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Lokalaugenschein: Kein Muttertag am Schöpfwerk

Wohnhausanlage Am Schöpfwerk in Meidling
Wohnhausanlage Am Schöpfwerk in Meidling ©Public Domain
Lokalaugenschein in einem Wiener Problemviertel, das eigentlich gar keines ist und dennoch als "hartes Pflaster" gilt. Das Schöpfwerk: in Beton gegossenes Vorurteil, eine typische Wiener Melange aus Wahrzeichen sozialen Wohnbaus, architektonischem Alptraum, Ghetto und pulsierendem Mikrokosmos.

“Das Schöpfwerk ist einer der sichersten Orte der Stadt”, sagt Renate Schnee und meint das nicht nur ernst, sondern scheint damit auch noch recht zu haben. Wer auf der Suche nach klassischen Symptomen eines Problemviertels ist, wird kaum fündig werden. Keine Jugendbanden, quasi null Kriminalität; es heißt sogar, Polizisten würden sich absichtlich aufs Schöpfwerk zuteilen lassen, weil hier nichts los sei. Na ja, nie wäre jetzt gelogen, meint Frau Schnee, die seit 26 Jahren Sozialarbeit in der Siedlung betreibt, hie und da flögen schon die Fetzen, aber nie so heftig, dass man es hinterher nicht ausdiskutieren könne.

Reden, fragen, zuhören, verhandeln – das seien die Zutaten für ein gedeihliches Miteinander. Selbst in einem Mega-Bau von 17,7 Hektar Ausdehnung, mit 5.000 Menschen in 1.700 Wohnungen. “Man muss nur alte Strukturen und Denkweisen aufbrechen, dann geht das schon”, sagt Frau Schnee, als wärs ein Kinderspiel. Ein weiteres Geheimnis sind die Netzwerke. Horizontal, vertikal, sie verlaufen quer durch alle Schichten, von denen es hier, am südlichen Ende Meidlings, viele gibt. Und? Ist das etwa alles? Mehr ist nicht notwendig, um ein Nationalitätengewirr, das bis zu 20 unterschiedliche Muttersprachen spricht und beileibe nicht zu den Spitzenverdienern zählt, unter einen Hut zu bringen?

“Grüß Gott, Herr Doktor Ibrahim. Ah, sehr gut, vielen Dank.” Der Leiter der Moschee – übrigens der einzigen in einem Gemeindebau in Österreich – hat soeben seinen Artikel für den “Schöpfwerk Schimmel”, die Siedlungszeitung, in der “Bassena” vorbeigebracht. Die “Bassena” ist ein Sozialzentrum, das seit ein paar Jahren auch einen Gratis-Basar beherbergt. Drei Stück von was auch immer dürfen die Leute mitnehmen, vom Sockenpaar bis zum TV-Gerät. Zweimal pro Woche ist die Bude gesteckt voll mit Waren und Menschen. Dabei wird geplaudert und diskutiert und verglichen und probiert – und schon wuchert wieder ein bisserl Kommunikation.

Woher das schlechte Image des Schöpfwerks herrührt, ist sich Renate Schnee gar nicht so sicher. Die Medien hätten halt viel dazu beigetragen, nachdem Anfang der 90er Jahre ein Kind ermordet und somit der Siedlung der Stempel “Ort des Grauens” aufgedrückt wurde. Das ging sogar so weit, dass “Schöpfwerker” bei Bewerbungsgesprächen kurzerhand ihren Wohnsitz “verlegt” haben, um nur ja den Job zu bekommen. “Wer von hier war, hatte es nicht leicht. Taxler haben sich den Fahrpreis im Voraus zahlen lassen, wenn man gesagt hat, man müsse zum Schöpfwerk.”

Gemischte Gefühle hat der Film “Muttertag” erzeugt, der 1993 hier gedreht worden war. Diverse Sprüche, wie etwa “I sog’s glei, i woars ned”, “Da gibts jetzt glaub ich sicher nix blöd zum lachen” oder “Budl di ned auf, Hustinettenbär” haben längst Aufnahme in den kollektiven Sprachschatz der Österreicher gefunden und sind untrennbar mit der Physiognomie des Schöpfwerks verbunden. Schnee: “Während sich eine Hälfte köstlich amüsiert hat, haben die anderen gesagt: Um Gottes Willen, das sind doch nicht wir!”

Viel mehr als Kulisse war das Schöpfwerk für Muttertag allerdings nicht. Wenn ein junges Pärchen delogiert wird, sich ein afghanischer Akademiker elf Jahre lang als Tellerwäscher verdingen muss, “Ureinwohner” auf Zuzügler schimpfen, weil das eben oftmals “Ausländer” sind, früher ohnehin alles besser war und sich im Hochsommer die Stimmung verdammt aufheizen kann, weil sich nur die wenigsten einen Urlaub leisten können und es einfach nirgends ausreichend Grün- oder Wasserflächen gibt, dann hat das wenig mit Klamauk und Komödie zu tun. Das Schöpfwerk ist und bleibt trotz allem ein hartes Pflaster – im doppelten Sinne.

Darum muss der Motor, der mit viel Herzblut betrieben wird, ständig am Laufen gehalten werden. Die “Bassena” tut das gemeinsam mit Pfarre, Moschee, Jugendzentrum und Ganztagsschule. Die Leute seien unheimlich dankbar für Aktivitäten, wie etwa jene 18 Konzerte im Rahmen der Wiener Festwochen oder den Auftritt jenes Schöpfwerkers, der beim Grand Prix der Volksmusik mitgesungen hat – einem Burschen aus Zaire. Dann habe man das Gefühl, auch dazu zu gehören, zur Stadt. Denn die, sagt Frau Schnee, sei hier eben weit weg.

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