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"Rückfall in barbarische Zeit"

Freispruch nach der „Nazi“-Kritik am früheren VP-Mandatar Tancsits. Das Wiener Oberlandesgericht korrigiert seine eigene Judikatur und spricht den HOSI-Aktivisten Krickler im zweiten Anlauf frei.

Mit einem bemerkenswerten Urteil ist am Montag der vom früheren ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits angestrengte Ehrenbeleidigungsprozess gegen den Homosexuellen-Aktivsten Kurt Krickler zu Ende gegangen. Der Generalsekretär der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien hatte Tancsits im März 2005 als „geistigen Nachfahren der braunen Nazi-Schergen“ bezeichnet. Nun hob das Oberlandesgericht Wien die erstinstanzliche Verurteilung auf, sprach Krickler frei und korrigierte damit seine eigene Judikatur. Grund:
Die liberale Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).

Zur Vorgeschichte: Weil sich die ÖVP weigerte, homosexuelle Opfer der Nazizeit ins Opferfürsorgegesetz aufzunehmen, attackierte Krickler im März 2005 die Volkspartei. Er warf der ÖVP und Tancsits vor, die Diskriminierung der Homosexuellen durch die Nazis fortzuschreiben. Die Kritik gipfelte im Satz: „Es ist eine Schande für dieses Land, dass auch heute noch geistige Nachfahren der braunen Nazi-Schergen wie Tancsits im Parlament sitzen.“

Tancsits strengte daraufhin einen Ehrenbeleidigungsprozess gegen Krickler an. Auf den nun erfolgten Freispruch durch das Oberlandesgericht (OLG) reagierte er frustriert: „Ich nehme zur Kenntnis, dass ich für vogelfrei erklärt bin. Für mich ist das ein Rückfall in eine barbarische Zeit, wo man seine Ehre nicht vor Gericht verteidigen konnte, sondern das selbst tun musste.“ Die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof vorgegebene Judikatur sei nicht liberal, sondern „totalitär“: „Ich bin damit rechtskräftig zum Nazi gestempelt.“

Für Kricklers Anwalt Thomas Höhne ist das Urteil dagegen „ein wichtiger Sieg für die Meinungsfreiheit in Österreich“. Er erklärt den Freispruch damit, dass sich die liberale Judikatur des Menschenrechtsgerichtshofes mittlerweile auch in Österreich herumgesprochen habe. Dem EGMR reiche nämlich bereits ein geringes „Tatsachensubstrat“ (in diesem Fall Kricklers Verweis darauf, dass auch die Nazis Homosexuelle diskriminiert haben), um in der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und schützenswerten Persönlichkeitsrechten zu Gunsten der freien Meinungsäußerung zu entscheiden.

Das Kuriose an dem Fall: Krickler war bereits im ersten Prozess im April 2005 freigesprochen worden, damals ging Tancsits jedoch in Berufung und erhielt vom Oberlandesgericht recht, das den Fall zurück an das Wiener Straflandesgericht verwies. Dort wurde Krickler dann gemäß den Vorgaben des OLG verurteilt, ging aber seinerseits in Berufung – und wurde nun vom selben OLG-Senat frei gesprochen, der den Freispruch der ersten Instanz noch vor eineinhalb Jahren aufgehoben hatte. Dabei verwies das OLG nun explizit auf die geänderte Judikatur des Menschenrechtsgerichtshofes. Höhne: „Es hat sich als Glück erwiesen, dass der Fall so lange liegen geblieben ist.“

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