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Sudetendeutsche: Unbewältigte Vergangenheit

Mehr als drei Millionen Deutsche sind nach dem II. Weltkrieg aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben worden. Heute, 60 Jahre später, sind Tschechien und die Slowakei, aber auch Deutschland und Österreich Mitglieder der EU.

Die Geschichte der Vertreibungen und ihre Ursachen im Terror der Nationalsozialisten harren aber noch immer der Aufarbeitung – auf beiden Seiten der Grenze.

Das Münchener Abkommen vom Oktober 1938 legte den Grundstein für eine Entwicklung, die zu Verfolgungen auf deutscher wie auf tschechischer Seite führte. Das Sudetenland wurde als Protektorat Böhmen und Mähren an Hitler-Deutschland abgetreten. Die Begeisterung für Hitler war nicht zuletzt wegen der katastrophalen Arbeitslosigkeit groß. Seit Jahrhunderten Bürger der Donaumonarchie, waren die Sudetendeutschen zudem nach dem Ersten Weltkrieg gegen ihren Willen der neugegründeten Tschechoslowakei angegliedert geworden. Der Anteil der Deutschen in dem neuen Staat machte 41 Prozent aus.

Aber auch in den Reihen der Sudetendeutschen gab es Widerstand gegen Hitler. Sozialdemokraten, Kommunisten und katholische Gruppen agierten gegen den Vormarsch der Hitler-Anhänger. Als der Anschluss an Deutschland erfolgte, wurden schätzungsweise 10.000 Hitler-Gegner in Konzentrationslager eingeliefert. Rund 30.000 sudetendeutsche Juden retteten damals ihr Leben durch Emigration. Die Angaben über die Opfer, die die von den Alliierten sanktionierte Aussiedlungsaktion nach dem Krieg unter den Sudetendeutschen forderte, schwanken zwischen „Zehntausenden“ und 241.000 Toten.

Die Vertreibungspläne des Chefs der tschechoslowakischen Exilregierung in London, Edvard Benes, führten zum Bruch mit den sudetendeutschen Sozialdemokraten unter Wenzel Jaksch. Mit der Anerkennung der Vor-München-Republik 1941/42 machten die Alliierten das Sudeten-Problem zur inneren Angelegenheit der Tschechoslowakei. Benes sicherte sich die Unterstützung Moskaus für seine Aussiedlungspläne, 1943 stimmte auch Roosevelt zu, dem eine bereits gegebene Zusage Stalins vorgetäuscht wurde. Im November 1944 legte Benes den Alliierten ein Memorandum zur Aussiedlung vor.

Auf der Potsdamer Konferenz von 17. Juli bis 2. August 1945 stimmten die Westmächte offiziell der Aussiedlung der Deutschen aus den Sudenten-Gebieten, aus Ungarn und aus Polen zu. Am 20. November legte der Alliierte Kontrollrat die Abwicklung der Massenausweisung und die „Kontingente“ für den „Bevölkerungstransfer“ fest. Zwischen 1. Dezember 1945 und 1. Juli 1946 sollten 750.000 Deutschen in die russische und 1,75 Millionen Deutsche in die britische bzw. US-Besatzungszone Deutschlands ausgesiedelt werden. Am 24. Oktober 1946 verkündete Innenminister Vaclav Nosek im Prager Parlament die vollzogene „organisierte“ Aussiedlung von 2,256.000 Menschen. Zuvor hatten bereits rund 700.000 Deutsche im Zuge „wilder“ Vertreibungen das Land verlassen müssen.

Die “Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben“ sollte „in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen“, hieß es in dem von den Präsidenten Stalin und Truman und dem britischen Außenminister Attlee unterzeichneten Potsdamer Abkommen. Doch was sich wirklich bei den Massentransporten abspielte, ist eine unendliche Geschichte menschlicher Tragödien. 1955 sollte Truman in seinen Memoiren schreiben: „In Potsdam wurden wir vor eine vollendete Tatsache gestellt … Es war ein willkürlicher Gewaltakt.“

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