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Radikalisierung an Wiener Schulen: Stadt richtet Hotline ein

Viele Lehrer hätten den Wunsch nach einer klaren Anlaufstelle abseits vom Dienstweg geäußert.
Viele Lehrer hätten den Wunsch nach einer klaren Anlaufstelle abseits vom Dienstweg geäußert. ©bilderbox.com (Sujet)
"Radikalisierung oder Religion als Mittel der Politik, Gewalt und das Recht des Stärkeren haben in meiner Stadt nichts verloren", so Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zum Thema Islam an Schulen. Mit einem Maßnahmenpaket samt Hotline und Soforthilfetrupp soll nun den Lehrern der Rücken gestärkt werden.
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In Reaktion auf die in den vergangenen Wochen intensiv diskutierten Herausforderungen an Wiener Schulen haben Bürgermeister Michael Ludwig und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (beide SPÖ) am Donnerstag ein Maßnahmenpaket präsentiert.

Islam an Wiener Schulen: Viele Lehrer haben Wunsch nach Anlaufstelle

Unter anderem soll in den nächsten Tagen ein Soforthilfetelefon eingerichtet werden, an das sich sowohl Lehrer als auch Schüler bei Problemen wenden können. Viele Lehrer hätten den Wunsch nach einer klaren Anlaufstelle abseits vom Dienstweg geäußert, berichtete Czernohorszky. Die Hotline wird vorerst in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft eingerichtet und in weiterer Folge als Stabsstelle beim Stadtschulrat angesiedelt.

Auch ein Soforthilfetrupp, bestehend aus Schulsozialarbeitern und -psychologen, Beratungslehrern sowie Grätzelpolizisten, soll demnächst seine Arbeit aufnehmen, kündigte Ludwig an. Dieser soll zum Beispiel tätig werden, wenn familiäre Gewalt in der Schule auffällig wird. Die Kinder- und Jugendhilfe solle enger mit der Schule verknüpft werden, erklärte Czernohorszky. “Wir bauen die Kinder- und Jugendhilfe gerade in Hinblick auf Regionalisierung um”, sagte er.

Wien richtet Hotline und Soforthilfetrupp ein

Zuletzt hatte die Wiener Lehrerin Susanne Wiesinger mit ihrem Buch “Kulturkampf im Klassenzimmer” eine rege Debatte über Integrationsprobleme an Wiener Schulen angestoßen. “Radikalisierung oder Religion als Mittel der Politik, Gewalt und das Recht des Stärkeren haben in meiner Stadt nichts verloren”, betonte Ludwig. Mit den Maßnahmen solle den Lehrern der Rücken gestärkt werden. Er sprach sich für “klare Konsequenzen bei Fehlverhalten” aus.

Gemeinsam mit dem Bund soll Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer (SPÖ) prüfen, welche Sanktionen und Konsequenzen bei Regelbrüchen möglich sind. Wie diese aussehen könnten, blieb offen. Der Bürgermeister stellte aber klar, dass sie nicht finanzieller Natur sein sollen. Der Forderung der ÖVP, die Familienbeihilfe einzufrieren, wenn Elterngespräche nicht wahrgenommen werden, erteilte er eine Absage, “weil es die Kinder sozial schwacher Familien trifft.”

Wiener Bürgermeister will Suspendierungen von Schülern vermeiden

Auch Suspendierungen von Schülern will Ludwig möglichst vermeiden. “Sozial auffällige Schüler” sollten nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil verpflichtet werden, länger in der Schule zu bleiben, wo sie sozialarbeiterische Unterstützung erhalten sollen.

Außerdem forderte der Stadtchef den Bund auf, einen Verhaltenskodex zu erstellen. In diesem soll es nach Vorstellung des Bürgermeisters etwa um einen wertschätzenden Umgang miteinander, aber auch um Disziplin und Leistung sowie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen gehen. Die Verhaltensregeln will Ludwig analog zur Hausordnung in den Gemeindebauten, die er als Wohnbaustadtrat in den Gebäuden anbringen ließ, “optisch stärker in den Schulen verankern”. Außerdem sprach er sich für einen verpflichtenden Ethikunterricht ergänzend zum Religionsunterricht aus.

Enthüllungsbuch-Autorin begrüßt Maßnahmen, befürchtet aber “Hickhack”

Mit ihrem Buch “Kulturkampf im Klassenzimmer” hat die Wiener NMS-Lehrerin Susanne Wiesinger eine Debatte über negative Auswirkungen eines konservativen Islam auf die Schulen ausgelöst, Politik und Schulaufsicht haben Maßnahmen angekündigt. Wiesinger befürchtet allerdings nach einem Treffen mit Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) “politisches Hickhack” statt konkreter Hilfe. Czernohorszky habe in dem Gespräch am Mittwochabend zwar Maßnahmen zugesichert. Wiesinger fürchtet im Gespräch mit der APA allerdings, “dass es wieder nur ein Hickhack zwischen Bund und Land um Ressourcen geben wird. Der Streit zwischen Bund und Land bringt uns einfach nicht weiter.” Wiesinger fordert stattdessen “konkrete Maßnahmen” im Alltag, etwa eine bessere Ausstattung der Jugendämter, damit diese wieder – “wie früher” – mehr Sozialarbeit an den Schulen machen könnten. Auch andere externe Experten sollten hinzugezogen werden. “Ich habe das Gefühl, es werden immer nur Pflaster drübergeklebt, aber nicht wirklich strukturell etwas verändert.”

Wiesinger wünscht sich konkrete Stellen, an die sich Lehrer bei Problemen wenden können, wo auch sofort reagiert wird. Die vom Bildungsstadtrat angekündigte Hotline samt Soforthilfetrupp begrüßt sie deshalb. Es müsse zudem die Durchmischung der Schüler verbessert werden, sodass nicht nur Kinder und Jugendliche derselben Herkunft und sozialen Schicht das Klassenzimmer teilen. “Es ist ein bisschen was möglich, auch innerhalb des Bezirks und manchmal sogar innerhalb einer Schule.” Aus der Politik heiße es zwar, dass das schwierig werde. “Aber es wird nicht anders gehen.”

Außerdem müssten die konservativen islamischen Verbände stärker kontrolliert werden. Die von ihr geschilderten Probleme im Schulalltag seien Folge von “sozialer plus ethnischer Problematik in Kombination mit dem Erstarken des konservativen Islam”: “Das ist das, was die Kinder immer mehr von uns entfernt hat. Es ist ein Sich-Wehren gegen unsere Art zu leben.”

Wiesinger – seit 30 Jahren Lehrerin in Wien, derzeit in einer NMS in Favoriten, und neun Jahre lang Personalvertreterin der sozialdemokratischen Lehrergewerkschaft – beschreibt in ihrem Buch die Auswirkungen eines konservativen bis fundamentalistischen Islam auf ihren Unterricht. Das Niveau leide, weil Schüler religiöse Gesetze über weltliche stellten. Bildung werde religiösen Ge- und Verboten untergeordnet, Musik oder Lehrinhalte wie Aufklärungsunterricht als “haram” (laut Scharia verboten) erklärt und verweigert, auch gemeinsame Kulturveranstaltungen oder Ausflüge fänden deshalb kaum noch statt. Mädchen würden von ihren Mitschülern bedroht, wenn sie sich deren Meinung nach nicht angemessen kleiden, Wiesinger berichtet auch von Zwangsehen und Beschneidungen.

Runder Tisch zum Thema Gewalt an Schulen geplant

Durch die Kürzungen des Bundes gebe es allein heuer 41 Sozialarbeiter und 300 Lehrer in Wien weniger, klagte Ludwig. Gemeinsam mit dem Bund sollen die sozialarbeiterischen Ressourcen wieder aufgestockt werden, forderte er. “Ich bin bereit, dass wir uns die Kosten teilen”, sagte Ludwig.

Am 16. Oktober findet wie bereits angekündigt auf Einladung des Stadtschulrats ein Runder Tisch zum Thema Gewalt an Schulen statt. Dort sollen weitere Ergebnisse erarbeitet und präsentiert werden.

(APA/Red)

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