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Reine Bewährungsstrafen soll es künftig bei Gewalt- und Sexualdelikten nicht mehr geben.
Reine Bewährungsstrafen soll es künftig bei Gewalt- und Sexualdelikten nicht mehr geben. ©APA

"Populistisch": Richter und Anwälte kritisieren Strafverschärfung

Neben den Richtern kritisiert auch der Österreichische Rechtsanwaltskammertag die geplante Strafverschärfung bei Gewalt- und Sexualverbrechen. Die Maßnahme wäre populistisch und würde Verbrecher nicht abschrecken.

Auf Kritik aus der Anwaltschaft stößt die von der Bundesregierung geplante Strafverschärfung bei Gewalt- und Sexualverbrechen, die am Mittwoch Thema im Ministerrat sein soll. Für Rupert Wolff, den Präsidenten des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK), sind die Maßnahmen “eher populistisch” und “mehr ein Zeichen hin zum Wähler als ein positiver Beitrag”.

Die Vereinigung Österreichischer Strafverteidiger appellierte am Montag an die Regierung, das von der Task Force Strafrecht unter Leitung von Karoline Edtstadler (ÖVP), Staatssekretärin im Innenministerium, erarbeitete Maßnahmenpaket zu überdenken. Dieses sieht unter anderem die Anhebung von Mindeststrafen für Vergewaltigung auf zwei Jahre vor, reine Bewährungsstrafen soll es in diesem Bereich künftig nicht mehr geben.

Verhaltensänderung statt Wegsperren

“Es ist empirisch belegt, dass die Verbrechensrate auch ohne Erhöhung von Strafen seit Jahrzehnten sinkt. Die Justiz weiß mit den geltenden Strafbestimmungen verantwortungsvoll umzugehen. Die Einführung von Mindeststrafen wird zum Ansteigen der Häftlingszahlen und damit zu einer Destabilisierung innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern führen. Sie beschneidet die Gerichte in ihrer Autonomie, für gerechte Strafen zu sorgen”, gab Alexia Stuefer, Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, zu bedenken.

Aus ihrer täglichen Arbeit wüssten Verteidiger, “dass mehrheitlich die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft von Kriminalität auf Täter- und Opferseite betroffen sind. Gerade auch unter den weiblichen Opfern überwiegt keineswegs die Forderung nach Erhöhung von Gefängnisstrafen”. Notwendiger sei “eine verantwortungsvolle und vorausschauende Politik, keine, die zum Wegsperren von Männern, sondern zu Umdenken und Verhaltensänderung führt”, stellte Stuefer in einer Presseaussendung fest.

Auch Richter gegen Strafverschärfung

ÖRAK-Präsident Wolff erinnerte daran, dass sich neben der Anwaltschaft im Vorfeld auch die Richtervereinigung, der Oberste Gerichtshof (OGH) und andere Institutionen gegen eine Strafverschärfung ausgesprochen hätten, zumal es eine solche erst vor kurzem mit dem am 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz gegeben habe. “Es ist seitdem zu wenig Zeit verstrichen, um auswerten zu können, wie sich das letzte Strafrechtsänderungsgesetz ausgewirkt hat”, meinte Wolff im Gespräch mit der APA. Sinnvoller wäre es nach seinem Dafürhalten gewesen, länger zuzuwarten, bis 2020 die Folgen der jüngsten Novelle auf die Strafpraxis der Gerichte zu evaluieren und allenfalls dann zu reagieren. “Immer dann, wenn medienträchtige oder besonders grausame Straftaten passieren, erschallt der Ruf nach höheren Strafen”, bedauerte Wolff.

Das Regierungsvorhaben scheint den Ergebnissen einer Forschungsarbeit des Kriminologen und Sanktionen-Forschers Christian Grafl entgegen zu stehen, der im Auftrag der Task Force die Strafpraxis der Gerichte zwischen 2008 und 2017 analysiert hat. Auf einer medienöffentlichen Tagung der Richtervereinigung im vergangenen September nannte Grafl härtere Strafen für Gewalt- und Sexualstraftäter “aus empirischer und kriminologischer Sicht unsinnig”. Im Hinblick auf das Strafrechtsänderungsgesetz 2015 meinte Grafl, es sei “Unfug, wenn man eineinhalb bis zwei Jahre später wieder am Rädchen dreht”.

Dass es bei Vergewaltigungen generell keine bedingten Freiheitsstrafen mehr geben soll, wertete der am Institut für Strafrecht und Kriminologie tätige Wissenschafter als “Misstrauen gegen die Richterschaft”. Bisher unbescholtene erwachsene Vergewaltiger würden als Ersttäter in über 80 Prozent der Fälle schon jetzt Haft ausfassen. Ähnliches gelte für schwere Gewaltdelikte, betonte Grafl. Bei absichtlicher schwerer Körperverletzung würden bei jedem fünften nicht vorbestraften männlichen Erwachsenen von den Gerichten unbedingte Freiheitsstrafen verhängt.

Höhere Mindeststrafen mit umgekehrten Effekt

Die Richtervereinigung reagiert mit Ablehnung auf die Regierungspläne, der Gewalt gegen Frauen und Kindern mit einer Anhebung der Mindeststrafen zu begegnen. Es gebe keine wissenschaftlich fundierte Belege, die dieser Maßnahme eine Wirksamkeit attestierten, sagte Präsidentin Sabine Matejka am Montag zur APA. Kritik kam auch von den Frauenhäusern.

Die Richter wünschten sich für die Strafbemessung in der Praxis einen möglichst breiten Rahmen, um der einzelnen Tat gerecht werden zu können, betonte Matejka. Außerdem gebe es die Befürchtung, dass höhere Mindeststrafen sogar den umgekehrten Effekt haben könnten. Speziell bei Gewalt in der Familie entstehe dadurch eine noch höhere Drucksituation für die Opfer.

Auch die Chefin der Richtervereinigung verwies auf die Forschungsarbeit des Kriminologen und Sanktionen-Forschers Christian Grafl. Dieser habe etwa belegt, dass schon jetzt die gänzlich bedingte Strafnachsicht bei Vergewaltigung die absolute Ausnahme sei. Die Regierung will dies nun gänzlich verunmöglichen.

Frauenhäuser: Hohe Strafen kontraproduktiv

Das Regierungsargument, dass kleine Wirtschaftsdelikte in Österreich härter bestraft würden, als Gewalttaten an Frauen und Kindern, lässt Matejka nicht gelten. “Dem muss man widersprechen. Ich halte diesen Vergleich für völlig verfehlt, vor allem die letzte Strafrechtsreform hat genau da angesetzt.” Deren Effekt auszuwerten, müsse man sich einfach ein bisschen Zeit nehmen: “Das ist kein Argument für weitere Änderungen.”

Was am den bisher präsentierten Punkten fehle, in Wirklichkeit aber viel wichtiger sei, seien die Punkte Opferschutz und Täterarbeit, so Matejka.

Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser äußerte ähnliche Kritik. Das Regierungsvorhaben sei kontraproduktiv und für die Täter nicht abschreckend, zeigte sie sich überzeugt. Wichtiger wäre es etwa, die Verurteilungszahlen zu erhöhen. Die Quote liege bei Vergewaltigungen etwa nur bei 13 Prozent.

Wie die Richtervereinigung befürchtete auch Rösslhumer durch höhere Strafen eine negative Wirkung für die Opfer. Sie würden es sich dadurch wohl noch länger überlegen, tatsächlich Anzeige zu erstatten.

(APA/red)

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