachstan ausgeliefert wurde, in seiner Heimat zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe unter strengen Haftbedingungen verurteilt.

Kooperation mit kasachischen Behörden

Seinen Angaben zufolge wurden ihm in weiterer Folge fünf Jahre erlassen, nachdem er sich entschieden hatte, mit den kasachischen Behörden zu kooperieren. So trat der 51-Jährige im Verfahren gegen Aliyev, den ehemaligen Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, als Belastungszeuge auf.

Aliyev, bei Nasarbajew mittlerweile in Ungnade gefallen, wurde vorgeworfen, die Banker verschleppt und nach mehrtägiger Gefangenschaft umgebracht zu haben, weil er ihnen unterstellte, Vermögen aus der Nurbank, an der Aliyev Mehrheitsanteile hielt, abgezweigt zu haben. Aliyev hat diese Vorwürfe stets bestritten. Weil Österreich in Kasachstan für ihn kein faires Verfahren garantiert sah, wurde seine Auslieferung abgelehnt und stattdessen ein Inlandsverfahren eröffnet. Nun müssen sich Wiener Geschworene mit dem Fall beschäftigen, wobei mit Aliyev der Hauptangeklagte fehlt. Er wurde am 24. Februar 2015 erhängt in seiner Zelle im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus aufgefunden.

Zeuge berichtete von Folterung der Banker

Der 51-jährige Zeuge erzählte, er sei am 31. Jänner 2007 von Rakhat Alivey in die Nurbank bestellt worden. Dort habe er zunächst den Bankmanager Aybar Khasenov – nur mit einer Unterhose bekleidet und mit gerötetem Gesicht – in einem Zimmer angetroffen: “Links oder rechts am Knie tröpfelte es Blut.” Khasenov habe gebeten, man möge ihn in Ruhe lassen und er werde “alles unterschreiben”.

Astana/Wien. Khasenov habe bestritten, Geld aus der Nurbank unterschlagen zu haben, was Aliyev ihm vorwarf, so der Zeuge. Den laut Anklage in den Räumlichkeiten der Bank ebenfalls anwesenden Nurbank-Vorstand Zholdas Timraliyev, den Aliyev ebenfalls zur Rede gestellt haben soll, nachdem er diesen der Anklage zufolge bereits am 19. Jänner 2007 für rund 24 Stunden verschleppt, misshandelt und unter Druck gesetzt hatte, habe er nicht wahrgenommen, sagte der Zeuge.

Widersprüche beim Aliyev-Prozess

Vor der Wiener Staatsanwältin hatte er im Jahr 2012 allerdings noch behauptet, Timraliyev an diesem Tag gegen 18.00 Uhr in der Bank gesehen zu haben. Diesen Widerspruch konnte der 51-Jährige nicht plausibel erklären. Stattdessen behauptete er, er habe am Ende auf Anweisung von Vadim Koshlyak, dem Sicherheitsberater Aliyevs, in der Bank Blut aufwischen, Plastikhandschellen und sonstige Beweismittel verschwinden lassen müssen. Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb er dies bisher noch nie angegeben habe, erwiderte der Mann, der Ende August 2014 nach Verbüßung von rund der Hälfte der über ihn verhängten 15-jährigen Freiheitsstrafe in Kasachstan aus dem Gefängnis entlassen wurde: “Ich habe mit dieser Frage gerechnet. Mein Anwalt hat mir geraten, das im Ermittlungsverfahren nicht zu sagen.” Jetzt habe er aber “nichts mehr zu verheimlichen”. Vor der Wiener Staatsanwältin sei er noch “nervös” gewesen, daher habe er ihr nichts vom Beseitigen der Beweismittel verraten.

“Bitte lasst mich gehen!”

Von der Nurbank sei es dann zur Residenz Aliyevs gegangen, setzte der Zeuge mit seiner Schilderung fort: “Wir wollten uns am Abend entspannen. Wir wollten essen.” Wie er zur Residenz gekommen sei? – “Mit dem Taxi.” Bisher hatte der 51-Jährige erklärt, er wäre mit einem der beiden Chauffeure Aliyevs zur Residenz gelangt. Mit diesem Widerspruch konfrontiert, bemerkte der Zeuge: “Sollten sie (die Fahrer, Anm.) an diesem Tag beschäftigt gewesen sein, bin ich mit denen gefahren.” Auf dem Gelände der Residenz habe er Khasenov und Timraliyev angetroffen. Ersterer habe gefleht: “Bitte lasst mich gehen! Ich habe mit dem Geld nichts zu tun.”

Banker grausam misshandelt

Aliyev und Koshlyak – nach Aliyevs Ableben der Hauptangeklagte im Wiener Schwurprozess – hätten Timraliyev, der ebenfalls versichert hätte, kein Geld genommen zu haben, die Hosen ausgezogen. Aliyev habe den Banker dann mit einem Stock penetriert: “Dann haben wir gelacht. Alle drei gemeinsam. Aliyev, Koshlyak und ich.” Am nächsten Tag sei die Folter fortgesetzt worden. Man habe Timraliyev komplett entkleidet, Aliyev habe diesen mit einem Gummistock misshandelt. Diese Passage war wiederum völlig neu. Auf die Frage, ob auch Koshlyak auf den Banker eingeschlagen habe, meinte der Zeuge: “Koshlyak konnte schlagen. Aber ich kann nicht sagen, ob er hingeschlagen hat. Es waren schwierige moralische Umstände. Ich habe nicht genau hingeschaut.” Er selbst sei nämlich im Jahr 2003 von Aliyev und Koshlyak auf ganz ähnliche Art und Weise malträtiert worden, weil ihm Aliyev unterstellte, Geld gestohlen zu haben, erläuterte der Zeuge.

Der 51-Jährige verließ seiner Darstellung zufolge im Verlauf des 1. Februar das Gelände, auf dem Aliyev residierte. Vom weiteren Schicksal der zwei Banker, die laut Anklage wenige Tage später umgebracht wurden, will er nichts mehr mitbekommen haben. Ihre Leichen wurden erst im Mai 2011 entdeckt.

Systemfehler bei Strafregister-Auskunft

Staatsanwalt Markus Berghammer bemühte sich am Rand der Verhandlung, Licht in einen vermeintlichen Widerspruch zu bringen, der mit dazu geführt hatte, dass Koshlyak und der mitangeklagte Ex-Chef des kasachischen Geheimdienstes KNB, Alnur Mussayev, am vergangenen Donnerstag aus der U-Haft entlassen wurden. In einem kasachischen Strafregister-Auszug wurden Urteile eines kasachischen Militärgerichts im Fall Aliyev als rechtskräftig bezeichnet, während in einem Schreiben der kasachischen Justiz an das Wiener Gericht diese als noch nicht in Rechtskraft erwachsen dargestellt wurden. “Die Urteile sind nicht rechtskräftig”, betonte nunmehr Berghammer. Die inhaltlich unrichtige Strafregister-Auskunft sei auf einen “Systemfehler” zurückzuführen.

Der Vertreter der kasachischen Generalstaatsanwaltschaft in Wien, der Wiener Rechtsanwalt Richard Soyer, bemerkte in diesem Zusammenhang gegenüber der APA: “Fehler bei der Eintragung in Register passieren überall, in Österreich, in Europa und leider auch in Kasachstan.” Der Richter hätte “auf kurzem Weg über eine direkte Anfrage über uns – wie es ja auch sonst in dieser Sache praktiziert wird – offenen Fragen leicht aufklären können”. Seine Mandantschaft habe “den Eindruck, dass an einer solchen faktenorientieren Aufklärung gar kein Interesse besteht, zumal es bis heute keine Nachfrage des Gerichts gibt”. Für Soyer ist die Enthaftung der beiden Angeklagten daher “eine krasses Fehlurteil”.

Kritik an Zwischenruf beim Aliyev-Prozess

Aliyevs ehemaliger Rechtsvertreter Manfred Ainedter wies Soyers Zwischenruf scharf zurück: “Mit dieser Urteilsschelte verlässt der Strafrechtsprofessor Soyer ohne jeden Zweifel den Boden sachlicher Kritik.” Es sei “ebenso befremdlich wie geradezu erschütternd, dass ein Strafrechtsprofessor, der noch dazu stets behauptet, wie wichtig ihm die Menschenrechte sind, eine Entscheidung eines unabhängigen österreichischen Gerichtes so kommentiert”, gab Ainedter gegenüber der APA zu bedenken. Und weiter: “Soyer entlarvt sich damit leider als ‘treuer Diener’ seines Herren (gemeint: die kasachische Generalstaatsanwaltschaft, Anm.), der seine und die Prinzipien des Rechtsstaates aus allzu durchsichtigen Gründen über Bord wirft.” Den angeblichen “Systemfehler” in Bezug auf den Strafregister-Auszug kommentierte Ainedter: “Der ganze Prozess ist ein einziger Systemfehler.”

Aliyev scheute “grausame Maßnahmen” nicht

Mit einer Schilderung des Charakters von Rakhat Aliyev ging die stundenlange Befragung des 51-jährigen Zeugen zu Ende. Aliyev sei eine charismatische Persönlichkeit gewesen und habe sich selbst genügt, bemerkte sein ehemaliger Mitarbeiter. In für ihn krisenhaften Situationen habe er sich nicht gescheut, “grausame und brutale Maßnahmen zu ergreifen”. Der Prozess wird am Mittwoch mit weiteren Zeugenbefragungen fortgesetzt.

(apa/red)

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