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Probleme am "Hotspot" Westbahnhof: Polizei sieht Integrationsmängel als Ursache

"Hotspot" Westbahnhof: Integrationsmängel die Ursache
"Hotspot" Westbahnhof: Integrationsmängel die Ursache ©APA
Der Wiener Westbahnhof geriet nicht erst nach einer Schlägerei unter Jugendlichen migrantischer Herkunft vergangenen Dezember in den Blickpunkt. Die dahinterliegende Problematik ist für Polizeisprecher Paul Eidenberger vor allem eine soziale Frage und keine polizeiliche.
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“Die Polizei kann nur Symptome bekämpfen, die Wurzel liegt aber in der Integration”, sagte er gegenüber der APA. Die Exekutive habe es bei dieser sozialen Symptombekämpfung vor allem mit aus Afghanistan stammenden Jugendlichen zu tun. Geantwortet wurde mit einem verstärkten Kontrolldruck, der Wirkung zeige.

Hauptbahnhof-Eröffnung hat Westbahnhof entspannt

“Natürlich gibt es Konflikte, aber die gibt es zumeist innerhalb dieser Gruppen. Wir haben nicht beobachtet, dass Passanten oder Geschäftsleute involviert sind”, erläuterte Sandra Diwoky, Leiterin der Einrichtung “SAM flexibel” der Suchthilfe Wien. Zu ihren Klienten zählen auch Menschen ohne Wohnung, die nicht die ganze Zeit in Tagesaufenthaltsstätten verbringen wollen. Grundsätzlich habe die Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs im Ende 2014 die Situation hier entspannt.

Öffentlicher Raum braucht Angebote ohne Konsumpflicht

Der Wien-Chef der Bewährungshilfe Neustart, Nikolaus Tsekas, sieht beim Westbahnhof folgende Problemstellung: “Wir müssen überlegen, welchen öffentlichen Raum wir diesen jungen Leuten zur Verfügung stellen können.” Dieser müsse frei von Konsumpflicht sein, denn viel Geld hätten diese Menschen nicht, dafür viel Zeit. Ein freier Zugang zu Kultureinrichtungen wäre eine Möglichkeit, diese sinnvoll zu nutzen. “Musik-Workshops oder Videoschnitt, in einem Jugendzentrum angeboten, würde eine relative große Gruppe ansprechen. So arbeite die offene Jugendarbeit schon längst.”

Integration: Jugendliche leben in luftleerem Raum

Auch das bereits angesprochene Problem der Integration ist für Tsekas virulent. Es handle sich um eine Gruppe von Jugendlichen, die hier per se keine Perspektive haben, weil sie keinen Asylstatus bekommen, weil das Verfahren ewig dauert, weil sie letztendlich auch nicht rückgeführt werden können. “Sie leben in einem relativ luftleerem Raum, bekommen das Signal ‘Du hast hier nichts verloren, aber ich habe auch keine andere Idee, außer, dass du bleiben kannst'”, sagte der Experte. Diese Vorgabe sei unerfüllbar. Diese Gruppe hätte weder die Möglichkeit, die Zeit sinnvoll zu verbringen, noch die ausreichenden Mittel, um hier leben zu können. “Was ist die Erwartung? Dass sie sich still in die Ecke setzen und dahinsiechen?”, lautete die rhetorische Frage des Neustart-Leiters.

Kriminalität am Westbahnhof in Zahlen

Stattdessen war zuletzt für einige Menschen aus dieser Gruppe der Bahnhof der Ort Zusammentreffens. Der Polizeisprecher betonte, dass am Westbahnhof die Kriminalität dabei nie hervorgestochen sei. Objektive Zahlen belegen dies, denn von Mitte Dezember bis Dienstag dieser Woche gab es zwar 37 Festnahmen, doch diese wurden wegen Verwaltungsübertretungen durchgeführt. Hinzu kamen 135 Anzeigen sowie 62 Wegweisungen und 2.500 Identitätsfeststellungen.

Die besagten Festnahmen erfolgen wegen Lärmererregung, aggressiven Verhaltens und anderen Ordnungsstörungen. Laut Eidenberger handelte es sich dabei meist um Jugendliche afghanischer Herkunft. Auch nach Einschätzung der Polizei haben diese keine Perspektive, würden sich langweilen und das führe in Summe – oft in Kombination mit Alkohol – zu einem Dominoeffekt. Fahrgäste waren nie involviert, die Konflikte entstanden innerhalb der Gruppen. Doch alleine die Anwesenheit der Jugendlichen würde für Unsicherheit sorgen, meinte Eidenberger.

Sozialarbeit am Wiener Westbahnhof

Dieser subjektiven Empfindung mit objektiven Fakten zu begegnen, ist unter anderem Aufgabe der Sozialarbeit am Westbahnhof. “Uns ist es wichtig, auch mit Menschen, die sich verunsichert fühlen, ins Gespräch zu kommen. Es ist ebenso unsere Aufgabe, Informationen weiterzugeben, dass hier kein Gefährdungspotenzial besteht, sondern diese menschliche Begegnung subjektiv unangenehm sein kann”, sagte Andrea Jäger, Leiterin der Abteilung “Öffentlicher Raum und Sicherheit” bei der Sucht- und Drogenkoordination in Wien.

Öffentlicher Raum zieht Randgruppen an

Es sind nicht nur Jugendliche, die im Zuge der Flüchtlingsbewegung nach Österreich kamen, die am Bahnhof anzutreffen sind. “Die Bahnhöfe sind immer ein sehr attraktiver Ort – auch für Obdachlose, sucht- oder alkoholkranke Menschen – weil sie eine sehr gute Infrastruktur und so die Möglichkeit der Teilhabe bieten”, sagte Jäger. “Generell hat jeder Mensch das Recht, den öffentlichen Raum zu nutzen”. Egal welcher Gesellschaftsschicht sie entstammen oder welchen sozialen Status sie haben: Es ginge immer um ihr Verhalten. So lang dieses sozial verträglich ist, bestünde ja kein Problem und auch keine Intervention der sozialen Arbeit, Security oder Polizei sei erforderlich.Insgesamt hat sich laut Jäger die Situation im öffentlichen und halböffentlichen Raum – wie der Westbahnhof einer ist – in Wien sehr zufriedenstellend entwickelt. In den vergangenen zehn Jahren sei etwa auch die Zahl der Menschen mit Suchtproblemen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, zurückgegangen. “Das hat viel mit den Angeboten im Bereich der Wohnungslosenhilfe und mit jenen im Bereich des Suchthilfesystems zu tun”, erläuterte die Expertin. “Das Beispiel, das alle Wiener und Wienerinnen kennen, ist etwa der Karlsplatz. Da hielten sich früher 150 bis 170 suchtkranke Menschen täglich auf. Jetzt sind das zwei bis drei”, nannte Jäger ein Beispiel für die erfolgreichen Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen in Wien. So wurden etwa die Kapazitäten der Tageszentren verdoppelt.

SAM flexibel der Suchthilfe Wien ist im Einsatz

An Plätzen wie dem Westbahnhof trifft man auf die Mitarbeiter der Einrichtung SAM flexibel der Suchthilfe Wien, die von Sandra Diwoky geleitet wird. Zu erkennen sind sie an ihrer Dienstkleidung, den roten Jacken. Sie sind sowohl für Wohnungslose und Suchtkranke, als auch für Anrainer und Geschäftsleute die Ansprechpartner und unterstützen konfliktloses Nebeneinander. Auch Passanten sprechen die Sozialarbeiter an, teilweise, um sich zu beschweren: “Es geht dann schon auch darum, sich deren Ängste anzuhören”, so Diwoky. Hier versuche man, Verständnis für die anderen Lebensweisen zu vermitteln. Ebenso rufen auch Passanten an, die sich Sorgen um Obdachlose machen.

Die Winterarbeitszeiten bei SAM sind von 9.00 bis 20.00 Uhr. Tätig sind die Mitarbeiter etwa auch am Bahnhof Meidling, an der Josefstädterstraße und Teilen des Alsergrunds. “Man trifft überall auf bekannte Gesichter aus anderen Einsatzgebieten”, erläutert Diwoky. “Es geht darum, auch eine Beziehung aufzubauen”, denn Teil des Jobs sei das Erklären, was im öffentlichen Raum erlaubt und verboten ist, die sogenannte Regelkommunikation. “Angebote der Sucht- und Drogenhilfe oder der Wiener Wohnungslosenhilfe” – also Notquartiere oder medizinisch-therapeutische Angebote – werden den Menschen vermittelt. Die Mitarbeiter sind mehrsprachig, sie decken so gut wie alle osteuropäischen Sprachen ab.

Mehr Reglementierung – weniger Freiheit

Dass es bei der Frage nach dem öffentlichen Raum auch immer um die der öffentliche Sicherheit geht, sieht Diwoky folgendermaßen: “Das hat immer auch den Beigeschmack, dass man mehr Reglementierung hat im öffentlichen Raum. Und je mehr es davon gibt, umso weniger Freiheit gibt es für die Individuen.” Diese käme manchmal zu kurz, müsse aber mitbedacht werden. Letztendlich ginge darum, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen. Eines stünde jedenfalls auch für den Westbahnhof fest: Hier werde es, wie an allen Verkehrsknotenpunkten in Großstädten, immer Suchtkranke und Wohnungslose geben.

(apa/red)

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